Susin Nielsen

Die gigantischen Dinge des Lebens


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Lachen.

      Und ich wäre am liebsten weggelaufen, so schnell mich meine baumstämmigen Beine trugen.

      Mrs Shirazi hatte angeboten, Charlie und mich zusammen mit Alex und seinem Gast, Léo, sowie Fabrizio und dessen Gast, Christophe, abzuholen, da die Mumps beide arbeiteten. Sie begrüßte mich mit zwei Luftküsschen, linke Wange, rechte Wange. Ich konnte ihr Parfum riechen. »Wilbur, hallo. Wie geht es dir und deinen Müttern?«

      »Gut«, sagte ich. »Und Ihnen und Mr Shirazi?«

      »Ach, ganz gut. Wir haben dich lange nicht gesehen.«

      Weil Ihr Sohn seinen Freund für seinen Typen hat fallen lassen, hätte ich am liebsten gesagt.

      Wir drängten uns in ihren Minivan. Charlie, Fabrizio und ich quetschten uns auf die Rückbank. Charlie schlief sofort mit dem Kopf an der Fensterscheibe ein. Ihr Mund stand offen und etwas Spucke sammelte sich im Mundwinkel. Sie hatte Sommersprossen und große Nasenlöcher. Ihre Ohren standen ein bisschen ab.

      Sie war einfach … wow.

      Fabrizio stieß mir mit Wucht den Ellbogen in die Seite. »Hör auf zu glotzen«, flüsterte er. »Ist ja gruselig.«

      Alex unterhielt sich schon in einem Gemisch aus Englisch und Französisch mit Léo und Christophe. Ich beneidete ihn darum, wie viel wohler er sich in seiner Haut zu fühlen schien, seit er mit Fabrizio zusammen war; ich hätte meine nur zu gerne getauscht und einfach meine komplette Epidermis für eine neue hergegeben.

      Charlie und ich wurden als Erste abgesetzt. Da wir ganz hinten saßen, mussten alle aussteigen. Ich packte Alex am Arm. »Das ist das Schlimmste, was mir je passiert ist«, zischte ich.

      »Echt? Wieso?«

      »Im Ernst, ich kann das nicht. Sie ist wunderschön.«

      »Ganz so weit würde ich vielleicht nicht gehen«, sagte Fabrizio, der uns belauschte.

      »Hab ich mit dir geredet?« Ich drehte ihm den Rücken zu. »Alex, jetzt mal im Ernst: Können wir tauschen?«

      »Wilbur. Alles wird gut.« Alex holte Charlies Koffer aus dem Wagen und gab ihn mir. »Sei einfach du selbst.«

      »Na ja, aber nicht zu sehr«, sagte Fabrizio, der immer noch lauschte.

      Dann stiegen die beiden wieder ein, und Mrs Shirazi fuhr davon und ließ mich ganz allein mit Charlie zurück.

      Sie wartete auf dem Gehsteig auf mich. »Öhm. Je m’excuse«, sagte ich laut. »Je, öhm, spreche … un po français

      »Ich bin nicht schwerhörig und auch nicht dumm«, gab sie zurück. »Du brauchst nicht zu schreien. Mein Englisch ist viel, viel besser als dein Französisch.«

      »Oh. Okay.«

      »Dies ist eine sehr interessante Gegend, ja? Viele Wandmalereien und Graffiti und Skulpturen aus objets trouvés.« Sie betrachtete eine Frau, die von Kopf bis Fuß in Batikklamotten gekleidet war, gefolgt von einem Rastafari. »Und Menschen aus allen sozialen Schichten. Wie Christiania in Kopenhagen.«

      »Klar«, antwortete ich, obwohl ich keine Ahnung hatte, wovon sie redete, denn ich war noch nie irgendwo anders gewesen. Ich nahm ihr Gepäck und sie ihren Instrumentenkoffer. Wir liefen zur Haustür. Ich überlegte, was ich sagen sollte, irgendwas. »Das ist ja eine winzige Gitarre.«

      »Das ist keine Gitarre. Es ist eine Ukulele.«

      »Du spielst Ukulele?«

      »Nein, ich trage sie nur mit mir herum, gehört zu meinem Outfit.«

      »Oh. Das machst du sehr überzeugend …«

      »Ich scherze, Wilbur. Selbstverständlich kann ich spielen.«

      »Ah. Klar. Haha.« Im Geiste vermerkte ich, dass die Franzosen auch ironisch sein konnten.

      »Welches Instrument spielst du?«

      »Triangel.«

      Sie runzelte die Stirn. »Im Sinne von pling?« Sie ahmte die Bewegung nach.

