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Unter Schweizer Schutz


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Doch die Bahngleise [von Theresienstadt] nach Auschwitz waren damals schon nicht mehr vorhanden. So wurden sie gerettet und kehrten aus Theresienstadt nach Bratislava zurück.

      Ich bin 1946 ins damalige Palästina ausgewandert. Ich war Kibbuzmitglied und machte eine Ausbildung im Kibbuz Ma’anit. Anschliessend war ich eines der Gründungsmitglieder des Kibbuz Jas’ur. Meine Schwester heiratete den Goj, der sie in Bratislava gerettet hatte. Sie bekamen einen Sohn. Meine Eltern emigrierten 1949 nach Israel. Mein Vater nahm sofort seinen Beruf wieder auf und wurde Direktor der Druckerei der ungarischen Zeitung «Új Kelet» – «Neuer Osten» –, bis er in Rente ging.

      Meine zukünftige Frau, Trudi, die ich als Mädchen auf der Insel Csepel getroffen hatte, ist auch nach Israel ausgewandert. Sie war mit dem Kasztner-Transport aus Ungarn geflohen. Wir begegneten uns 1947 wieder, im Krankenhaus in Haifa, als ich von meiner Verwundung genas, die ich mir bei Kämpfen im Westgalil zugezogen hatte. Trudi ist 2009 gestorben. Wir hatten eine Tochter, die mit zweiunddreissig Jahren gestorben ist. Sie war Mutter von zwei Kindern, ein Junge und ein Mädchen. Mein Enkel hat vor sechs Jahren Suizid begangen. Meine Enkelin hat ein sechs Monate altes Baby – meine Urenkelin. Das ist meine Geschichte. Mein Lebenslauf.

      Meine Gefühle gegenüber Carl Lutz? Ich kann mir keine grössere Opferbereitschaft als seine vorstellen. Er hätte ermordet werden oder von den Deutschen mit Leichtigkeit beseitigt werden können. Sie hätten ihn jeden Moment beseitigen können, indem sie einen Unfall «inszenierten». Das war absolut legitim damals.

      Das Interview wurde im Mai 2017 von Noga Yarmar in Giv’atajim, Israel, geführt.

      Aus dem Hebräischen von Barbara Linner

      Jean Greenstein

      Jean Greenstein bei seiner Rede vor dem US Senat, Washington, D. C., USA 2008

      Tarzana, Kalifornien, USA

      Geboren als Egon Grünstein am 9. Juli 1924 in Veľký Sevľuš (Tschechoslowakei; heute Vynohradiv, Ukraine), gestorben am 24. Februar 2018 in Tarzana.

      «Wir versuchten zu retten, wen wir konnten, wie wir konnten»

      Ein Gespräch zwischen Vater und Sohn

      Im September 1944 wurde Egon Grünstein in eine Reserveeinheit der 22. SS-Freiwilligen-Kavallerie-Division in Budapest eingezogen. Seine falschen Papiere wiesen ihn als Hans Karl Schleier aus, einen deutschstämmigen Tschechoslowaken. Nach einer militärischen Grundausbildung wurde Egon Grünstein beordert, auf dem Motorrad durch Budapest zu patrouillieren und deutsche Deserteure aufzugreifen. Da niemand seinen täglichen Verbleib überwachte, konnte sich Egon Grünstein heimlich der Widerstandsbewegung anschliessen, die vom September 1944 bis Januar 1945 in Budapest aktiv war.

      Lawrence: Dad, erzähl, wie du deutscher Soldat geworden bist.

      Jean: Ich hatte in Veľký Sevľuš einen guten Freund. Sein Name war Hans Friedrich Schleier. Sein Cousin, Hans Karl Schleier, lebte in einer Kleinstadt in der östlichen Tschechoslowakei. Eines Tages stürzte Hans Karl mit seinem Fahrrad, sein Kopf prallte an einen Felsen und er verlor das Bewusstsein. Niemand wusste, was mit ihm los war. Sie brachten ihn nach Hause, und als sie am nächsten Morgen mit ihm ins Krankenhaus wollten, war es zu spät, er war tot. Mein Freund, Hans Friedrich Schleier, ging zur Familie seines Cousins, nahm seine Papiere an sich und gab sie mir. Hans Karl hatte auch einen Ausweis mit Foto, wir lösten es geschickt ab und setzten meins dafür ein. Ich bekam auch seine Geburts- und seine Taufurkunde. Meine Mutter nähte die Dokumente in die Vorderseite meiner Jacke ein, zusammen mit ein paar Goldmünzen, die mir mein Vater gegeben hatte. In Europa waren damals alle Anzüge zweireihig.

      Lawrence: Dann hast du deinen Weg in den jüdischen Untergrund von Budapest gefunden, und du hast mit einem ihrer Leiter gesprochen.

