Группа авторов

Vom Träumen und Aufwachen


Скачать книгу

als Übernahme durch die Bundesrepublik erlebt. Mit Bezug auf den Grundgesetz-Artikel 23 gab es z. B. den Ostslogan »Kein Anschluss unter dieser Nummer«.

      Und so geschah die Wiedervereinigung mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und Dynamik – und in summa änderte sich für die Ostdeutschen fast alles, für die Westdeutschen fast nichts.

      Vielen Ostdeutschen ging es so, wie Egon Bahr die Abwicklung der Nationalen Volksarmee NVA beschrieb (Süddeutsche Zeitung 1.11.2019). Es wurde »übernommen, verschrottet, eingeschmolzen, abgewickelt, aufgelöst, übergeben. Insofern passierte der NVA nichts anderes als dem Land und seinen Menschen insgesamt.«

      Am letzten Tag der DDR, so Bahr, verweigerte die westdeutsche Seite der ostdeutschen den symbolischen Akt der Würde, die alte Fahne einzuholen und die neue zu hissen. Die bundesdeutsche Politik beantwortete den Mut der Demonstranten, aufzubegehren, und den Mut der DDR-Machthaber und der Volkspolizei, nicht auf sie zu schießen – mit Demütigung.

      Das ist nützlich für Populisten. Sie wenden sich an frustrierte, gekränkte und gedemütigte Menschen, präsentieren sich selbst als ebenso geschädigt, wollen sich das ihnen genommene Land zurückholen, identifizieren vermeintlich schuldige Minderheiten, »Ausländer« und »die da oben, die Eliten« als die Verursacher und verkaufen den Ausdruck von Hass, übler Pöbelei und primitiven Entwertungen als die wiedererkämpfte Redefreiheit.

      Und mit 23,4 % bei den Landtagswahlen in Thüringen (Oktober 2019) für die AfD und ihren rechtsextremen Flügelmann Björn Höcke (auch er bekanntlich ein Westimport) trifft all das auf eine beklemmende Resonanz.

      »Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer«, Bild Nr. 43 der Sammlung »Los Caprichos« (= Launen), 1797 – dieses Schwarz-Weiß-Bild von Francisco de Goya kommt mir dann in den Sinn. Sie erinnern sich vielleicht: ein eingeschlafener Mann, um den herum unheimliche vogel- und fledermausartige Wesen in den Nachthimmel aufsteigen.

      Wir sind mit dieser Tagung »30 Jahre Mauerfall« also aufgerufen, aufzuwachen und die gefährliche Verbindung von Mauerfall und Populismus sowie die dadurch eingetrübte Vernunft zu klären.

      Zu diesem Zweck nun noch zwei Anmerkungen.

      Die erste betrifft die Bedeutung der Treuhandanstalt. Und die zweite beschreibt die enorme Bedeutung der Tatsache, dass fast alle Entwicklungslinien der Welt in den letzten Jahrzehnten steil nach oben, ins Positive, weisen.

       Die Treuhand

      Die Treuhandanstalt war eine noch in der Spätphase der DDR unter dem damaligen Ministerratsvorsitzenden Hans Modrow gegründete Institution des öffentlichen Rechts mit der Aufgabe, die bisherige DDR-Planwirtschaft in die soziale Marktwirtschaft der BRD zu überführen. Sie war von Anfang 1990 bis Ende 1995 tätig, im letzten Jahr unter dem umständlichen Namen »Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben«.

      Ein Gutteil der Treuhandtätigkeit ist in der Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannt, und erst seit Ende der 1990er-Jahre beginnt eine langsame und längst fällige Aufarbeitung der Treuhandarbeit. Parallel zu dieser weitgehenden Unbekanntheit der Treuhandaktivitäten besteht nicht nur im Osten eine überwiegend negative Einschätzung der Treuhand, was sich z. B. in Buchtiteln wie den folgenden äußert:

      •Dirk Laabs (2012): Der deutsche Goldrausch: Die wahre Geschichte der Treuhand

      •Dietmar Grosser (2013): Treuhand in Thüringen: Wie Thüringen nach der Wende ausverkauft wurde

      •Otto Köhler et al. (2011): Die große Enteignung: Wie die Treuhand eine Volkswirtschaft liquidierte

