Befugnisse
Die Befugnisse der verschiedenen Minister zeigen, inwiefern Ostbelgien über seine eigene Entwicklung bestimmen kann:
Der Ministerpräsident (Oliver Paasch) führt seine Regierung und kümmert sich ebenfalls um die lokalen Behörden.
Harald Mollers ist Minister für Unterricht, Ausbildung und Beschäftigung.
Isabelle Weyckmans ist Ministerin für Kultur, Medien und Tourismus.
Antonios Antoniadis ist Minister für Familie, Gesundheit und Soziales.1
Die Deutschsprachige Gemeinschaft ist bisher im Wesentlichen für kulturelle Angelegenheiten, personenbezogene Angelegenheiten und Bildung zuständig, außerdem für die zwischengemeinschaftlichen und internationalen Beziehungen in den eigenen Kompetenzen. Dies heißt, dass die DG befugt ist, im Rahmen ihrer Autonomie internationale Abkommen und Verträge abzuschließen.
Zu den personenbezogenen Angelegenheiten gehören u.a. Familie, Gesundheit, Sozialhilfe, Empfang und Integration von Einwanderern, Behindertenfürsorge, Seniorenpolitik, Jugendhilfe, Wiedereingliederung von Gefangenen. Auf die heutige Politik im Unterrichtswesen und auf die kulturellen Kompetenzen werden wir später noch näher eingehen.
Schließlich soll noch kurz vermerkt werden, dass es laut Artikel 139 der belgischen Verfassung jederzeit möglich ist, ein Abkommen mit einer anderen Region bzw. Gemeinschaft abzuschließen, um einen Teil derer Befugnisse zu übernehmen. Auf diesem Weg hat die DG gewisse Befugnisse von der Wallonischen Region übernommen, und zwar:
Denkmal- und Landschaftsschutz (1994) sowie Ausgrabungen (2000),
Beschäftigung (2000),
Aufsicht und Finanzierung der neun deutschsprachigen Gemeinden (2005).
4.3 Offene Frage: Separatismus
Belgien fällt, wie gesagt, international dadurch auf, dass sich seine Institutionen in stetigem Wandel befinden. Damit gibt diese Politik dem Ausland den Eindruck, die Existenz des Landes wäre in regelmäßigen Abständen bedroht. Bisher wurde jedes Mal eine Lösung gefunden, auch wenn das Land den Weltrekord der längsten Regierungsbildung (541 Tage) hält. Das liegt daran, dass jede Neuordnung des Staates, die ja friedlich stattfindet, eine ganze Reihe von Mutationen in Verwaltung und Ämtern nach sich zieht, deren Konsequenzen nicht immer bei Abschluss der Regierungsverträge sichtbar waren. Für die Deutschsprachige Gemeinschaft gab es im Rahmen dieser Mutationen meistens nur Nebenprodukte, da sie, wenn sich die beiden großen Gemeinschaften einigen konnten, von den Prinzipien der Neuverteilung profitieren konnte. Politisch ist das Gewicht der DG bisher jedoch zu gering, um eigene radikale Forderungen durchzusetzen.
Als Belgien vor Kurzem zu explodieren drohte, machten die eigenartigsten Szenarien die Runde. Sollte Flandern sich als unabhängig erklären, wurden in informellen Gesprächen u.a. folgende Lösungen erörtert:
1 Die DG bleibt im Reststaat Belgien (Wallonien mit Brüssel)
2 Die DG wird ein autonomer Staat (wie Luxemburg oder Liechtenstein)
3 Die DG beantragt eine Einverleibung in Deutschland
4 Die DG beantragt eine Einverleibung in Luxemburg
Doch im Grunde hatte bis dato niemand ernsthaft daran geglaubt, dass es so weit wie in Katalonien kommen könnte. Die belgischen Bürger haben sich mittlerweile an eine extreme Dramatisierung der Sprachenkonflikte im Land gewöhnt, die von den einen oder anderen herbeigeführt wird, um diese oder jene Änderung in der Struktur des Staates durchzusetzen. Indessen haben fast alle begriffen, dass zwei Dinge wahrscheinlich nicht friedlich teilbar sind: Brüssel und die belgische Staatsschuld. Und so wurde auch nach der längsten Regierungskrise, die Belgien mitgemacht hat, ein demokratisch verabschiedeter Kompromiss gefunden, der sich in einer sechsten Staatsreform konkretisieren ließ.
