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Unter Schweizer Schutz


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aus dem Arbeitslager geholt?» Ich sagte: «Weil du nicht jüdisch ausgesehen hast.» Man konnte keine Leute in Uniformen stecken, die jüdisch aussahen und sie zur Rettung anderer Juden schicken, die Einheit wäre aufgeflogen. Das ganze Widerstandssystem wäre zusammengebrochen. Das traf auch auf die Schutzhäuser von Carl Lutz zu. Einige der Wächter waren Juden, aber man musste aufpassen, dass ihre Identität nicht aufgedeckt wurde. Die Wächter vor dem Glashaus bestanden meist aus geflüchteten Offizieren, ein paar jungen Männern und mehreren jüdischen Jugendlichen aus Arbeitslagern, alle in falschen Uniformen. Wir stahlen die Lebensmittel von den Deutschen, die Uniformen von der ungarischen Armee, und die Dokumente wurden in der Athenaeum-Druckerei angefertigt. Das System war hervorragend aufgebaut.

      Die zionistische Jugendbewegung half Hunderten von Menschen, sich in der Stadt zu bewegen, von einem Schutzhaus zu einem anderen zu gelangen. Wie viele Menschen in jener schrecklichen Zeit in die Rettung der Juden involviert waren, lässt sich nicht sagen. Auch nicht, wie viele Menschen das faschistische Regime unterstützten, wie viele in der Pfeilkreuzlerpartei waren. Auch kann das Volk nicht verurteilt werden. Wer half, wer war ein Held, wer war keiner? Einige aber stachen heraus.

      Carl Lutz stach heraus wie ein Denkmal, denn er war nicht nur ein Mensch mit grossem Gewissen und grossen Fähigkeiten, er war auch ein Schweizer Patriot, der beweisen wollte, dass die Schweiz für Freiheit stand, für Meinungs- und Religionsfreiheit, dass es ihrer freiheitlichen Gesinnung entsprach, Menschen zu helfen. Er war ein Beispiel dafür, was möglich ist. Aber jene, die ihm halfen, wussten auch, dass einer allein keinen einzigen Menschen retten konnte. Es gab keinen einzigen geretteten Juden, ohne dass nicht Dutzende andere daran beteiligt waren. Da war derjenige, der ihn ins Haus hereinliess, derjenige, der ihn zum Taxi brachte, derjenige, der ihm ein bisschen Kleingeld oder etwas zu essen gab, derjenige, der mit gefälschten Bescheinigungen von einem Ort zum andern rannte, derjenige, der den Telefonanruf machte, um ihm zu sagen, er soll fliehen. Es war eine Kette von Ereignissen, und eine einzige Sekunde konnte von Bedeutung sein. Wo konnte in dieser Sekunde jemand helfen? War jemand da, der einem zu Hilfe kam? War jemand da, der einem dieses Papier gab? Niemand konnte allein tausende Verfolgte retten. Und das trifft auch für Lutz zu. Lutz war ein Held, aber er brauchte Hunderte andere, die ihm halfen.

      «Operation Glashaus»

      Es gab zum Beispiel Leute vom Auswärtigen Amt, die Lutz besser kannten als ich. Sie waren meine Freunde. Ein ganz wunderbarer Mann, Zoltán Keresztes, arbeitete eng mit Lutz zusammen. Er war der Verbindungsmann zwischen unserer Gruppe und Raoul Wallenberg. Wir brachten Papiere zur zionistischen Jugendbewegung, damit sie sie in ihren Druckanlagen reproduzieren konnten. Dann gingen sie zurück zu Arthur Weiss oder Miklós Krausz, einem der wichtigsten Männer im Büro von Carl Lutz. Weiss und Krausz entschieden, wie die Papiere verteilt werden sollten. Irgendwann wurden sie wie eine Gratiszeitung verteilt. Es gab so viele gedruckte Dokumente, dass man nicht mehr zählen konnte, wie viele ausgegeben wurden, wie viele benutzt wurden oder wie viele Menschen keine bekommen hatten.

      Wir waren etwa zwanzig Mann in unserer Einheit. Und es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Einmal waren wir fünfzehn. Ein anderes Mal fünfundzwanzig. Mein Cousin, Dezsö Molnar, hatte den Rang eines Leutnants und trug eine ungarische Armeeuniform, er war der Kommandant der Einheit. Grösstenteils bestand die Einheit aus Leuten, die aus den verschiedenen Arbeitslagern geflohen waren, inzwischen mit falschen Uniformen, falschen Papieren und möglicherweise falschem Namen ausgestattet.

      Ich betrat das Glashaus nur, um nachzusehen, ob das Essen ordnungsgemäss eingetroffen war. Ich hatte einen Fahrer, Zoltán Illy, der mit seiner Einheit einzig damit beschäftigt war, die deutschen Züge auszurauben, die Käse für die Armee lieferten. An Käse hat es also nicht gefehlt. Aber Armeekäse war schreckliches Zeug. Ein bisschen wie Zahnpasta. Jedenfalls lieferten wir dieses Zeug waggonweise, denn im Glashaus gab es nur sehr wenig zu essen. An guten Tagen hatten wir auch Gemüse und Obst, was eben gerade von den Bauern zu bekommen war. Es war schwierig, zu überleben, denn es gab dort 2000 Leute; zu einem bestimmten Zeitpunkt, sagen einige, befanden sich sogar bis zu 3000 Menschen im Glashaus. Ich glaube es nicht, aber möglich wäre es. Ich meine, es sah dort aus wie in einem heutigen Flüchtlingslager. Die Leute kamen und gingen zu Hunderten, um Dokumente zu bekommen. Hatten sie das Dokument, machten sie sich rasch davon, um irgendwo jemand anderen zu retten.

