b in Fabrizios Namen durch ein bi. Er brauchte auch sehr viel länger als nötig, um Laura – die bis letztes Jahr einen Jungennamen trug – mit dem korrekten Pronomen zu benennen.
Doch aus irgendeinem Grund lassen wir ihm so was allesamt durchgehen. Obwohl wir zahlenmäßig überlegen sind, fünfundzwanzig zu eins. Vielleicht haben wir uns damit abgefunden zu glauben, dies sei ein Vorgeschmack auf das echte Leben und wir gewöhnten uns besser schon mal daran. In düstereren Momenten frage ich mich, ob die anderen meinen, sie hätten noch mal Glück gehabt; wenn sie es nicht so derbe abkriegen wie ich, warum dann Staub aufwirbeln?
Ich versuchte, Tyler zu umgehen, aber er folgte jeder meiner Bewegungen. Plötzlich piekte er mit seinem Finger in meinen Bauchspeck. »Wird’s ein Junge oder ein Mädchen?«
Am liebsten hätte ich ihm zwischen die Beine getreten. Aber ich weiß nicht, wie man sich prügelt. Mir fiel noch nicht mal eine schlagfertige Antwort ein.
Was tat ich also stattdessen?
Ich lachte. Als fände ich das witzig.
Und verabscheute mich selbst fast so sehr, wie ich ihn verabscheute.
Wir standen draußen und warteten darauf, dass unser französisches Orchester eintraf. Ich hüpfte auf der Stelle, um mich warm zu halten. Obwohl es im Freien eiskalt war, hatte Mr P darauf bestanden, dass wir auf unsere Jacken verzichteten, damit man unsere Uniform sehen konnte: schwarze Hose zu orangenen Sakkos, weil Orange und Schwarz unsere Schulfarben sind. Die Sakkos müssen wohl in den Achtzigern entworfen worden sein, denn sie haben gigantisch große Schulterpolster und müffeln nach jahrzehntealten Körperausdünstungen.
»Ich bin so aufgeregt«, sagte ich zu Alex.
»Ich auch«, gestand er und zwinkerte hektisch.
»Ich hoffe, sie sprechen Englisch, denn ich kann nur un po français.«
»Es heißt peu«, sagte Fabrizio. »Un peu français.«
Ich probierte es noch mal. »Po.«
»Peu.«
»Po.«
»Peu.«
»Sag ich doch die ganze Zeit!«
Alex lachte. »Hast recht, Wil. Dein Französisch ist für den Po.«
Plötzlich stand Tyler neben mir. »Lass die Hopserei mal lieber, Wichs. Oder leg dir ’nen BH zu. Deine Männertitten schwabbeln.«
Poppy, die in der Nähe stand, unterdrückte ein Kichern.
Ich hörte auf zu hüpfen. Alex drückte meine Hand.
»Ich glaube, das sind sie«, sagte Fabrizio.
Ein gelber Schulbus bog um die Ecke und fuhr rechts ran. Sobald die Türen sich öffneten, legten wir mit O Canada los.
Eine elegante Frau erschien an der Bustreppe. Sie trug einen grauen Mantel über einem roten Kleid und hochhackige Schuhe, obwohl es kalt war und schneite. Ihr Haar war zu einem Knoten zurückgebunden und ihre Lippen passten farblich zu ihrem Kleid. Mr Papadopoulos fing an zu grinsen und sagte: »Geneviève! Ich meine – Mademoiselle Lefèvre! Bonjour!« Sie war sehr viel größer als er, und als sie einander umarmten, wurde sein Kopf zwischen ihre Brüste gequetscht. Er sah sehr, sehr glücklich aus.
»Ekelhaft«, sagte Fabrizio zwischen zwei Tönen, und ich stimmte wortlos zu.
Als wir O Canada zu Ende gespielt hatten, quollen nach und nach die übrigen Reisenden mit ihren Instrumenten aus dem Bus. »Die sehen aus wie wir«, sagte ich.
»Was hast du erwartet?«, fragte Fab. »Dass sie alle Baskenmützen tragen und ein Baguette unterm Arm haben?«
Trotz der Kälte wurde mein Gesicht ganz heiß. »Nein.« Insgeheim dachte ich: Na ja, Baskenmützen vielleicht schon.
