Christopher W. Blackwell

Mythologie für Dummies


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       Auf nach Italien und England

      Giovanni Boccaccio, ein berühmter mittelalterlicher italienischer Schriftsteller, nahm die Geschichte von Troilos und erzählte sie in seinem um 1338 erschienenen Buch Il Filostrato (»Der Betrogene«) neu. Den Namen der Geliebten änderte er in Cressida, wohl um sie unmissverständlich von Achills Geliebter Briseïs zu unterscheiden. Der englische Autor Geoffrey Chaucer nahm sich dieser Geschichte einige Zeit später erneut an. Sein Buch hieß Troilos und Criseyde. Beide Autoren betonten in ihren Büchern unter anderem den Aspekt der romantischen, tragischen Liebe in dieser Geschichte.

       Troilos und Cressida sind auch heute noch gegenwärtig

      Troilos und Cressida sind auch heute noch präsent, weil die Menschen Shakespeares Drama immer noch für aufschlussreich und bedeutungsvoll halten. Ihre Geschichte findet aber auch auf einer viel alltäglicheren Ebene weiterhin Verwendung. So gab zum Beispiel der Autobauer Toyota in den 1990er Jahren einem seiner Autos den Namen Cressida – eine Namensgebung, deren Weisheit allerdings bezweifelt werden darf, ist doch Cressida diejenige, die ihren Geliebten verlassen und seinem Mörder ausgeliefert hat. Ein anderes Beispiel: Als 1986 die Raumsonde Voyager am Planeten Uranus vorbeiflog, gab man einem neu entdeckten kleinen Mond den Namen Cressida.

      Auf diese Weise also überdauern Mythen die Zeit und verändern sich dabei allmählich. Auch wenn die Figur des Troilos ursprünglich ziemlich unbedeutend war, so tauchen sein Name und seine Geschichte doch immer wieder bei Homer und anderen griechischen und römischen Dichtern sowie bei mittelalterlichen Schriftstellern aus Frankreich, Italien und England auf. 1500 Jahre nach seiner Erfindung erhält er eine Geliebte, deren Name sich mehrfach ändert und die schließlich bis in unsere Zeit hinein als Namensgeberin für ein Auto und einen kleinen Mond eines fernen Planeten lebendig geblieben ist.

      Mythen sind überall

      Ob auf der Straße oder im Urlaub – man kann sich der Gegenwart und dem Einfluss von Mythen nicht entziehen. Sie sind überall! Die Werbung bedient sich ihrer wegen ihrer großen emotionalen Wirkung. Oder Objekte bekommen mythologische Namen, weil es einfach dem Trend entspricht beziehungsweise um eine bestimmte innere Haltung zum Ausdruck zu bringen. Oder weil die Leute schlicht gerne Sachen kaufen, die solche Namen tragen. (Denken Sie beispielsweise an die Turnschuhmarke Nike.)

       Mythen am Steuer

      Wenn Sie Ihr Toyota Cressida verraten sollte (siehe oben) – was eher unwahrscheinlich erscheint –, so können Sie jederzeit auf andere Modelle umsteigen, deren Namen auch Mythen entlehnt wurden. Wie wäre es etwa mit einem Legend (von Acura, einer Tochtermarke des Autobauers Honda)?

      Am Steuer eines Toyota Avalon werden Sie sich bestimmt wie König Artus persönlich fühlen. In einem Cadillac El Dorado wiederum wird Sie das Gefühl unerhörten indianischen Reichtums umgeben. Ihr Ausflug an den Strand zusammen mit den Kindern wird Ihnen vielleicht wie eine endlose Reise vorkommen, vorausgesetzt natürlich, Sie reisen in einem Honda Odyssey, auch wenn es darin, anders als auf dem Schiff des Odysseus, Flaschenhalter gibt.

       Mythen, die man am Hals tragen kann

      Der symbolische Wert von Mythen beschränkt sich natürlich nicht nur auf Autos. Die meisten Touristen, die den Südwesten der USA besucht haben, werden sicherlich mit mindestens einem T-Shirt nach Hause zurückkehren, das mit der indianischen Mythengestalt Kokopelli bedruckt ist, einer flötenspielenden, listigen Gestalt. Sie symbolisiert die frühe Kunst und Kultur dieser nordamerikanischen Region, die von einem Geist lebendiger Unabhängigkeit von allem Konventionellen und Einengenden geprägt war. Mit der Zeit wandelte sie sich zu einem allgemein bekannten Symbol für diesen Landesteil insgesamt.

       Mythen, die man mit bloßem Auge sehen, aber doch nicht anfassen kann

      Der Himmel ist dicht gepackt mit Mythen. Die griechischen und römischen Götter lebten im Himmel (oder zumindest hoch oben auf dem Berg Olymp), ebenso wie diejenigen Sterblichen, die sich durch ihre Leistungen auf Erden dieses Privileg verdient hatten. Was lag näher, als dass die Menschen auf der Erde versuchten, ihre Götter und Helden in den Konstellationen der Sterne ausfindig zu machen?

       Die göttlichen Sternenkonstellationen

      Selbst nüchterne Astronomen von heute schauen auf den Sternenhimmel und sehen die alten, mythische Namen tragenden Sternbilder. Man findet dort oben zum Beispiel Pegasus, das geflügelte, aus dem Blut der schrecklichen Medusa entstandene Pferd; oder auch den Centaur, das Wesen, das halb Mensch, halb Pferd ist. Auf der nördlichen Hemisphäre ist im Winter eines der auffälligsten Sternbilder Orion, der mächtige Jäger und Sohn des Poseidon. Man kann es leicht an seinem Gürtel, drei hell strahlenden, in einer Linie aufgereihten Sternen in der Mitte des Bildes erkennen. In der griechischen Mythologie starb Orion nach dem Biss eines Skorpions. Am Firmament aber ist er sicher vor dem Skorpion, da Orion im Südosten aufgeht, gerade wenn das Sternbild Skorpion im Nordwesten untergeht. Weiter im Süden kann man am Himmel das Sternbild Argo erkennen, benannt nach jenem Schiff, mit dem Jason und die Argonauten nach Kolchis gesegelt sind, um das Goldene Vlies zu stehlen. (Mehr zu dieser Geschichte in Kapitel 6.)

      Alle Planeten unseres Sonnensystems sind nach griechischen und römischen Göttern benannt (eingeschlossen die Erde, die den Griechen als Gaia bekannt war): Mercurius, der Götterbote; Venus, die Göttin der Liebe; Mars, der Kriegsgott; Jupiter, der höchste Gott der Römer, Herr über Blitz und Donner; Saturn, römischer Gott des Ackerbaus; Neptun, der Meeresgott und Uranus, der Himmelsgott.