Aneta Stojic

Deutsch-kroatische Sprachkontakte


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man für seine linguistischen Resultate präzisere Ausdrücke findet (Filipović, 1986: 29). Wichtige Veränderungen in dieser Hinsicht brachten im 20. Jahrhundert die strukturalistischen und soziolinguistischen Untersuchungen von Weinreich (1968) und Haugen (1950, 1956), die für die Prozesse der ‘Sprachmischung’ von bilingualen Individuen und Sprachgruppen die Termini Sprachkontakt und Interferenz einführten. Ab diesem Zeitpunkt wandte sich das Forschungsinteresse von Fragen nach der Entstehung und den Strukturen von Mischsprachen zu den Untersuchungen empirisch beobachtbarer Sprachkontakte. Erst mit dem sogenannten Haugen-Weinreich-Paradigma, wie es Filipović 1986 nennt, entdeckte die Germanistik die Sprachkontaktforschung. Haugen (1950: 214ff) lehnt den Begriff der Sprachmischung ab und führt den Terminus borrowing ein und versteht darunter einen Reproduktionsvorgang, bei dem ein Sprecher der Nehmersprache ein spendersprachliches Vorbild mehr oder minder originaltreu wiedergibt. Haugen unterscheidet darüber hinaus zwei grundlegende Verfahren des Entlehnens: Import und Substitution und kommt so zu einer einfachen Typologie, auf deren Grundlage andere Autoren – v.a. inspiriert durch Betz (1949, 1959, 1965) – stärkere Differenzierungen vornehmen. Haugens Typologie beruht auf drei Typen der Entlehnung: Lehnwort (loanword), Ersetzung (loanshift oder morphemic substitution) und Teilersetzung (loanblend). Die Entlehnungstypen betrachtet Haugen in Relation zu den Formen in der Gebersprache bzw. zum Modell. Ein Wort gilt erst dann als Entlehnung, wenn es in der Nehmersprache als vollkommen assimiliert gilt und phonologisch, morphologisch und syntaktisch integriert ist. Die Verwendung von Ausdrücken zweier Sprachen betrachtet Haugen nicht als zufällige Sprachmischung, sondern als bewusstes Handeln des Sprechers, was er Codeswitching nennt (1956: 540). Während bei Codeswitching die Wörter bzw. Sätze in ihrer ursprünglichen Form belassen werden, erfolgt bei der Entlehnung eine Integration in das andere Sprachsystem. Es stellt die größte Entfernung zwischen zwei Sprachsystemen dar. Nach Weinreich (1977: 15) sind „diejenige[n] Fälle der Abweichung von den Normen der einen wie der anderen Sprache, die in der Rede von Zweisprachigkeit als Ergebnis ihrer Vertrautheit mit mehr als einer Sprache, d.h. als Ergebnis des Sprachkontakts vorkommen […]“, als Interferenzerscheinungen zu bezeichnen. Die Abweichungen kommen dadurch zustande, dass sprachliche Elemente aus einem Sprachsystem in das zweite Sprachsystem übertragen, diesem zugeordnet und in dieser Sprache angewendet werden. Die Interferenz wird dabei als Normverletzung verstanden, die durch die gegenseitige Beeinflussung zweier Sprachen sowohl in der einen als auch in der anderen Sprache entstehen kann. Übertragungen (und deren Ergebnisse), die innerhalb eines Sprachsystems auftreten können, werden dabei nicht berücksichtigt. Weinreich (1976: 79ff) schlägt weiter vor, „zwei Stadien der Interferenz“ zu unterscheiden: Die Interferenzerscheinungen, die im persönlichen Sprachgebrauch einzelner Zweisprachiger auftreten, und die Interferenzphänomene, die zum fixen Bestandteil des Sprachsystems einer Sprachgemeinschaft geworden sind. Weinreich (1976) trennt also Interferenzerscheinungen, die sich im Bereich der Rede (parole) manifestieren, von der Integration solcher Interferenzen im Bereich der Sprache (langue). Somit unterscheidet Weinreich Interferenz von Integration. Die Interferenzen teilt Weinreich weiter in lautliche, grammatische und lexikalische, da der Terminus Interferenz die Restrukturierung von Strukturschemata einschließt, die sich aus der Einführung fremder Elemente in die Bereiche des phonologischen Systems, der Morphologie und Syntax sowie einigen Feldern des Wortschatzes ergeben. Interferenz ist jedoch ein negativ besetzter Begriff, weil er unerwünschte Erscheinungen bezeichnet. Übertragungen, die als positiv betrachtet werden, werden als Transfer bezeichnet. Interferenz wird auch als negativer Transfer bezeichnet. Um den mehrdeutigen Begriff Interferenz zu vermeiden, wählt Clyne (1996) den Terminus Transferenz für den Vorgang und Transfer für das Ergebnis. In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts verwenden Sprachwissenschaftler wieder Haugens Terminus borrowing bzw. Entlehnung, womit die unterschiedlichsten Formen von Übernahme des Elementes einer Sprache in eine andere bezeichnet werden.

