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Handbuch des Deutschen in West- und Mitteleuropa


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der heutigen DG hauptsächlich zu Limburg und der südliche Teil zu Luxemburg (Hecking 1875/21977: 38). Die Regionen, die einmal Belgien werden sollten, standen nacheinander unter spanischer, österreichischer, französischer und schließlich bis 1830 unter niederländischer Herrschaft, wobei ein nicht unwichtiger Teil, das Fürstbistum Lüttich, bis 1789 dem Heiligen Römischen Reich angehörte. Ohne auf die vielen Herrschaftswechel der Gebiete einzugehen, sei ein Datum der jüngsten Geschichte mit besonderer Wichtigkeit herausgegriffen: Nach der Niederlage Napoleons wurden 1815 auf dem Wiener Kongress diese Territorien, Eupen-Malmedy-Sankt Vith genannt, die zum französischen Departement „Ourthe“ gehörten, Preußen zugeschlagen, das französischsprachige Malmedy einbegriffen (Maxence 1951: 15). Als Belgien sich 1830 von den Niederlanden loslöste und ein selbständiger Staat wurde, gehörte die deutschsprachige Minderheit also nicht dazu – wohl aber das heutige Großherzogtum Luxemburg, das Areler Land und die sogenannten altbelgischen Gemeinden um die Dörfer Beho und Bocholz.

      Der unabhängige belgische Staat zählte zirka 250.000 germanophone Einwohner (Bergmanns 1986: 12), darunter bildeten die luxemburgischen Dialekte die größte Gruppe. Im Jahr 1838 kam es zur endgültigen Einigung über die territoriale Teilung zwischen Belgien und den Niederlanden.

      Es war das Jahr, als das Großherzogtum Luxemburg als selbständiger Staat geschaffen wurde: Belgien trat einige Gebiete wie Südlimburg an die Niederlande ab und behielt nur einige germanophone Gemeinden im Areler Land (Witte 2005: 100–108), die Letzeburgisch sprachen, sowie die sogenannten altbelgischen Gemeinden. So ging natürlich auch die Bedeutung der deutschen Sprache stark zurück, denn die Gebiete der heutigen Deutschsprachigen Gemeinschaft mit Malmedy lagen in Preußen.

      3.2 Vom Versailler Vertrag bis zum Zweiten Weltkrieg

      Die Bevölkerung der heutigen DG erlebte den Ersten Weltkrieg also auf deutscher Seite. Die Denkmäler in den Dörfern, die an die Gefallenen erinnern, zeigen heute auf belgischem Boden die Namen der Soldaten, die für Deutschland gekämpft haben und gefallen sind.

      Das Datum 1919 ist dennoch entscheidend, denn durch den Versailler Vertrag wurden die Gebiete Eupen-Malmedy-St.Vith Teil des belgischen Staatsgebiets. Durch die Volksbefragung von 1922 wurde dies bestätigt. Heute sind sich fast alle einig, dass es damals eine Scheinbefragung war. Wer nämlich nicht mit der Zugehörigkeit zum belgischen Staat einverstanden war, musste sich namentlich in eine Liste eintragen, was natürlich äußerst riskant war, da jeder mit Vergeltungsmaßnahmen rechnete. Kaum jemand hat also gegen die belgische Integration protestiert (Lejeune 2005: 27). Somit hatte Belgien eine neue deutschsprachige Minderheit von damals zirka 50.000 Personen.

      Der von Belgien eingesetzte Generalkommissar Baltia verfügte 1920, dass alle deutschen Bestimmungen, die den alleinigen Gebrauch der deutschen Sprache vorschreiben, aufgehoben werden. Seitdem waren Deutsch und Französisch Amtssprachen in Neubelgien (Henkes 2012: 8). Die auf Französisch formulierten Gesetze wurden durch einen Übersetzungsdienst ins Deutsche übersetzt.

      So wie bis 1919 eine „Germanisierung“ der Bevölkerung von Malmedy stattgefunden hatte, erleben die Neubelgier jetzt eine Romanisierung. Deutsch wurde zweitrangig, da die maßgebende Gesetzgebung auf Französisch abgefasst war. Wer also in dieser Zeit gesellschaftlich weiterkommen wollte, musste die französische Sprache erlernen. Es gab einen Druck, seine Denkweise zu ändern; gleichzeitig wurde der deutschen Sprache Rechnung getragen.

      Im Areler Land war indessen der Gebrauch der deutschen Sprache auf dem Rückzug. In den 1930er Jahren drückte die Bevölkerung sich dort lieber auf Französisch aus, obwohl das Moselfränkische nebenbei noch lebendig blieb (Mitteilung meines Vaters, der dort aufgewachsen ist). Die Hauptursachen scheinen in den Kriegsgeschehen des Ersten Weltkriegs zu liegen, denn die Zivilbevölkerung hatte in diesen Dörfern stark gelitten (Hinrichtung von 125 Zivilisten in dem nahe gelegenen Rossignol am 22. August 1914).

