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Petra, im Frühling in Moskau. – Was habe ich nur die übrige Zeit angestellt? Studiert bis in die Nacht und gedacht, das Internat stände mitten drin in der Welt. Mit Monika hätte ich die Gegend abfahren sollen. Aber von Monika lieber kein Wort, kein Wort an Monika für die paar Tage mit Petra!“ —

      Mit Wolodja holt Sarodnick Petra vom Flugplatz. Der Freund ist besser im Bilde.

      „Das ist übrigens …“ Sarodnick drückt Petra ungeschickt mit dem Mund auf den Mund. „Wie schön!“

      „Guten Tag, Petra!“, artikuliert Wiadimir geschickt. Er hat Deutsch in der Schule gelernt. „Und das dort ist ein Denkmal, Panzer-Stopp. Hier waren Deutsche – bis hier.“

      „Oweia! So weit? Man kann von hier Moskau schon sehen“‚ ist Petra überrascht. Normalerweise sieht sie Moskau von den Ansichtskarten nur, die Martin ihr schickt, formt dieses Land aus den Albträumen des Vaters einst und der vielen Väter daheim.

      „Von dort fahren die Schiffe ab über die Moskwa zur Wolga. – Hier an diesem Bahnhof bin ich angekommen mit dem Zug, damals im Sommer.“ – Petra streichelt die Hand:

      „Ich bin sehr glücklich bei dir.“

      Sarodnick schläft im Hotel Bukarest an dem Fluss, und die beiden sind froh, sich wiederzusehen, wieder zu spüren nach so langer Zeit. „Wann habe ich bloß das letzte Mal im Hotel …? Habe ich überhaupt im Hotel …?“ Im Hotel ist alles inklusive: die Wäsche, die Liebe, das Wasser im Bad. „Wie lange haben wir uns nicht mehr gefasst?“

      „Es ist wie …“

      „Du.“ – Ein Hauch weht über die Lippen.

      „Hast du etwas bemerkt?“

      „Nein. Das ist Moskau, über dem Fluss.“

      Sie fahren mit der reisenden Gruppe im Bus, und Sarodnick erlebt die Stadt zum ersten Mal als ein Tourist.

      „Ist die aber groß!“

      „Da kannst du mal sehen.“

      „Jeder Pavillon war früher unseren fünfzehn Sowjetrepubliken gewidmet“, erklärt Wolodja in der Volkswirtschaftsausstellung. „Man kann die Konturen und Buchstaben von den vormaligen Losungen noch erkennen: Stalin und Stalin und Stalin … – Lissitzky hatte dem Bau die Hand anlegen wollen. Als wäre man noch bei 1920 gewesen!“ Im Panoramakino kugeln sich die drei fast ihren Kopf aus für hundert Kopeken, als seien sie mitten dabei. Und sie ducken sich von den Schmerzen im Rücken.

      „Das ist die Zukunft des Films“, erläutert ihnen Wladimir. –

      „Das ist Semjon-Sjoma, das ist Ljuba, das ist Jura – ein Film-Ökonom“, stellt Martin seine Freunde ihr vor.

      „Zum Einfließen schön ist deine Petra“, sagt Samwel, und geniert öffnet Wladimir die Flasche mit Wodka. „Ich tuckel nur Wein“, bemerkt der Armenier, und Wladimir gesteht:

      „Ich trinke eigentlich nicht.“ – Galant ausgeschwungen spricht er zu Petra, aber das Mädchen kann nicht schwingen mit ihm – sie lässt es sich übersetzen, unübersetzt.

      „Dieses mit den Kanonen vor der Blende über dem Tor …– haben Sie es schon visitiert?“ Petra lacht über den Ton.

      „Das ist das Museum der Revolution!“ Sie entschuldigt sich rasch: „Bei meinen paar Tagen! Ich kann nicht alles besuchen.“

      „Schade. Sehr schade. Einmal war es der englische Club, und man speiste dort ein Menü à la Zar – extravagant und superb.“

      Jura hat für Samwel Portwein für einen Rubel zwanzig besorgt.

      „Auf ihrer ersten Voyage in unserem Land!“, prostet Wowa und hebt das Glas. Rasch hat der Ökonom, der Ukrainer aus Kiew, den Klaren aus dem Auge verloren, und er lacht nur noch aus Spaß.

      „Das kann heiter noch enden!“ –

      „Auf Deutschland. Prost!“

      „Ihr Vater war in Russland gewesen?“

      „Keine Geschichten!“, ermahnt Samwel den Ukrainer.