      Von den Arbeiten Haugens und Weinreichs ausgehend, führt der kroatische Sprachwissenschaftler Rudolf Filipović die kroatische Terminologie in die Sprachkontaktforschung ein, deren Gegenstand Berührungen und Konflikte zwischen Sprachen, Zwei- und Mehrsprachigkeit, Übersetzungswissenschaft, Erst- und Zweitspracherwerb sowie sprachliche Interferenz und Integration umfasst (vgl. Filipović, 1986: 15). Wichtig dabei ist immer die Rolle, die die Sprachen im Kontakt im Entlehnungsprozess innehaben. Die Ebenen, auf denen die Beschreibung der sprachlichen Interferenzen möglich und notwendig ist, sind die phonologische, morphologische, semantische, lexikalische, syntaktische und stilistische (ebd. 53). Das Innovative an Filipović Theorie ist die Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer sprachlicher Adaption. Im Zuge der primären Adaption wird die Entlehnung dem sprachlichen System der Nehmersprache angepasst, während im Zuge der sekundären Adaption diese assimilierte Entlehnung Veränderungen durchlaufen kann, wie jedes andere native Wort. Die ursprüngliche Form des Wortes in der Gebersprache heißt Modell, die übernommene Form in der Gebersprache Replik (ebd. 38). Die Replik erscheint in drei Formen: 1. in der gleichen Form wie das Modell, es handelt sich um einfache Übernahme aus einer Sprache in die andere; 2. in einer Kompromissform, d.h. die Replik hat sich dem Modell gegenüber aufgrund von Interferenzen auf einer oder mehreren sprachlichen Ebenen verändert; 3. in integrierter Form, so dass die Replik nicht mehr als fremdes Wortgut erkannt wird, weil es im Prozess der Adaption vollkommen an die Nehmersprache angepasst wurde.

      Im Laufe ihrer Entwicklung ist die Sprachkontaktforschung zu einem weiten, interdisziplinären Forschungsfeld geworden, das sich bei der Untersuchung abstrakter sprachlicher Systeme im Kontakt ebenfalls mit Fragen der Psycho- und Soziolinguistik, Anthropologie, Kulturgeschichte, (Sprach-)politik, Pädagogik, Kommunikations- und Literaturwissenschaften auseinandersetzt (Oksaar, 1984: 853). In neuerer Zeit beschäftigt sich auch die Ökolinguisitk mit diesem sprachlichen Phänomen, mit dem Ziel, Unterschiede zwischen Entlehnungen im gesamten Sprachsystem, Entlehnungen in Dialekten und Entlehnungen in Soziolekten festzustellen (Sočanac, 2004: 31).

      2.2 Lehnwortforschung

      Die Lehnwortforschung ist eines der ältesten Forschungsgebiete der Sprachkontaktforschung, die sich insbesondere mit den Wirkungen des sprachlichen Kontaktes sowohl auf der Ebene des Sprachsystems (Sprachkontakt im engeren Sinne) als auch auf der Ebene der Individuen (Zwei- oder Mehrsprachigkeit) beschäftigt. Das Ziel ist die Identifikation und Analyse der einzelnen Spuren des Sprachkontaktes mithilfe synchronischer Diagnosen (Bechert/Wildgen, 1991: 57). Die Lehnphänomene lassen sich sprachebenenspezifisch gliedern (Tesch, 1978: 83ff) in phonetisch-phonologische, die Phonemimport, Phonemschwund bzw. Phonemzusammenfall verursachen, grammatikalische, die in der Entlehnung der Wortbildungsmorpheme und Flexionssubstitution ihren Ausdruck finden, lexikalisch-semantische, die in der Übernahme bzw. Nachbildung der Lexeme bestehen, syntaktische, wodurch sich Lehnkonstruktionen und Lehnwortstellung im Satz ergeben. Die Übernahme betrifft jedoch vor allem die lexikalische Ebene, weil Wörter wegen ihrer allgemeinen Dynamik am einfachsten zu entlehnen sind. Der lexikalische Einfluss geht insbesondere auf inner- und außersprachliche Gründe zurück. Im Unterschied zu grammatischen und syntaktischen Elementen und Beziehungen innerhalb des Sprachsystems, die primär eine innersprachliche Funktion (z.B. Rektion, Koordination, Wortfolge) ausüben oder eine allgemeine Beziehung zur außersprachlichen Wirklichkeit (Tempora, Deiktika etc.) darstellen, steht bei den lexikalischen Einheiten die denotative Funktion im Vordergrund. Der Sprecher kann lexikalische Einheiten einer anderen Sprache am einfachsten wahrnehmen und lernen, weil diese explizit mit der außersprachlichen Wirklichkeit verbunden sind. Darüber hinaus ist die Lexik innerhalb des Sprachsystems mehr oder weniger offen und deshalb dynamischer bei der gegenseitigen Beeinflussung als das grammatische System. Dies stellt die strukturelle und kognitiv-semantische Grundlage des lexikalischen Einflusses einer Sprache auf eine andere dar.

      Ein weiterer Grund ist das universale Bedürfnis für die Benennung neuer Entitäten. Die Motive können innersprachlich, z.B. geringe Verwendungshäufigkeit, schädliche Homonymie und der stetige Bedarf an Synonymie sein (vgl. Weinreich, 1977: 80ff). Diese Motive dürfen jedoch nicht als absolute Determinanten betrachtet werden, sondern sind vielmehr als Tendenzen zu verstehen. Die Gefahr ist groß, dass selten benutzte Wörter durch Lehnwörter ersetzt werden. Bei dem Grundwortschatz ist diese Gefährdung durchaus geringer. Homonymie ist ein großer Anreiz für lexikalische Entlehnungen, da die phonetische Übereinstimmung unterschiedlicher Begriffe den Sprecher verwirrt und das anders