      Die Leute im Glashaus wussten nicht, dass wir eine falsche Militäreinheit waren. Nur Arthur Weiss, Carl Lutz und das Erez-Israel-Büro wussten Bescheid. Auch Krausz wusste, dass wir eine Widerstandsgruppe waren; er wusste, dass wir nicht zur Pfeilkreuzler-Armee gehörten. Aber die Menschen drinnen, die kamen und gingen, wussten nicht, auf welcher Seite wir standen. Sie hatten keine Ahnung, aber das war Teil des Plans. Erstens hatten die Pfeilkreuzler überall Spione, ich bin mir ziemlich sicher, dass sie auch im Glashaus welche hatten. Woher konnten sie zum Beispiel wissen, dass Weiss dort war? Woher konnten sie wissen, wann sie kommen sollten, um zu plündern? Sie wussten, was vor sich ging und wo die Schutzhäuser waren. Und zu unserer Sicherheit und zur Sicherheit der ganzen Organisation – des ganzen Widerstandsnetzes – war es sehr wichtig, dass wir anonym blieben. Wir mussten die Leute im Glashaus im Glauben lassen, unsere Truppe sei da, um sie gefangen zu halten.

      Niemand verstand, wie wir mit dieser List drei oder vier Monate lang durchhalten konnten. Und die Nazis griffen auch tatsächlich an, sie kamen. Ich erinnere mich an den 4. Dezember; um die zwanzig, dreissig Pfeilkreuzler rückten mit Maschinengewehren an. Sie töteten zwei der Wächter. Später, ich glaube, es war an Silvester, holten sie Arthur Weiss zu einer Untersuchung. Sie behaupteten, seine Papiere überprüfen zu müssen. Wir hatten Angst, sie könnten entdecken, dass unser Kommando eine Fälschung war, dass die Leute im Glashaus Geld hatten, dass dort Wertsachen versteckt waren. So schickte ich einen meiner Männer mit Weiss zum Verhör. Weiss verschwand. Es war eine Offenbarung für mich: Da war eine Person, der ich zu helfen versuchte, und ich habe es nicht geschafft, und wahrscheinlich hatte ich die falsche Entscheidung getroffen. Aber hätte ich Arthur Weiss nicht gehen lassen, hätten wir hundert Pfeilkreuzler dort gehabt, die der ganzen Sache ein Ende gesetzt hätten.

      Wir waren nicht stark genug, um einem Angriff der Gendarmen und Pfeilkreuzlern mit ihren Waffen und Tanks standzuhalten. Arthur Weiss war das Opferlamm. Unser Blendwerk hat überlebt.

      Die Bewegung

      Ein Handschlag, rasch, rasch etwas übergeben, «vergiss nicht, dass ich die Papiere brauche», oder, «vergiss nicht, mit dem und dem zu sprechen». Jede Minute konnte entscheidend sein für das Schicksal eines Menschen, und das Leben Tausender Menschen hing davon ab, was hinter unseren Türen geschah.

      Ich musste unerschütterlich und entschlossen sein. Ich durfte nicht zögern und nicht wanken. Es war auch sehr wichtig, mit den Deutschen zu sprechen. Es war entscheidend, mit den Deutschen sprechen zu können, wenn sie die Identität prüften oder nach irgendwelchen Verbindungen fragten. Ich war derjenige, der zu ihnen ging, weil mein Deutsch gut war, und ich hatte Erfahrung im Umgang mit ihnen.

      Man musste Selbstschutz entwickeln. Wenn man in den Augen der Deutschen einigermassen arisch und deutsch aussah, gut gekleidet war, konnte man sich einigermassen in Sicherheit wiegen. Ich hatte viele jüdische Freunde unter meinen Schulkameraden, Universitätskommilitonen, in der Familie und bei nahen Verwandten. Ich habe ihnen beigebracht, wie man auf der Strasse gehen musste, wenn einer von der Gestapo oder ein Pfeilkreuzler im Anmarsch war. Dieselbe Methode funktionierte auch 1945, als die Russen kamen. Wie vermeidet man, dass man verhaftet wird? Was sagt man, wenn man verhaftet wird? Die Juden hatten dieses Know-how nicht. Es fehlte ihnen die Angst; sie waren gute, zuverlässige Bürger Ungarns gewesen. Halb Budapest war mit Juden verheiratet. Ich meine, irgendwann hat es in Budapest eine Viertelmillion Juden gegeben, wissen Sie. Die Leute hatten deutsche oder jüdische Namen. Wenn man vor hundert Jahren ins Budapester Telefonbuch schaute, standen da lauter deutsche oder jüdische Namen. Und so hatten die Budapester Juden keine Verteidigungsstrategien entwickelt, aber genau das war damals nötig, um Mauthausen oder Bergen-Belsen zu entkommen.

      So sagte ich beispielsweise den Wächtern des Glashauses: «Lasst die Leute nicht mit dem gelben Stern rausgehen. Sie müssen sie an ihren Kleidern haben; wenn sie kontrolliert werden, ist es Vorschrift. Wenn sie hinausgehen,