      „Dort in der Passage hat sich Majakowski erschossen.“

      „Dann wollen wir nicht mehr stören“, rüstet die schüchterne Ljuba zum Abgang. Doch die Getroffenen bleiben stumm und stumpf in den Sesseln. Nur Wladimir weiß, was sich gehört, und er küsst die Hand der „Deutschen Madame“: „Auf Wiedersehen! Es war mir eine sehr große Ehre, mit einer solchen Dame zu konversieren.“ – Wolodja und Ljuba verlassen das Paar. Die anderen aber prusten, lallen und lecken den mickerigen Rest aus den Flaschen.

      „Du musst nämlich wissen, Wowa, der spinnt“‚ wird der Armenier sehr deutlich. Für Petra aber ist alles prima und „nett“: „nette Leute“, „netter Abend“, „nettes Gespräch“. „So viel habe ich lange schon nicht mehr getrunken!“

      Ein normaler gewöhnlicher Tag: Alle besaufen sich, umarmen sich, schlecken sich ab und finden – „welch ein Wunder!“ – hinterher noch ihre Betten. Am nächsten Morgen kommt man natürlich zu spät zu den Seminaren, und der Kopf brüllt zum Schreien: „War ich gestern voll leerem Stroh!“ – Jetzt aber spielt es keine Geige, die Saiten sind vollzählig, sind mit Seife geschmiert, und es rutscht wie in den besten Konzerten. „Auf unser schönes deutsches Mädchen!“ – Und man prostet die ganze Familie und lässt sie in Toasten und Trinksprüchen hochleben. Es bleiben die Toten noch über: „Tränke man bis zum Jüngsten Gericht …!“ „Um die Ecke, zur Neglinnaja hin, war einst der deutsche Bezirk“‚ weist Samwel ausschweifend breit aus und lässt noch einmal sich nachschenken. „1914 wurde er reif zum Prügeln und Massakrieren geschlagen.“

      „Was konnten denn die armen Leute dafür, für den Krieg?“, fragt Petra.

      „Wer konnte dafür? Pogrome sind Abwehr. Das geht weit ins Abstrakte“, antwortet Jura.

      „Einige wurden sogar selbst von den eigenen Leuten inszeniert und dann an die große Glocke gehängt. Siehe Odessa“, erinnert der Armenier.

      „Stimmt! Wie im Film.“

      „Bloß die Ausländer hatten die Genehmigung mit Wodka zu handeln.“

      „In Russland! Stellst du dir das mal vor? Das Trinken kommt hier noch vor dem Saufen.“ –

      Sehr spät löst man das Häufchen auf in dem Glück. Man hat sich getroffen. Halb fallend stützen sich Jura und Samwel in die wartende Taxe.

      Martin schläft sich bei Petra, hält inne, überlegt: „Ist es Zeit? – Noch ein Weilchen. Es ist so gut, nahe zu sein.“ – Er küsst ihre Zähne, wechselt den Takt und verendet im Nabel: „Es ist kummervoll, sich trennen zu müssen.“

      Auf dem Flugplatz, am Arm, ist Petra wieder sehr traurig. Der Koffer, die Souvenirs, der Sekt … „Wann seh’ ich dich wieder?“

      „Im Sommer. Du organisierst ihn wie immer für mich?“

      „Martin.“ Sie küsst ihn und schaut noch einmal über die Barriere vom Zoll, schaut prüfend, streichelnd, ein klein wenig jedoch höher auf seine Stirn, da wo die Augenbrauen beginnen.

      „Wie ihr Vater damals, als er uns zum Bahnhof gefahren“‚ fällt es – wie die Schuppen vom Haar – Sarodnick ein.

      Martin hatte sich damals mit Petra im Hecksitz versteckt, brav, ängstlich: Der Vater führte vorn auf dem Bock. Ihre Finger berührten sich keusch, und der „Fahrer“ sagte den Weg über kein Wort, hatte die Hände, die durch lederne, kleinlöchrige Handschuhe mattfarben schimmerten, spielend auf das Lenkrad gelegt. Ordentlich hielt er das Wagenfenster geschlossen, wegen der Hitze draußen und auch der Haare schon wegen, die im Fahrtwinde ihre Fasson einbüßen könnten und selbst ihren pomadigen Glanz. Er blickte nicht in die Seite, und er fuhr sehr schnell durch die Stadt. „Hat er es eilig? Oder ist er nervös?“, überlegte Martin. Petra hatte ihm doch bestätigt, dass der Vater nicht dagegen war, dass sie verreiste mit ihm. – Der Handschuh