      •Klaus Behling (2016): Die Treuhand: Wie eine Behörde ein ganzes Land abschaffte

      •Klaus Huhn (2009): Raubzug Ost: Wie die Treuhand die DDR plünderte

      In der Tat ist die Geschichte der Treuhand auch mit Vorfällen von Korruption, Veruntreuung und betrügerischer Bereicherung verbunden (oder auch mit groben Fehleinschätzungen der Entwicklungsmöglichkeiten einzelner Betriebe und mit entsprechenden Fehlentscheidungen). So entstand von der Treuhand das Bild eines negativen Gründungsmythos der Wiedervereinigung mit entsprechenden negativen Überzeugungen wie »Die wollen dich doch sowieso alle über den Tisch ziehen«, was natürlich auch auf erlebten Erfahrungen beruhte, wie dem betrügerischen Verkauf wertloser Versicherungen oder eigentlich schrottreifer Autos. Was wiederum Wasser auf die Mühlen der AfD mit ihrer eigenen Opfermythologie bedeutet.

      Aber es bestand in der Treuhand doch ein sehr großes und ernsthaftes Bemühen bei Vorsitzenden wie Detlev Rohwedder oder Birgit Breuel, das der Treuhand überantwortete DDR-Staatsvermögen tatsächlich »zu treuen Händen« zu verwalten.

      Petra Köpping schließt die Einrichtung eines staatlich finanzierten Gerechtigkeitsfonds ein, durch den wendebedingte Ungerechtigkeiten wie drohende Altersarmut durch den Verlust der zu DDR-Zeiten erworbenen Rentenansprüche anerkannt und wenigstens etwas ausgeglichen werden.

      Nach all den skizzierten Herausforderungen und Problemen – zum Schluss: Was können wir tun? Und vor allem: Was möchten wir tun?

      Meine Antwort: die enorm positiven Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in fast allen Lebensbereichen und allen Regionen der Welt anerkennen.

      Walter Wüllenweber, Politikwissenschaftler und Journalist beim Stern, hat diese positiven Entwicklungen in seinem 2018 erschienenen Buch unter dem Titel zusammengefasst: Die frohe Botschaft – mit dem Untertitel: Es steht nicht gut um die Menschheit – aber besser als jemals zuvor (Wüllenweber 2018).

      Dort heißt es:

      »Die vergangenen Jahrzehnte waren die beste Phase in der Geschichte des Homo sapiens. Noch nie waren die Menschen (global gesehen) so gesund, so gebildet, so reich, so frei und so sicher vor Gewalt wie heute. Fast alle Entwicklungskurven zeigen steil nach oben. Doch in den Köpfen hat sich das gegenteilige Bild festgesetzt: Gewalt und Elend nehmen zu, alles verschlechtert sich, die Welt steht am Abgrund.

      Diese apokalyptische Botschaft ist die Mutter aller Fake News und die Basis für den Siegeszug der Populisten. Um Herausforderungen wie den Klimawandel oder die Migration zu bewältigen, müssen die Gesellschaften die Lehren nicht nur aus ihren Fehlern ziehen, sondern vor allem auch aus ihren Erfolgen. Darum ist es kein Wohlfühl-Programm, die nachgewiesenen Verbesserungen in allen Bereichen des Lebens zu erkennen und zu würdigen. Die frohe Botschaft ist die politischste Botschaft unserer Zeit.«

      Und weiter:

      »Die weit verbreitete Weltsicht, alles verschlechtert sich, ist offenbar auch bei politisch interessierten, lesenden Altbaubewohnern die dominante Haltung. Gerade in diesem Milieu – und wir hier können uns dem durchaus zurechnen – gehört der ›Immerschlimmerismus‹ zum kulturellen Selbstverständnis … Seit den 70er-Jahren gilt in dem Teil der Gesellschaft, der sich für aufgeklärt hält, jeder Warner prinzipiell als klug und weitsichtig. Wer […] auf Verbesserungen hinweist, ist naiv oder uninformiert. Dieses Buch jedoch vertritt den Standpunkt: Das prägende Merkmal unserer Zeit ist nicht der Niedergang, sondern die weltweite Aufwärtsentwicklung in einem historisch einmaligen Ausmaß. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse könnten in dieser