      Nach 1933 entstanden dagegen im sogenannten Neubelgien wie in anderen Ländern Bewegungen, wo der Ruf „Heim ins Reich“ zu hören war. Ein Teil der Bevölkerung verfolgte mit großem Interesse den Aufstieg der Nationalsozialisten und übernahm, in der „Heimattreuen Front“, die nationalistischen und ideologischen Vorstellungen der NSDAP. Heute wird dieses Thema immer mehr aufgearbeitet, dennoch ist zahlenmäßig nicht klar, inwieweit die ostbelgische Bevölkerung sich eine Integration ins Hitler-Deutschland wünschte.

      3.3 Der Zweite Weltkrieg

      Als Hitler Belgien nach wenigen Tagen erobert hatte, erließ er am 18. Mai 1940: „Die Kreise Eupen-Malmedy werden annektiert“. Dies bedeutete für die jungen Männer der Region, als auch die Staatszugehörigkeiten entsprechend angepasst wurden, dass sie in die Wehrmacht eingezogen wurden und für Deutschland zu kämpfen hatten. So änderten manche in kurzem Zeitraum gezwungenermaßen die Uniform, nachdem sie vorher in die belgische Armee eingezogen worden waren. Sie kamen in neuer Uniform mit den deutschen Truppen an allen Fronten zum Einsatz. Später im Verlaufe des Krieges sind die meisten „Zwangseingezogenen“ an die Ost-Front versetzt worden, wo eine große Anzahl der ostbelgischen Männer fiel. Andere meldeten sich freiwillig bei der Schutzstaffel (SS) oder der Sturmabteilung (SA), was natürlich nach Kriegsende ganz anders als die Rolle der Zwangseingezogenen eingestuft wurde, da in gewissen Fällen die Todesstrafe gegen ehemalige SS-Mitglieder ausgesprochen wurde.

      Wie die Zivilbevölkerung 1944 die Ardennenoffensive erlebte, möchte ich hier an einem Bericht aus dem Dorf Büllingen illustrieren:

      Ende Januar 1945 wusste man, dass der Amerikaner bald wieder ins Dorf einziehen würde. Die Deutschen schienen aber nicht so leicht das Feld zu räumen. Frau Johann Mertens-Schmitz berichtet: ‚Die Deutschen wollten uns mit zurücknehmen. Wir wehrten uns sehr dagegen. Einem Deutschen, der mich hierzu aufforderte, sagte ich: ‚Dann können sie mich auch gleich hier an der Kirchhofsmauer erschießen. Es ist doch überall Krieg.‘ Ein SS-Soldat war oben im Haus in einem Schlafzimmer mit seinem MG in Stellung gegangen. Es war der 29. Januar. Während einer kurzen Feuerpause hörten wir ihn rufen ‚Los Amis, nun kommt doch!‘ Nach einiger Zeit hatten sich die Amerikaner an das Haus herangearbeitet und es vollends umzingelt. Sie forderten alle Insassen auf herauszukommen. Der MG-Schütze war inzwischen zu uns in den Keller geflüchtet. Nach längerem Bitten und Flehen ergab er sich und stellte sich den Amerikanern. Auch wir Zivilisten wurden aufgefordert, das Haus zu verlassen und mussten mit den Gefangenen draußen im Schnee stehen. Da in der Nacht das Dorf mit Phosphorgranaten beschossen worden war, sahen wir, als wir draußen im morgendlichen Halbdunkel standen, überall Brände schwelen. Sogar der Schnee schien zu brennen. Es war ein furchtbarer Anblick. Anschließend wurden wir zum Verhör in das Haus Legros gebracht. (Geschichtsverein „Zwischen Venn und Schneifel“ 1969: 107)

      Die deutsche Annexion und die anschließende Niederlage haben nachhaltige Spuren in der ostbelgischen Bevölkerung hinterlassen. Zum zweiten Male gehörte die ostbelgische Bevölkerung zu den Verlierern.

      3.4 Vom Zweiten Weltkrieg bis 1963

      Nach Kriegsende kamen die Bezirke Eupen-Malmedy nach Belgien zurück. Die örtlichen „deutschgesinnten“ Machthaber wurden ersetzt. So kamen Lehrer und Gendarmen aus dem Areler Land nach Eupen-Malmedy: Sie waren der Sprache mächtig und konnten nicht verdächtigt werden, Nationalsozialisten gewesen zu sein. Es gab eine Periode der Säuberung, wobei allerdings die Zwangssoldaten der Wehrmacht, die vorerst verhaftet wurden, sehr bald entlassen wurden. (Lejeune 2005: 187)

      Die ostbelgische Bevölkerung passte sich wieder einmal an. Der belgische Staat war damals noch ein Zentralstaat mit neun Provinzen. Das Gebiet Eupen-Malmedy-St.Vith war Teil der Provinz Lüttich.

      Langsam lebten sich jedoch Flamen und Wallonen auseinander, was 1962/1963 durch ein Sprachengesetz besiegelt wurde. Der Sprachengebrauch in Verwaltungsangelegenheiten wurde gesetzlich geregelt, und so entstand de facto nebenbei auch ein deutsches Sprachgebiet. Es entstanden zum ersten Mal administrative Sprachgrenzen zwischen Flamen, Wallonen und Deutschsprachigen, wobei Brüssel als zweisprachig galt.