4.4 Eine siebte Staatsreform?
In den letzten Staatsreformen (4. bis 6.) sind also weitere Befugnisse an die Regionen oder Gemeinschaften übertragen worden. Dabei wurde auch der Deutschsprachigen Gemeinschaft jeweils das zugewiesen, was auch auf die anderen Einheiten übertragen worden ist. Ein Beispiel ist hier u.a. das Kindergeld, das fortan von den Gemeinschaften ausbezahlt wird. Wenn die letzte Staatsreform, die sechste, vollständig ausgeführt sein wird, werden Gemeinschaften und Regionen mehr Gelder zur Verfügung haben als der Zentralstaat. Mit den neuen Aufgaben wächst dann gleichermaßen die Verwaltung. Die Verlegung vieler Arbeitsplätze in diesen Bereichen nach Eupen stellt die Regierung vor neue logistische Probleme, denn die zur Verfügung stehenden Gebäude stoßen langsam an ihre Grenzen.
Vor Kurzem ist es zu weiteren Verhandlungen zwischen der Deutschsprachigen Gemeinschaft und der wallonischen Region zur Übernahme von neuen Bereichen, wie zum Beispiel dem Verkehr oder der Energiepolitik, gekommen; diese Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen.
Zwischendurch hat die Regierung der DG beschlossen, den Terminus „Ostbelgien“ zu verwenden. Dies weist eher auf ein Territorium hin, wobei das Gebiet der Deutschsprachigen Gemeinschaft sich ja wie gesagt auf dem Territorium der Wallonie befindet. Es wurden ebenfalls Stimmen laut, bei einer siebten Staatsreform dann die Einrichtung einer vierten Region (neben Flandern, der Wallonie und Brüssel) für die Deutschsprachigen einzufordern. Ostbelgien als vierte Region hätte dann die gleichen Befugnisse wie die anderen Regionen. Dies würde ebenfalls eine Übertragung vieler neuen Aufgaben mit sich bringen, die wiederum sehr hohe Kosten verursachen würden. So bleibt diese Frage ganz offen; sie wäre sowieso erst fällig, sollte diese siebte Staatsreform von den beiden großen Gemeinschaften angepeilt werden.
5 Die wichtigste Kompetenz: das Schulsystem
Ganz deutlich steht im Dekret vom 19. April 2004 über die Vermittlung und den Gebrauch der Sprachen im Unterrichtswesen Artikel 4 § 1: „Deutsch ist Unterrichtssprache“. Dies ist heute so, war in der Geschichte der DG jedoch nicht immer selbstverständlich.
Als die deutschsprachigen Gebiete zu Belgien gekommen waren, sind viele deutschsprachige Lehrer ausgewiesen worden. Obwohl Gouverneur Baltia um das Jahr 1920 versucht hat, einen deutschsprachigen Unterricht aufrechtzuerhalten, „wurde vor allem in den oberen Klassen und den höheren Schulen Französisch die Unterrichtssprache“ (Greten 2008: 12). Dies änderte sich wieder nach der Annexion Eupen-Malmedys durch das Dritte Reich, wo selbstverständlich alle Unterrichte auf Deutsch waren. Nach dem Krieg wurde anders herum der größte Teil des Unterrichts an den Gymnasien und in der Sekundarschule auf Französisch erteilt, um so eine Distanz zur jüngsten Geschichte herzustellen. Doch wie schon erwähnt, wurde durch die Sprachgesetzgebung Deutsch im Jahr 1963 offiziell zur dritten Landessprache und somit de facto auch zur Unterrichtssprache in der DG.
Durch die Staatsreform von 1988–1990 bekam die DG die Befugnisse im Unterrichtswesen. Dieser Kompetenzbereich ist umfassend: Unterrichtsinhalte, Sprachengebrauch, Schülertransport, Feriendauer, Studienbeihilfen, Lehrergehälter, Schulbauten, Internate usw. Finanziell ist dies einer der wichtigsten Kompetenzbereiche der DG.
Wie im übrigen Belgien werden drei verschiedene Schulnetze in ihrer eigenen Organisation respektiert: das freie subventionierte Unterrichtswesen (FSUW), das offizielle subventionierte Unterrichtswesen (OSUW) und das Gemeinschaftsunterrichtswesen (GUW).1
Das Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft legt den rechtlichen Rahmen für alle drei Schulnetze fest:
Bei den Schulen des freien subventionierten Unterrichtswesens handelt es sich um privatrechtliche Schulen, die von Organisationen oder privaten Personen betrieben und von der DG subventioniert werden.
Die Schulen des offiziellen subventionierten Unterrichtswesens sind öffentlich-rechtliche Schulen, die in der Regel von den Gemeinden organisiert und von der DG subventioniert werden. Im OSUW übernehmen die