Luce Brett

Ich bin nicht ganz dicht


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ins Meer steige, die Brüste hart und schwer mit Milch. Es sticht, aber ich weiß, dass nicht das Salzwasser das Problem ist. Ich kann den Spinnaker Tower sehen, der auf dem Festland gleich gegenüber vom Strand aufragt. Der Kanal zwischen Insel und Festland ist zu schmal, um mich zu verschlingen. Ich wünsche mir, dass das Meer sich ausdehnt und alles überschwemmt. Als wir zum Haus meiner Eltern zurückkehren, folge ich den Geräuschen meines Babys wie einem Lied, das in meinem Kopf festhängt, während ich herumirre. Ich weiß, dass irgendetwas in der Luft liegt.

      Bei den Recherchen für dieses Buch gehe ich meine E-Mails und Entwürfe durch und finde eine der wenigen Sachen, die ich während des Mutterschaftsurlaubs geschrieben habe:

      Du liegst auf dem Boden im Haus deiner Eltern und es bedrängt dich von allen Seiten. Du denkst: „Ich könnte mich einfach unter die Wellen legen.“

      Deine Arme und Schultern spüren die Schwere, noch bevor du den Gedanken zu Ende gedacht hast. Deine Knie schmerzen. Es ist keine Selbstmordabsicht, kein Plan, nicht einmal ansatzweise. Aber es ist real und es hängt in der Luft.

      Du weißt, dass du nicht hingehen und dich ertränken würdest. Du würdest nicht von der Kaimauer springen oder dich von der Fähre stürzen. Aber wenn du stillstehst, kommst du nicht gegen das Gefühl an, dass du es tun könntest.

      Ein Schalter in deinem Bauch wird umgelegt. Tief in deinem Inneren weißt du bereits, dass du es niemals wirst vergessen können. Du gehst hinüber zu deinem Baby, das auf dem Boden liegt, und legst dich daneben.

      Aus der Stereoanlage deines Vaters ertönt Macy Grays „I try“. Du denkst nach über den Song, du schaust auf dein perfektes Baby, und du entspannst dich. Das Gefühl des Unwohlseins beginnt sich aufzulösen. Es besteht eine Chance, eine winzige Chance, dass das Lied, der Moment, die Liebe für deinen Sohn dich gerettet haben. Du schaust auf dein Kind. Seine Schönheit und Perfektion übersteigen deine Vorstellungskraft. Es ist mehr, als du dir erhofft hast. Du denkst, dass dies das Ende ist. Aber dieser Gedanke war erst der Anfang.

      Ich denke oft an sie, die frischgebackene Mutter, gezeichnet von den Nachbeben der Geburt, in die Dunkelheit entschwebend. Es erfüllt mich mit Trauer, dass sie einfach nicht wusste, wie sie all dem Ausdruck verleihen sollte.

      Ich möchte sie in den Arm nehmen und ihr übers Haar streichen, weil sie allen Grund hatte, sich zu fürchten. Denn es war erst der Anfang.

      Kapitel 6

      Schadensmeldung

      Die wichtigsten Erkenntnisse meiner Elternzeit fanden nicht im Behandlungsraum eines Arztes oder einer Physiotherapeutin statt, sondern in meinem eigenen Wohnzimmer, in dem ich mich vor der Welt versteckte und heulend auf dem Sofa sitzend Gameshows guckte.

      Oktober 2007, Nachmittag, Channel 4 läuft, ein Zimmer voller Windeln und Arztbriefe

      Dr. Phil Hammond sitzt in der Wörterbuchecke, gleich neben dem Nationalheiligtum Susie Dent. Susie hält die gesamte Show (Countdown) zusammen, indem sie lange Worte findet, von denen niemand je zuvor gehört hat, und unheimlich gut in Grammatik ist. Hammond ist Mediziner, Comedian und Autor und trägt den Spitznamen „Dr. Phil“. Normalerweise kann ich ihm durchaus das Wasser reichen, wenn ich von zu Hause aus mitrate, aber heute habe ich keine Chance.

      Ich frage mich gerade, ob die Veränderungen, die im Gehirn von Schwangeren stattfinden sollen, tatsächlich vorhanden oder lediglich eine sexistische Erfindung sind, als plötzlich aus dem Mix von Vokalen und Konsonanten ein Wort mit acht Buchstaben entsteht und mich regelrecht anspringt: PERINEUM. Bumm.

      Ich notiere mein Ergebnis mit bitterem Geschmack im Mund und versuche das Baby nicht zu wecken. Zumindest haben mich die Erfahrungen der letzten Wochen gelehrt, wie man den medizinischen Begriff für den Damm buchstabiert.