Die letzte Schülerin stieg aus dem Bus.
Die Zeit blieb stehen. Sie war groß, beinahe so groß wie ich, und ihr braunes Haar war zu einem modischen Pagenschnitt frisiert. Ihre Schultern und Hüften wirkten ausladend. Sie trug einen gelben Mantel aus Pelzimitat, dazu eine schwarze Strumpfhose mit weißen Punkten, schwarze Stiefel und einen lila Minirock. In der Hand hielt sie einen kleinen Gitarrenkoffer. Sie hatte weder eine Baskenmütze auf noch ein Baguette bei sich, aber auf mich machte sie einen sehr französischen Eindruck. Sie bewegte sich wie eine Katze. Wie der Rosarote Panther. Der ja eine Art Katze ist.
Sie war umwerfend.
Mr Papadopoulos kam gleich zur Sache. »Wenn ihr den euch zugeteilten Übernachtungsgast gefunden habt, könnt ihr gehen.«
»Ich glaube, der, der ein bisschen wie Drake aussieht, ist meiner«, sagte Alex.
»Ich glaube, der große, dünne gehört zu mir«, sagte Fabrizio.
»Ich glaube, meiner ist der mit dem großen, runden Kopf«, sagte ich.
Alex und Fab hatten richtig geraten.
Ich nicht.
»Charlie Bourget«, sagte Mr P.
Das schöne Mädchen trat einen Schritt vor.
Meine Augen wurden noch größer als sie ohnehin waren. »Nein. Das stimmt nicht!«
Das schöne Mädchen zog eine Augenbraue hoch. »Willst du andeuten, ich kenne meinen eigenen Namen nicht?«
»Ja. Nein. Aber. Du bist ein Mädchen.«
Sie warf mir den verächtlichsten Blick zu, mit dem ich je bedacht worden bin, und ich habe schon viele verächtliche Blicke kassiert. »Charlie. Abkürzung von Charlotte.«
Mr Papadopoulos wirkte verwirrt. »Das tut mir leid. Ich nahm an …« Prüfend schaute er auf seine Liste. »Das müssen wir regeln. Wir können nicht ein Mädchen bei einem Jungen unterbringen …«
»Warum nicht?«, fragten Mademoiselle Lefèvre und Charlie einstimmig.
»Nun ja.« Mr P räusperte sich. »Wir wollen doch nicht, dass etwas … Ungehöriges … passiert.«
Alex hob die Hand. »Äh, Sir? Dieser Logik zufolge dürfte ich keinen Jungen als Gast haben.«
Ein paar andere nickten zustimmend. »Sie sind schrecklich heteronormativ«, fügte Fabrizio hinzu.
»Ich – Nein. Was auch immer das heißt, ich bin nicht …«
»Und vermutlich auch transphob«, fügte Laura hinzu.
»Ich bin nichts dergleichen«, sagte Mr P. »Die anderen haben angegeben, dass sie für ihre Übernachtungsgäste separate Schlafräume haben. Mr Hernandez-Schott nicht. Deshalb werfe ich die …«
»Wo übernachtet denn Mademoiselle Lefèvre, Sir?«, fragte Fabrizio unschuldig.
»Ich … sie … sie wohnt bei mir.«
»Und hat sie ihr eigenes Zimmer?«
Mr P wurde rot. Er machte den Mund auf. Zu. Und wieder auf.
Charlie begann vor Kälte zu zittern. »Mon Dieu.« Sie sah mir in die Augen. »Du. Junge. Wirst du, wie hat er gesagt, dich ungehörig benehmen?«
»N-Nein«, stammelte ich. »So einer bin ich nicht.«
»Sehen Sie?«, sagte Charlie. »Er ist schwul. Also ist es kein Problem.«
»Natürlich«, sagte Mr P. »Das hätte ich merken müssen.«
»Ich bin nicht schwul«, sagte ich. »Aber ich bin von zwei wunderbaren lesbischen Frauen erzogen worden, die meine feminine Seite gefördert haben, also ist es vielleicht das, was du wahrnimmst …«
»Nun gut, alors. Damit ist es geklärt«, unterbrach