Es stellt sich die Frage: Warum gab es in Ungarn keinen bewaffneten Widerstand? War das nur ein Zufall?
Es wurde manchmal versucht – von Leuten, die nicht mit der damaligen Lage in Ungarn vertraut sind –, die ungarischen Untergrundaktivitäten mit denen in anderen Ländern zu vergleichen. Dabei übersahen sie sowohl einige faktische Gegebenheiten, die das Wesen der Bewegung bestimmten, als auch die Tatsache, dass unter den herrschenden Bedingungen der einzige mögliche Weg in der aktiven Rettung bestand:
1. Mangel an Personal, das fähig war, Waffen zu tragen Die meisten jüdischen Männer im Alter zwischen einundzwanzig und fünfundvierzig Jahren standen seit 1942 im Dienst von speziellen Zwangsarbeitseinheiten, hauptsächlich im besetzten Russland. Diejenigen, die noch nicht mobilisiert waren, wurden nach dem Einmarsch der Deutschen in Budapest einberufen. Einzig mit Frauen, Kindern und älteren Männern einen bewaffneten Widerstand zu organisieren, war nicht möglich.
2. Ungünstige topografische Bedingungen Ungarn besteht grösstenteils aus ausgedehnten, waldarmen Tiefebenen. Das einzige Gebiet, welches sich aufgrund seiner geografischen Bedingungen für einen Partisanenkrieg geeignet hätte, war das karpatische Gebirge. Die jüdische Bevölkerung dieser Gegend war jedoch unter den ersten, die in Ghettos zusammengetrieben und innerhalb weniger Tage nach dem Einmarsch der Deutschen deportiert wurden.
3. Fehlende Zeit Nach der deutschen Besetzung jagten sich die Ereignisse in schwindelerregender Geschwindigkeit. Als sich die Menschen bewusst waren, was vor sich ging, fanden sie sich bereits in Auschwitz wieder. Die Konzentration von Juden in lokalen Ghettos und ihre Deportation aus Ungarn waren in den einzelnen Teilen des Landes mit maximaler Effizienz, innerhalb weniger Tage, durchgeführt worden. Der gesamte Deportationsprozess des ungarischen Judentums wurde in der erstaunlich kurzen Zeit von sechs Wochen vollzogen! Es blieb keine Zeit, sich zu organisieren.
4. Mangelnde Empathie bei der lokalen Bevölkerung Unter den ungarischen Staatsbürgern herrschte im Allgemeinen eine feindselige, distanzierte Stimmung, und es war unrealistisch, von der nichtjüdischen Bevölkerung vor Ort irgendwelche Hilfe zu erwarten. Weder Wasser noch Informationen noch Waffen.
Mit der deutschen Besetzung von Ungarn erlangte die Dokumentenherstellung höchste Dringlichkeit.
Das von der deutschen Besatzung auferlegte Regime basierte auf der Ausübung von Macht und Gewalt gegenüber den Juden. Die Aktionen waren als bürokratische Verfahren eines scheinbar gesetzestreuen Staates getarnt. Regierungsverordnungen wurden in der Presse, im Radio und in Form von Bulletins auf Anschlagtafeln veröffentlicht. Diese Verordnungen wurden täglich mehr, ihre Inhalte immer bedrohlicher, ihre Reichweite zunehmend grösser, was zur Isolierung bestimmter Gruppen von Juden von der jüdischen Bevölkerung als Ganzes führte. Ab dem Tag ihres Einmarsches in Ungarn zogen die Deutschen sämtliche Strippen, manchmal in der Öffentlichkeit, manchmal hinter den Kulissen, und ihr Schatten schwebte über allem, was damals geschah.
Am Leben zu bleiben, bedeutete, sich jeden Morgen schnell und wachsam den neuen Regeln zu entziehen. Dies musste jeder Einzelne selbst in die Hand nehmen. Der einzige Weg führte über gefälschte Arierausweise. Diese waren aufgrund der konstanten, strengen Kontrolle durch die Gendarmerie und Sonderpolizei auf Strassen und öffentlichen Plätzen unumgänglich geworden. Auch Hausmeister in Wohnblöcken übernahmen als loyale Diener des Regimes diese Aufgabe. Nur wer die passenden Papiere hatte, konnte hoffen, der Deportation zu entkommen – was bedeutete, am Leben zu bleiben.
Die ständige Änderung von Namen und Adressen erforderte eine Unzahl an Dokumenten. War man geschickt, bot ein solches Dokument die Chance und die Grundvoraussetzung zum Überleben. Den Mitgliedern der Chaluz-Bewegung verschafften die gefälschten Papiere hauptsächlich die nötige Handlungsfreiheit zur Rettung anderer.