      Dr. Phil hat ihn auch erspäht. Natürlich. Und macht dann den Witz, dass die meisten Frauen keine Ahnung haben, wo ihr Perineum liegt, bis sie ein Baby bekommen. Das Publikum lacht, als die beiden Moderatoren Des O’Connor und Carol Vorderman einen schrägen Seitenblick austauschen. Susie und ich verziehen peinlich berührt das Gesicht.

      Susie deshalb, weil sie bei jedem Wort auf die Definition auf ihrem Laptop schauen muss und diese wahrscheinlich lautet: „Der Bereich zwischen Anus und Hodensack oder Vulva.“

      Ich, weil Dr. Phil gerade mein Unwissen über meinen Intimbereich im Fernsehen bloßgestellt hat. Ich nehme es sehr persönlich, dass ich so ein williges Ziel bin. Schlimmer noch ist, dass ich mich nicht einmal auf mein feministisches Podest schwingen und über das Patriarchat maulen kann, weil er tatsächlich Recht hat. Wo genau ist (oder war?) mein Perineum? Hatte ich das irgendwann einmal gewusst?

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      Gehört hatte ich jedenfalls schon einmal davon. Wahrscheinlich hatte ich mich, als es im Geburtsvorbereitungskurs eine gruselige Diskussion darüber gab, ob man den Damm massieren sollte, vor lauter Horror und Ekel ausgeklinkt. Und was meinen Beckenboden anging, so war ich zwar in Therapie, um ihn wieder flott zu kriegen, aber ich hatte keinen blassen Schimmer, wie das Ding eigentlich aussah.

      Gab es noch mehr Lücken in meinem Sexualwissen, das mir, als ich es Revue passieren lasse, vorkommt wie ein Flickenteppich aus TV-Serien, Büchern, Zeitschriften, Freunden, schrecklichen Stunden mit peinlich berührten Biologielehrern und hormongesteuerten männlichen Teenagern, die auf ein Diagramm starren, in dem die Gebärmutter aussieht wie ein wütender Widder.

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      Ich habe im Laufe der Jahre definitiv etwas über die Periode und Schwangerschaften gelernt, aber die anatomischen und hormonellen Grundlagen sind noch immer böhmische Dörfer für mich – also die Dinge, wegen derer Frauen wie ich auf einem Handtuch sitzen, damit das Sofa nichts abbekommt.

      Frühjahr 1988, Schulbus, windige Landstraße in der Nähe von Loughborough, auf dem Weg zum Schwimmunterricht

      Ich mag Schwimmen, weil wir uns nicht zusammen mit den Jungs umziehen müssen. Beim normalen Sportunterricht ziehen wir uns alle gemeinsam im Klassenzimmer um, und alle können deinen Schlüpfer, dein Unterhemd und deine Windpockennarben sehen.

      Von den fünf Mädchen in meinem Jahrgang trägt eine bereits einen BH, und wir glauben, dass eine Drittklässlerin auch schon einen braucht (sie könnte aber auch einfach nur pummelig sein). Meine Mutter hat mir ein Bustier gegeben, obwohl meine Brüste nur ganz wenig wackeln, wenn ich sie schüttele. Außerdem bekomme ich Haare.

      Ein sicheres Zeichen, dass die Pubertät bevorsteht, und das bedeutet Pickel, Jungs, der Abschlussausflug in der vierten Klasse und Zungenküsse. Ich glaube, es bedeutet auch, dass ich Babys bekommen kann.

      Ich weiß eine Menge über Babys, weil meine Mutter gerade schwanger ist mit Zwillingen. Ich war beim Krankenhaus-Rundgang mit dabei und habe mich freiwillig bereit erklärt, den Geburtsstuhl zu testen, als keine der Frauen das wollte. Außerdem besitze ich ein Buch, das einen Fötus in verschiedenen Wachstumsphasen zeigt. Er hat ein Gesicht wie ein Außerirdischer und merkwürdig durchscheinende Finger. Babys im Bauch ihrer Mütter sehen aus wie E.T. – der Außerirdische.

      Ich bin bereit, eine Frau zu werden, und ich stecke keine Kissen mehr unter meinen Pulli, um so zu tun, als sei ich schwanger. Ich weiß, woher Bauchnabel stammen und warum sie aussehen wie der Knoten eines Luftballons. Ich finde, dass der lateinische Name für Nabelschnur, Funiculus umbilicalis, irgendwie lustig klingt.

      Ich bin mir nicht ganz sicher, wo ich meine Eizellen aufbewahre, aber heute wird sich das alles ändern.

      Die große Schwester meiner Freundin hat ihr eine Broschüre gegeben, die sie extra bei der Mädchenzeitschrift Jackie angefordert hatte. Ich bin so neidisch, dass meine