      Jean: Adonyahu Billitzer hiess er.47

      Lawrence: Billitzer, genau. Was für Aufgaben hast du dort übernommen, du hast gesagt, du seist Kurier gewesen?

      Jean: Einmal fuhr ich an die ungarisch-rumänische Grenze, wo mir jemand einen Proviantsack «voller Obst» in die Hand drückte, den ich zu überbringen hatte. Sie sagten mir: «Schau nicht rein.» Die Eisenbahnpolizei passierte mehrmals. Sie machten sich nicht einmal die Mühe, den Sack zu kontrollieren. Ich wusste nicht, dass ich 200 000 Dollar bei mir hatte. In Budapest übergab ich sie dem jüdischen Untergrund.

      Lawrence: Eine Zeit lang hast du dann als Kurier gearbeitet, aber irgendwann hast du dem Untergrund deine Papiere gezeigt, wann war das?

      Jean: Nachdem ich über das Untergrundnetzwerk Herschi Reich getroffen hatte. Herschi, der aus der Slowakei stammte, hatte blaue Augen und war sehr gross und blond. Er sah überhaupt nicht jüdisch aus.

      Als all diese Dinge passierten, hing er einfach nur in Budapest herum. Wir beschlossen, dass er ein Pfeilkreuzler-Milizionär werden sollte, weil er kein Deutsch konnte.

      Lawrence: Du und Herschi wart also ein Duo?

      Jean: Ja. Er war ein ungarischer Soldat und ich ein deutscher. Die deutschen und ungarischen Faschisten rekrutierten achtzehn–, neunzehnjährige Kids. Sie führten die Juden an die Donau, erschossen sie und warfen sie ins Wasser. Es war furchtbar. Unsere Aufgabe war, sie zu retten. Ich würde sagen, wir gingen so zweimal täglich hin und retteten vermutlich Hunderten und Aberhunderten von Menschen das Leben.

      Lawrence: Wie seid ihr vorgegangen?

      Jean: Herschi und ich begaben uns jeden Tag an die Donau. Dort gingen wir auf die Pfeilkreuzler zu und zeigten ihnen unsere Ausweise. Wir sagten, diese Juden seien Verbrecher und müssten sofort uns übergeben werden. Manchmal wollten sich die Pfeilkreuzler widersetzen, dann landeten sie selbst in der Donau. Wir mussten aufpassen, mussten dafür sorgen, dass uns niemand sah. Wir versuchten zu retten, wen wir konnten, wie wir konnten. Danach brachten wir die Juden zum Glashaus. Irgendwann fand jemand ein Wappen der Schweizer Gesandtschaft. Sie brachten es am Glashaus an, um zu zeigen, dass das Gebäude unter dem Schutz der Schweizer Regierung stand. Wir suchten auch einen Juden auf, der damals solche Wappen anfertigte. Sein Laden war konfisziert worden, aber er konnte immer noch in seine Werkstatt. Er gab uns drei oder vier gefälschte Wappen, und wir brachten sie aussen am Glashaus an. Wenn dann ungarische oder deutsche Nazis kamen und das Wappen sahen, zogen sie wieder ab. Der Untergrund hatte eine Fabrik mit einer Druckerei, und wie du dir denken kannst, druckten wir alles nach, was wir in die Hände bekamen. Die Schweizer Regierung händigte, schätze ich, an die 300 Schutzbriefe an Juden aus. Wir nahmen diese Schutzbriefe und fertigten rund 30 000 Kopien an.

      Lawrence: Hast du einmal Probleme mit einer deutschen Patrouille bekommen, die wissen wollte, ob du wirklich ein deutscher Soldat warst?

      Jean: Ja. Nun, wir haben sie zum Schweigen gebracht.

      Lawrence: Erklär mir, was das heisst.

      Jean: Sie endeten in der Donau.

      Lawrence: Nachdem du diese Juden vor der Deportation oder der Exekution gerettet hast, hast du sie einfach zum Glashaus gebracht?

      Jean: Ja, so war das.

      Lawrence: War es koordiniert, haben sie euch jedes Mal erwartet?

      Jean: Ja, es war koordiniert.

      Lawrence: Hatten die Leute, mit denen ihr im Glashaus zu tun hattet, eine Ahnung, dass du Jude bist?

      Jean: Nein, natürlich nicht! Ich trug schliesslich die deutsche Uniform. Es brauchte niemand zu wissen, dass ich Jude bin.

      Lawrence: Was du mir sagst, ist im Grunde, dass der Untergrund diese Menschen zu ihrer eigenen Sicherheit im Unwissen liess.

      Jean: Richtig.

      Lawrence: Was waren das für Dokumente, die du hattest, um sie den Deutschen vorzuweisen?

      Jean: Was immer gebraucht wurde, wir hatten es.

      Lawrence: