Luce Brett

Ich bin nicht ganz dicht


Скачать книгу

etwas mit eigenem Leugnen zu tun – meiner Zimperlichkeit meinem eigenen Körper gegenüber und der Unfähigkeit zu verstehen, wie diese ganzen Fortpflanzungsorgane eigentlich funktionieren (oder eben gerade nicht).

      Nehmen wir die Wochen vor meinem dreißigsten Geburtstag. Unförmig, wild und sehr schwanger stellte ich fest, dass die Fantasien und Widersprüche über Frauen und ihre Körper all meine Vorstellungen vollkommen zum Erliegen gebracht hatten. Ich machte mir nur noch Gedanken darüber, wie man bei einem Baby eine Windel wechselt und welche Art von Roman ich in der Elternzeit schreiben würde. Kurz vor dem errechneten Termin wusste ich zwar, dass ich vor einem Abgrund stand, dennoch war ich lediglich damit beschäftigt, zu planen, wie schnell ich wieder ich selbst sein würde. Ich ignorierte die Möglichkeit, dass ich – unabhängig vom Ausgang der Geburt – für immer verändert aus der Erfahrung hervorgehen würde.

      Kapitel 2

      Geburt – was man erwartet

      Mein Wissen über Geburten war bestenfalls oberflächlich, als ich zum ersten Mal schwanger wurde. Trotz meines feministischen Auftretens wusste ich nur, dass es manchmal Schäden geben konnte und dass ältere Damen zuweilen unter etwas litten, das man als Blasenschwäche bezeichnete. Was ich nicht wusste oder mir gar nicht erst in den Sinn kam, war die Möglichkeit, selbst mit diesen üblen medizinischen Realitäten konfrontiert zu werden.

      Ich war auf genau die falsche Weise zu gut informiert.

      So verbrachte ich beispielsweise viel Zeit damit, die Art von Schwangerschaftsbüchern zu lesen, in denen man lernt, welche Obstgröße der wachsende Fötus Woche für Woche erreicht. Ich hätte damit problemlos in jedem Quiz antreten können. Bei der Arbeit gaben wir der Reise von der Traube zur Wassermelone lustige Namen wie In Fruitero oder Früchte der Gebärmutter. Ich verdrängte den beängstigenden Gedanken, einen ausgewachsenen Kürbis durch dieses kleine Loch pressen zu müssen, ebenso wie den Gedanken an Hämorrhoiden, Krampfadern und all die Romane, die ich gelesen hatte, in denen Geburten schlimme Folgen hatten. Ich war nicht wirklich bereit für den Geburtsvorgang.

      Anfang Juni 2007, ein hübscher Garten voller schwangerer Frauen, für die es kein Zurück mehr gibt

      Es ist ein bedeutender, aber auch ein wenig angsteinflößender Tag. Nicht mein Stichtag – um den mache ich mir gar keine Gedanken –, sondern der Frauennachmittag meines Geburtsvorbereitungskurses.

      Wir sind alle in etwa der 36. Woche, unsere Babys sind nahezu voll ausgetragen (haben also das Kürbisstadium erreicht). Heute dürfen wir werdenden Mütter all die Fragen stellen, die wir nicht vor den eigenen oder fremden Partnern stellen möchten. Es stellt sich heraus, dass es um starken wässrigen Ausfluss geht (unangenehm, aber okay), Schleimpfropfen im Muttermund (oh GOTT), blutiges oder mit Kindspech behaftetes Fruchtwasser (weder gut noch okay), Schmerzen (pssssst), Hämorrhoiden (iiih!) und den ersten Stuhlgang nach der Geburt (offensichtlich ein großes „Ding“ in Form eines Meilensteins und ein massives „Ding“ in etwa der Form eines Baumstamms). Nichts als die nackte Wahrheit. Ich würde mir am liebsten die Ohren zuhalten.

      Der Gemeindesaal, in dem wir uns normalerweise treffen, ist belegt, also sitzen wir im Garten einer der werdenden Mütter. Ich starre in den hübsch angelegten Teich, während um mich herum Geburtsverletzungen und seltene postnatale Albträume diskutiert werden: Nähte, Wochenbettdepression und Wochenbettpsychose.

      All das klingt schrecklich und ist mir ebenso unangenehm, wie die Hand oder der Fuß, die da gerade gegen meinen Muttermund boxen. Ich stöhne kurz auf.

      Die Situation fühlt sich surreal an. Ich fühle mich, als würden wir nur so tun, als wären wir erwachsen. Wir reden immer noch darüber, welche Hausschuhe wir während der Wehen tragen wollen, während die meisten von uns wahrscheinlich viel lieber andere Dinge wissen wollen: „Müssen wir bei der Geburt wirklich kacken? Wie sehr? Und kann man das verhindern?“

      Unsere Kursleiterin sagt uns, dass wir ein Sieb kaufen müssen, wenn wir eine Wassergeburt wünschen. Das klingt nicht gerade gut. Ich überlege zu fragen, wie man die Hebamme dazu bewegen kann, einem einen Einlauf zu geben, wie dies früher üblich war, um das Ganze zu vereinfachen.

