zionistischen Jugendwiderstands im Glashaus, das ab Mitte August 1944 dessen Hauptsitz war.
Bis zum 15. Oktober 1944 wurden die Aktivitäten der zionistischen Jugendbewegung von Rafi Benshaloms Zimmer aus organisiert (an seiner Tür war ein Hinweis, der besagte: «Chaluz Sektion»), ohne dass die Leitung des Glashauses oder Carl Lutz davon wusste. Nachdem die Pfeilkreuzler die Macht ergriffen hatten, wurde die Trennung aufgehoben, und die zionistische Jugendbewegung und die Leitung des Glashauses (jüngere und ältere Generationen) arbeiteten zusammen. Die ältere Generation hatte Verständnis für die Initiativen der Jugendbewegung und kooperierte mit ihr. So wurde im Glashaus unter der Leitung von Alexander Grossman die Operation gestartet, Schutzbriefformulare in der Auflage von 10 000 Exemplaren zu drucken.51 Alle beteiligten sich am Austragen, Junge wie Alte, Zionisten, Antizionisten, Orthodoxe, Atheisten, Leute aus dem Glashaus, von der Zweigstelle der Schweizer Gesandtschaft in der Perczel-Mór-Strasse 2 und von den Büros des Internationalen Roten Kreuzes. Freiwillige Kuriere wurden in die Gelbsternhäuser in Budapest und in die in ganz Ungarn verstreuten Zwangsarbeitslager entsandt, um zu verhindern, dass die Internierten nach Deutschland verschleppt wurden. Dieses gewaltige, komplexe Unternehmen überstieg die Kapazitäten des durch die zionistische Jugendbewegung betriebenen Zentralateliers. Das Verdienst gebührt, falls man von Verdienst sprechen kann, wenn es um die Rettung von Menschenleben geht, Alexander Grossman, seinem Team und Hunderten anderen, Bekannten und Unbekannten, die an der Mission mitgewirkt haben.
Endre Grósz, Budapest, Ungarn 1944
Die Nachfrage nach Schweizer Papieren stieg so stark an, dass unsere Werkstatt zu klein wurde. So richteten wir gegenüber der schweizerischen Gesandtschaft am Szabadság tér (Freiheitsplatz) unsere eigene «Gesandtschaft» ein. Vom frühen Morgen bis spät in die Nacht versammelten sich hier viele Menschen – darunter auch viele Christen –, um Schutzbriefe für sich selbst oder ihre jüdischen Bekannten zu bekommen. Niemandem wurde die Hilfe verweigert. Laut Schätzungen war jeder zweite Budapester Jude in Besitz einer Art Schutzdokument.
Diese Dokumente brachten wahre Wunder zustande: Ganze Einheiten wurden aus Zwangsarbeitslagern an der deutsch-ungarischen Grenze zurückgeholt. Es kam sogar vor, dass Menschen von den Todesmärschen nach Hegyeshalom oder kurz vor der Exekution am Ufer der Donau gerettet werden konnten, wenn sie die Schutzpapiere rechtzeitig erhalten hatten.
Mitte Dezember standen die «russischen Dampfwalzen» vor den Toren Budapests. Die Bevölkerung wurde aufgefordert – freiwillig –, nach Westen zu fliehen. Man durfte sich nur für besondere Erledigungen, auf «direkten Befehl»52 oder mit speziellem Behindertenausweis auf den Strassen aufhalten. Bei Dunkelheit auf der Strasse zu sein, war gefährlich; Menschen wurden ohne Grund erschossen. Wir arbeiteten fieberhaft, pausenlos; wir wussten, es war das Ende. In jedem Augenblick konnte ein Stück Papier ein Menschenleben bedeuten, eine erfolgreiche Mission, eine Sabotage oder einen Beitrag zum Befreiungskampf.
Sämtliche Mitglieder der Bewegung waren mit der Rettung von Menschen beschäftigt. Juden, Kommunisten und andere Bürger, alle setzten ihre Hoffnung auf uns, auf unser Stück Papier. Wir waren der Rückhalt für alle, die auf die Befreier warteten, wir waren diejenigen, die den Weg für ihre Ankunft freimachten. Unsere Arbeit war Grundlage und Voraussetzung für alle andere Aktivität.
