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Unter Schweizer Schutz


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über die Tätigkeit des Personals der Schweizer Gesandtschaft in Budapest an. Auch Carl Lutz wurde in diesem Zusammenhang befragt. Der Gegenstand der Untersuchung hatte jedoch nichts mit seinen Aktivitäten zum Schutz der Juden zu tun. Das EPD wollte die Motive rekonstruieren, die die Sowjets dazu veranlasst hatten, den Leiter der diplomatischen Vertretung, Harald Feller, und einen seiner Kollegen gefangen zu nehmen, und zwar in äusserst heiklem Kontext: Die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern waren seit 1918 abgebrochen. Schliesslich wurde Harald Feller im Frühjahr 1946 repatriiert. Carl Lutz stand nie im Zentrum einer Untersuchung und wurde nie bestraft.

      Interessiert man sich für die Zahl der von Lutz geretteten Menschen, so wird oft von 62 000 gesprochen. Tatsächlich stammt diese Zahl aus einem Brief des ehemaligen Präsidenten der Ungarischen Zionistischen Organisation, Michael Salamon, an Carl Lutz.41 Salamon kommt zu dieser Gesamtzahl, indem er fünf Kategorien von Menschen addiert, die von Lutz und seinem Team gerettet wurden – darunter die im Internationalen Ghetto und die im Glashaus. Dabei wurden einige zwei oder mehrmals gezählt.

      Vor allem Randolph Braham und Paul Levine haben einige interessante Fragen über die «Rettung der Juden von Budapest» aufgeworfen.42 Sie stellten insbesondere fest, dass die Summe aller (von neutralen Ländern und anderen) angegebenen geretteten Juden von Budapest die tatsächliche Zahl der Überlebenden deutlich übersteigt. Wir halten es für unmöglich, die Anzahl der von Lutz, Wallenberg und anderen geretteten Menschen genau zu bestimmen. Hingegen scheint – wie es auch der Historiker Yehuda Bauer aufgezeigt hat 43 – gesichert, dass die kollektiven Anstrengungen des schweizerischen diplomatischen Schutzes sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch in Bezug auf die Zahl der geretteten Personen Massstäbe setzten.

      Aus dem Französischen von Lis Künzli

Erinnerungen aus der Widerstandsbewegung

      Rafi Benshalom

      Tamar und Rafi Benshalom, Kibbuz Ha’ogen, Israel 1994

Kibbuz Ha’ogen, Israel

      «Wir durften den Henkern keine helfende Hand reichen»

      Richard Friedl (später Rafi Benshalom) wurde im Januar 1944 gemeinsam mit Mosche Alpan (Pil) aus Nové Město (Tschechoslowakei) nach Budapest entsandt, um die von der Haschomer Hazair-Bewegung organisierten Rettungsaktionen für Flüchtlinge zu überwachen. Im Frühling 1944 trat Richard Friedl mit der Bitte an Carl Lutz heran, auf Basis eines Ausweises, der auf den Namen «János Sampiás» ausgestellt war, seine amerikanische Staatsbürgerschaft zu bestätigen. Als Friedl Lutz später gestand, dass er nicht János Sampiás war, versicherte dieser ihm, dass er ihn weiterhin schützen werde.44

      Der 19. März war ein Sonntag. Wie in einem Albtraum beobachtete ich [in Budapest] dasselbe schreckliche Schauspiel, das sich genau fünf Jahre zuvor auf den Strassen von Prag abgespielt hatte. Die endlosen Kolonnen grauer Panzer, die Motorräder, die militärisch getarnten Fahrzeuge, alles bewegte sich stumm mit der Präzision eines Uhrwerks vorwärts, Angst und Schrecken über der schneebedeckten Stadt verbreitend. Was wir so sehr gefürchtet und wovor wir so oft gewarnt hatten, war eingetroffen. Spontan trafen wir uns alle im Hauptquartier der Bewegung. Von dort machten wir uns auf den Weg zu den Büros des jüdischen Nationalfonds, da wir wussten, dass sich dort die gesamte zionistische Führung versammeln würde. Und tatsächlich, da sassen sie alle. Alle diese Herren, die sich stets so sicher gewesen waren – und sich ihre eigenen Stürme im Wasserglas zusammenbrauten –, warteten nun darauf, dass ihnen jemand Mut zusprach und Vorschläge für das weitere Vorgehen machte. Und zum ersten Mal waren diese erfahrenen Männer, die mehr Respekt einforderten, als ihnen zustand, in ihrer Autorität ratlos und baten uns um Hilfe. Jetzt erinnerten sie sich an unsere Warnungen und wollten wissen, wie es sich genau verhielt und was wir vorschlugen. Wir sahen einander an – Leon Blatt aus Polen, Ivo Davidovitch aus Jugoslawien, Eli Sajó und ich aus der Slowakei – und konnten uns ein bitteres Lächeln nicht verkneifen. Wir vier waren uns einig: Diese Zionisten durften für das, was nun bevorstand, nicht die Verantwortung übernehmen, sie durften die Führungsposition nicht einnehmen, denn das, was jetzt drohte, war die absolute Vernichtung, und wir durften den Henkern keine helfende Hand reichen. Es war unumgänglich, dass wir uns in den Schatten zurückzogen, die Dinge von dort aus lenkten und ruhig und ohne Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen, taten, was in unserer Macht stand.