      »Ich spiele auch noch Kuhglocke und Tamburin.«

      »Ah. Eine Dreifachgefahr.« Ich konnte nicht sagen, ob sie das auch ironisch meinte.

      Templeton sprang uns regelrecht an, als ich zur Tür reinkam. Er begann auf seinen stummeligen Beinen fröhlich hechelnd im Kreis um Charlie herumzulaufen.

      »Ein Chihuahua, non

      »Chihuahua-Dackel-Mischling.«

      »Das ist vermutlich der hässlichste Hund, den ich jemals gesehen habe.« Sie sagte die Wahrheit, insofern konnte ich nicht wirklich beleidigt sein. Templeton ist neun, also 63 in Menschenjahren. Ich glaube, sein Fell war ursprünglich weiß, aber jetzt ist es gelb, wie Raucherfinger. Er hat einen abgebrochenen Zahn, ist auf einem Auge blind und ihm fehlt ein Ohr. Das ist nur einer der Gründe, weshalb ich ihn so lieb habe, denn ich bin auch nicht unbedingt das attraktivste Exemplar. Mup sagt, wir seien beide innerlich schön, was, wenn ich so darüber nachdenke, nicht gerade ein Kompliment ist.

      »Ich finde, er ist so hässlich, dass er schon wieder niedlich wirkt«, sagte ich.

      »Es ist aber überhaupt nicht niedlich, dass er Sex mit meinem Bein hat.«

      »Templeton, aus! Böser Hund.« Ich hob ihn hoch. Charlie hängte ihren Mantel auf einen der drei bunten Haken im Flur, während ich dreimal an die Wand klopfte.

      »Wieso machst du das?«

      »Mein bester Freund. Wir haben ein System. Wenn ich von der Schule nach Hause komme, klopfe ich. Wenn er nicht zurückklopft, rufe ich ihn an. Wenn er nicht abnimmt, gehe ich mit meinem Ersatzschlüssel rüber. Falls er hingefallen ist oder so.«

      »Was stimmt nicht mit ihm, dass er fallen könnte?«

      »Nichts. Bloß fortgeschrittenes Alter.«

      Wie aufs Stichwort klopfte Sal: eins, zwei, drei.

      Charlie warf einen flüchtigen Blick in unser Wohnzimmer, und mir wurde flau im Magen. Nach unserer Pechlawine hatten wir uns etwas einfallen lassen müssen, wie wir das Haus einrichten konnten. Mum und ich hatten unser Heim vollständig mit Dingen ausgestattet, die sie und ich Sammlerstücke nennen und die Mup als Müll bezeichnet. Ich finde, dadurch wirkt unser Haus gemütlich. Mup meint, dadurch sieht es bei uns aus wie in einem Messie-Haushalt. »Muss anderer Leute Gerümpel immer gleich ein Schatz für euch sein?«, sagt Mup jedes Mal, wenn ein neues Stück bei uns einzieht.

      Daher beobachtete ich nun mit angehaltenem Atem, wie Charlie das alte lila Sofa betrachtete, die grell pinkfarbene Samt-Chaiselongue, die Lampe mit den goldenen Quasten am Schirm, den nierenförmigen Couchtisch und all den Schnickschnack, den Mum und ich in den letzten paar Jahren angeschleppt hatten, wie die Sammlung aus Salz- und Pfefferstreuern, die den Kamin zierte, und die alten gerahmten Werbeplakate an der Wand.

      »Eklektisches Design«, sagte sie und nickte zustimmend. »Gefällt mir.«

      Darüber freute ich mich unbändig.

      Wir fassten jeweils eine Seite ihres Koffers und trugen ihn die schmale Treppe nach oben in den ersten Stock. Als wir mein Zimmer betraten, schwand mein Hochgefühl. Wieso hatte ich das alte Poster von Emma Watson nicht abgenommen? Ja, sie ist eine superkluge Feministin, aber mein Poster stammte noch vom ersten Harry-Potter-Film; sie trug ihre Hogwarts-Robe und schwang ihren Zauberstab. Sogar mein allerliebstes Flohmarktfundstück, ein Gemälde von Poker spielenden Hunden, wirkte unter ihrem Pariser Blick plötzlich lächerlich. »Du kannst das Bett haben«, sagte ich. »Ich schlafe in der Nische.« Mein Zimmer hat eine einzigartige Form, unter dem Dachvorsprung gibt es einen kleinen Stauraum, in den man hineinkriechen kann. Mup und ich hatten am Abend zuvor eine Luftmatratze hingelegt. »Ich habe die oberen zwei Schubladen in meiner Kommode freigeräumt. Brauchst du sonst noch was?«

      Sie