Am 21. Dezember zogen wir in den ersten Stock der Nummer 13 am Erzsébet-Ring. Kurze Zeit später wurden wir verhaftet. An diesem Tag war es mit der Herstellung von gefälschten Dokumenten in unserer Werkstatt vorbei. Kriminalbeamte der Pfeilkreuzler suchten nach Juden und fanden uns. Sie fesselten uns und konfiszierten unsere Uhren, unser Geld, Wertsachen, Füllfederhalter – und die Verhöre begannen. Sie schlugen uns, raubten die Wohnung aus, und um neun Uhr abends führten sie uns in die Parteizentrale am Erzsébet-Ring. Um Mitternacht mussten wir uns in einer Reihe aufstellen, und sie nahmen uns Mäntel, Pullover und Schuhe ab. Sie verlangten unsere Personalangaben. Von Mitternacht bis fünf Uhr morgens wurden wir pausenlos geschlagen. Die vierzehn- oder fünfzehnjährigen Jungen waren die brutalsten. Im Bestreben, sich vor den Älteren zu beweisen, prügelten sie immer kräftiger auf uns ein. Das Stöhnen und Schreien der Opfer war für sie nur Öl ins Feuer. Doch trotz der brutalen «Behandlung» brach nicht einer von uns zusammen oder gab die geringste Information preis – weder Namen noch Adressen. Um ungefähr sieben Uhr starb einer unserer geliebten Kameraden – Miky Langer – in unseren Armen. Auch unsere Erschütterung konnte die brutalen, barbarischen Pfeilkreuzler nicht davon abhalten, ihm noch ein paar weitere Tritte zu versetzen, ihn auszuziehen und seine Leiche wegzubringen. Wir waren ohne Miky zurückgelassen …
Am Nachmittag trafen Untersuchungsbeamte aus dem Polizeipräsidium ein, die mit Kriminalverhören Erfahrung hatten und versuchten, uns auf psychologische Weise zu beeinflussen. Dann brachten sie uns unter militärischer Bewachung ins Militärgefängnis am Margit-Ring (in das Gefängnis, in dem im November Hannah Szenes ermordet worden war). Am Nachmittag des 23. Dezember wurde ich zum Verhör geholt. Nach ein paar Elektroschocks zur Zermürbung holten sie wahllos Gegenstände aus den Koffern: zum Beispiel einen Schutzpass oder einen Stempel. Selbst wenn ich die Wahrheit sagte, glaubten sie mir nicht. Sie nannten die Namen sämtlicher zionistischer Führungskräfte und fragten, ob ich sie kenne, wer was wo getan habe. Sie freuten sich, endlich jemanden vom Haschomer Hazair zwischen die Finger bekommen zu haben.
Sie versprachen uns ein weiteres Verhör am nächsten Tag, mit Protokoll. Damit war die Phase des Prügelns zu Ende; der Zeitpunkt des Urteils nahte …
Am 24. Dezember, Heiligabend, begann der Überfall auf Budapest. Die Gefangenen vom Margit-Ring wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Juden in die eine und Christen in die andere. Die Christen wurden abgeführt, und wir Juden erwarteten ebenfalls, dass wir unserem Tod zugeführt oder auf der Stelle von Maschinengewehren erschossen würden. Aber an diesem und auch am nächsten Tag geschah nichts. Wir überlegten uns jeden möglichen Fluchtweg. Wir dachten an eine Leiter aus Laken und Kleiderbügel, kamen aber über die Planungsphase nicht hinaus.
Am Nachmittag wurden wir zum Exerzierplatz gerufen und mussten uns in Reihen aufstellen. Ein Offizier des Stadtkommandos erschien und verlas eine Namensliste. Die Gesichter der Wärter verrieten, dass unser Schicksal besiegelt war. Aber die Liste klang merkwürdig. Unter den aufgerufenen Namen waren die Namen von Leuten, die nicht einmal im Gefängnis waren. Die Namen der Anwesenden passten nicht zu denen auf der Liste. Offenbar wusste derjenige, der diese Liste zusammengestellt hatte, wer immer es war, nicht mit Sicherheit, wer wirklich im Gefängnis war. Wir nutzten die Verwirrung aus und antworteten nicht. Plötzlich liess mich einer der aufgerufenen Namen aufhorchen: Tibor Rapos Farkas.
Ich gab mich als Tibor Rapos aus – ein Name, den ich zuvor einmal angenommen hatte – und trat vor. Die anderen, die sahen, was ich tat, folgten meinem Beispiel. Die Wächter verstanden dieses sonderbare Verhalten nicht, waren aber froh, uns loszuwerden, damit sie bei der Ankunft der Russen so wenig Gefangene wie möglich hatten. Sie gingen der Namensfrage nicht weiter auf den Grund; sie liessen die ganze Gruppe jener, die bereitwillig vorgetreten waren, gehen, überzeugt, dass es in den Tod ging.
Eskortiert von mit Maschinengewehren bewaffneten Soldaten marschierten wir durch die leeren Strassen von Buda. Als wir die Széchenyi lánchíd (Kettenbrücke) überquert hatten, bog ich an der Spitze der siebzehn Leute ab und marschierte wortlos zum zentralen Parteisitz in der Wekerle-Sándor-Gasse 17 (eins der Häuser unter Schutz der Schweizer Gesandtschaft).
Als ich meine Freunde sah, die am Eingang des Gebäudes auf uns warteten, verstand ich die wahre Bedeutung des Wortes «Waffenbrüder». Ich war überglücklich, von meinen Freunden gerettet worden zu sein.
In den neun Monaten der Operation hatten wir eine beträchtliche Menge von Papieren herstellen können, darunter 10 000 Geburtsurkunden, 10 000 Personalausweise, 8000 Heiratsurkunden, 4000 Aufenthaltsbescheinigungen, 3000 christliche Taufurkunden, 2000 Flüchtlingsurkunden, 70 000 polizeiliche Meldescheine und 12 0000 Schweizer Schutzbriefe.
Ausschnitte aus «David Gur’s Testimony», in: Rafi Benshalom: We Struggled For Life, Jerusalem 2001, S. 135–159. David Gur gewährte 2015 in einem Gespräch mit Charlotte Schallié in Ramat Gan weitere Einsichten.
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