      Es sollte allerdings eingestanden werden, dass auch unsere Bewegung auf diesen plötzlichen Umschlag nicht vorbereitet war, so sehr sie auch mit ihm gerechnet hatte. Unsere erste Aufgabe bestand darin, für alle Mitglieder der Bewegung christliche Dokumente zu beschaffen. Das schien kein einfaches Unterfangen. In den ersten Tagen herrschte ein Gefühl der Hilflosigkeit. Bisher waren die Juden in Ungarn gesetzestreue Staatsbürger gewesen. Auch wir waren es gewohnt, uns in den «Kens» der Bewegung [Hebräisch für «Vogelnester»: Versammlungsorte, an denen die Aktivitäten der Bewegung stattfanden] und in verschiedenen zionistischen Büros zu treffen. Von nun an beschlossen wir, um alle diese Orte einen weiten Bogen zu machen. Die gesamte Bewegung musste dezentralisiert werden und wieder auf die Strasse zurückkehren. Das war natürlich keine leichte Sache, und auf der Strasse bestand ständig die Gefahr, überfallen zu werden. Wir suchten verschiedene Plätze der Stadt auf und hielten nach Menschen Ausschau, die jüdisch aussahen. Ausserdem war die Stadt zu einer betäubten Festung geworden. Die jüngsten Ereignisse wurden mehrere Tage lang nicht publik gemacht. Wir hatten keine Ahnung, was aus Horthy geworden war und welches Schicksal dem Land beschieden sein würde. Die Macht lag in den Händen der Gestapo. Führende Liberale waren gleich am ersten Tag verhaftet worden, darunter viele bekannte Juden – nach Listen.

      Am 21. März wurden Vertreter der jüdischen Gemeinde zu einem Treffen einberufen, bei dem ihnen freundlich mitgeteilt wurde, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchten, es werde ihnen kein Schaden zugefügt. Sie sollten in Ruhe ihren Geschäften nachgehen. Zwar müssten die Juden einen Teil ihrer überschüssigen Energie eindämmen, aber niemand habe um sein Leben zu fürchten. Es war der Zeitpunkt, da der «Judenrat» oder «Jüdische Rat» ernannt wurde. Die weisen Budapester Juden fielen auf den primitiven Taschenspielertrick der Gestapo herein, und der Optimismus war gross. Bis dahin waren bereits mehrere Juden im wieder eingerichteten Konzentrationslager Kistarcsa verschwunden. Der Judenrat war darauf nicht vorbereitet und der neuen Situation hilflos ausgeliefert. Angesichts des Leids und der Unfähigkeit, dem jüdischen Normalbürger Antworten zu geben, beschlossen die Zionisten, im Ratsgebäude in der Síp-Gasse 12 eine Informationsstelle einzurichten. Die meisten altgedienten Zionisten arbeiteten in diesem Gebäude, aber es war eine Sisyphusarbeit. Also sind wir aktiv geworden. Zum Glück hatten wir nach langer Wartezeit gerade ein Kopiergerät [einen Schapirographen] aus der Slowakei erhalten. Da unsere slowakischen Freunde uns zusammen mit dem Schapirographen alle notwendigen Tintenarten geschickt hatten, waren wir in der Lage, alles herzustellen, was wir wollten [in verschiedenen Privatwohnungen und in einer Werkstatt in der Izabella-Gasse]. Es war eine gefährliche Angelegenheit, in irgendeiner Wohnung an der Herstellung von gefälschten Dokumenten beteiligt zu sein, vor allem in der Zeit, da Hausdurchsuchungen an der Tagesordnung standen. Damals bestand die Bewegung in Budapest aus fast 500 Mitgliedern. In der Anfangszeit mussten wir jeden Tag jedes einzelne Mitglied treffen, nur um sicherzugehen, dass niemand verhaftet worden war, aber den Leuten war auch sehr daran gelegen, uns ihre kleinsten Probleme mitzuteilen. Ich war für die Verbindung mit [Rezső] Kasztner und seinen Männern im Judenrat verantwortlich. Wie sehr ich mich auch bemühe, ich kann mich nicht an meinen Tagesablauf erinnern. Ich weiss nur, dass ich sehr spät nachts nach Hause kam, meine Nerven blank lagen und mir quälende Gedanken im Kopf herumgingen, sodass es mir unmöglich war, mehr als drei oder vier Stunden am Stück zu schlafen.

      [no image in epub file]

      Schweizer Kollektivpass 1 (S. 34), Juli 1944

      [Im Juli 1944] hatte uns die Schweizer Gesandtschaft die Möglichkeit gegeben, [im Glashaus in der Vadász-Gasse] halblegale «Sprechstunden» abzuhalten. Wir konnten hier Leute empfangen und in Ruhe ihre Probleme besprechen, ohne die Angst, von jemandem belauscht zu werden; was nicht so schlecht war, wenn in der Zwischenzeit andere warteten. Endlich hatten wir einen Ort gefunden