Das Personal der Fälscherwerkstatt setzte sich ausschliesslich aus Laien jeglicher professioneller Herkunft zusammen. Es gab keinen einzigen Drucker oder Hersteller unter uns. Es fehlten uns die technischen Grundkenntnisse in jedem Bereich der Dokumenten- und Stempelherstellung.48 Niemand hatte die fachlichen Erfordernisse oder die hohe Nachfrage und den Umfang des Bedarfs an gefälschten Dokumenten vorhergesehen oder vorhersehen können. Das Team musste improvisieren und eigenständig in aller Eile komplexe Arbeitsabläufe erfinden, deren Aneignung normalerweise Jahre in Anspruch nehmen würde. Aber wir lernten in der Praxis, was nötig war, um die Standards und technischen Anforderungen unserer Arbeit zu erfüllen. Wir fanden heraus, wie wir vorzugehen hatten, um die auftretenden Schwierigkeiten zu meistern und zu umgehen.
Vor diesem Hintergrund stach der Werkstattbetrieb im besetzten Europa und im antinazistischen Untergrund als einzigartig heraus, sowohl was Produktionsverfahren, Quantität und Vielfalt als auch die massive Nachfrage betraf, die gedeckt werden musste.
Die wichtigsten Verfahrensweisen waren:
a. Zeichnen. Manche Stempel wurden mit schwarzer Tinte oder Stempeltinte direkt von Hand auf das Dokument gezeichnet. So wurde vor allem zu Beginn verfahren, als der Umfang der Operation noch nicht so grosses Ausmass angenommen hatte.
b. Kopieren der Stempel. Dies geschah mit chemischer Tinte auf transparentem Zeichenpapier. Die Probe wurde auf ein mit Gelatine beschichtetes Blatt gelegt und mittels eines Schapirographen 49 vervielfältigt – was uns erlaubte, in 24 Stunden 20 bis 25 Stempel herzustellen. Unseren ersten Schapirographen bekamen wir aus der Slowakei. Nach einer Weile war die Oberfläche so stark abgenutzt, dass die Stempel einen Ring produzierten. Daher begannen wir mit einem Material zu experimentieren, das aus Gelatine und Glycerin bestand. Mit dieser Methode konnten die benötigten Stempel nur in begrenzter Menge hergestellt werden.
c. Stempel bestellen. Mit der oben beschriebenen Methode stempelten wir einen Bestellschein, und daraufhin belieferte uns eine reguläre Stempelfabrik mit gebrauchsfertigen Stempeln.
d. Montage. Wenn wir uns keinen konformen Bestellschein beschaffen konnten oder wenn es gerade besonders gefährlich war, einen herzustellen, mussten wir auf eine kompliziertere Methode zurückgreifen. Wir bestellten universelle Stempelversionen, aus denen wir die geforderte Version zusammenstellten, indem wir den Text in einzelne Buchstaben zerschnitten und diese neu zusammenklebten.
e. Stahlgerahmte Bleibuchstaben. Diese Methode war eher plump und hielt dem genauen Abgleichen mit dem Original nicht stand.
f. Echte Originaldokumente und Formulare. Ein bestimmter Typ von Formular war auf dem freien Markt erhältlich, da die nichtjüdische Bevölkerung ebenfalls Formulare brauchte. Wir kauften diese Formulare an verschiedenen Verkaufsschaltern in grösseren Mengen.
g. Abändern von Originaldokumenten. In bestimmten Fällen wuschen wir das Originaldokument in Chemikalien, die das Geschriebene ganz oder teilweise auflösten, und ersetzten es durch neue Angaben in anderer Schrift.
h. Durchschreibeverfahren. Die Grundlage für das Dokument war ein von uns in der Werkstatt vervielfältigtes Formular.
Die gefälschten Dokumente allein boten bei Strassenkontrollen keinen ausreichenden Schutz und konnten auch bei einem langen, alarmbedingten Aufenthalt in Schutzräumen die Gefahr nicht ganz bannen. Die gefälschten Papiere hatten aber psychologischen Wert; sie verschafften ihren Besitzern die Grundlage für ein selbstbewusstes Auftreten – denn jemand, der sich unnatürlich und nicht selbstbewusst verhielt, war verloren, selbst wenn er oder sie ein Dokument in der Tasche hatte. Man musste stets wissen, welches Dokument wann vorzuzeigen war.
Als die Regierung im Oktober 1944 an Szálasi überging, wurde der Terror gegen die Juden durch tiefen Hass genährt. Die Gelbsternhäuser boten nicht mehr länger die relative Ruhe oder Sicherheit. Es waren besondere Tricks nötig, um auch nur eine Person aus einem geschlossenen Haus zu «extrahieren». Leute von der Bewegung wurden in Uniformen der Pfeilkreuzler, der «Levente» 50 oder der Hilfssicherheitskräfte, die Menschen retteten, gesteckt.
Unter der Schirmherrschaft neutraler Staaten wurden «Schutzhäuser» errichtet. Die Gesandtschaften stellten Schutzbriefe in limitierter Höhe an jene aus, die berechtigt waren, in den «Schutzhäusern» zu wohnen. Wir unterstützten sie, indem wir massenweise selbst hergestellte schweizerische, schwedische und vatikanische Schutzbriefe ausstellten.
Die Idee, zusätzlich zu den von den ungarischen Behörden