      Ich habe tatsächlich eine Frage, aber ich traue mich nicht, sie zu stellen. Ich habe von einer jungen Mutter, an deren Lippen ich jetzt hänge wie an denen einer Wissenden, ganz nebenbei etwas über Dammschnitte aufgeschnappt. Ein Dammschnitt ist ein Schnitt, mit dessen Hilfe der Eingang zur Vagina (beziehungsweise der Ausgang für das Baby) ein wenig vergrößert wird. Genau wie Einläufe waren Dammschnitte in den 1970er- und 1980er-Jahren gang und gäbe, während sie heute nur noch erfolgen, wenn Instrumente bei der Geburt verwendet werden müssen oder das Baby sehr groß ist. Bei meiner Freundin klang es so, als wäre der Schnitt mit einer Schere gemacht worden. Bei dem Gedanken möchte ich am liebsten meine Beine zusammenpressen, aber mein hüpfballgroßer Bauch ist leider im Weg. Ich nehme all meinen Mut zusammen und stelle die Frage in einem Rutsch, in der wahnsinnigen Hoffnung, dass Einhörner auf magische Weise dafür sorgen, dass völlig naht- und schmerzfrei große Öffnungen entstehen.

image

      „Ja, wir verwenden Scheren“, sagt die Kursleiterin, die auch als Hebamme arbeitet. „Was haben Sie denn gedacht, was wir nehmen?“

      Ich denke nur: „Ach du Scheiße.“

      Wenn ich ehrlich bin, bin ich ein wenig verängstigt und finde das Ganze extrem peinlich. Es fühlt sich an, als würden wir das Schicksal herausfordern, indem wir über all diese Schwierigkeiten und Probleme reden, und ich bin nicht die Einzige, die beim Wort „Damm“ (mehr dazu in Kapitel 6) und der Empfehlung, ihn mit Mandelöl geschmeidig und dehnbarer zu machen, eher gequält lächelt. Es erscheint mir auch nicht unbedingt sinnvoll, mir jetzt noch etwas über die Risiken anzuhören, nachdem ich aus der Nummer ohnehin nicht mehr rauskomme.

      Gegen Ende der Stunde bemüht sich die Kursleiterin, uns Beckenbodenübungen ans Herz zu legen und zeigt uns, wie man sie durchführt. Ich lächle selbstzufrieden. Ich kann beim Pinkeln mittendrin stoppen und den Urin einhalten, also muss ich mir darum wohl keine Gedanken machen. (Erst später finde ich heraus, dass das Anhalten des Strahls, um zu testen, wie viel Kontrolle man hat, aufgrund von Infektionsrisiken nicht mehr empfohlen wird, also bitte nicht zu Hause nachmachen!)

      In jedem Fall möchte ich nicht über das Zusammenpressen nachdenken, sondern viel lieber im Park sitzen und Eis essen.

      Aber die Kursleiterin lässt nicht locker. Wir sollen uns einen Aufzug vorstellen, der Stockwerk für Stockwerk nach oben fährt, und das Ganze in unserem Inneren nachstellen. Jetzt. Alle um mich herum bekommen einen versonnenen Blick. Ich werde diesen Blick, diese Mischung aus Konzentration und Überraschung, erst beim Töpfchentraining meines ersten Sohnes wieder erleben und in Panik verfallen, dass er gleich auf den Boden kackt.

      Es ist die einzige Gelegenheit, an die ich mich erinnere, dass während der Schwangerschaft einmal das Wort Inkontinenz gefallen ist, abgesehen von den ominösen Einlagen, die mir für die Krankenhaustasche empfohlen werden. Ich versuche es mit dem Aufzug, habe den Dreh aber irgendwie nicht raus. Also lege ich den Gedanken beiseite und freue mich auf die nächste Woche. Es wird unsere letzte Stunde sein, und wir werden lernen, in welche Positionen wir uns am besten bei der Geburt begeben.

      Später werde ich ziemlich gut bei den Kegel-Übungen, nachdem mir eine Physiotherapeutin gesagt hat, ich solle mir vorstellen, dass ich einen nicht weit genug eingeführten Tampon verschieben will, ohne meine Finger zu verwenden. BINGO! Aber da weiß ich auch schon, was eine Geburt bedeuten kann und wie zutreffend Metaphern sein können.

      Nach der Geburt war mein Körper die denkbar beste Metapher für das Mutterwerden – der Beweis, dass es eine Verwüstung gegeben hatte, die dauerhaft und allgegenwärtig war: meine Vagina, mein persönlicher Raum, meine Bücherregale, mein Esszimmer, meine Brüste, nichts wurde