Ralos Znarf

Zapfenstreich für Österreich


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auf das Hofratspaar zu), bemerkte, dass sich das Grinsen des Konsuls immer mehr verbreiterte und die Gefahr bestand, dass seine Ironie allzu deutlich erkennbar werden könnte. Deshalb schaltete sie sich in höflichem Konversationston ein:

      „Waren Sie schon in diesem Spiegellabyrinth?"

      „War diese Frage an mich gerichtet?" entgegnete die Gefragte, die, zwischen dem Gastgeber und Sonja stehend, dieser den Rücken zugewendet hatte. Mit ihren Worten drehte sie den Kopf leicht, ohne Sonja wirklich ins Blickfeld aufzunehmen.

      „Ja", sagte Sonja, „waren Sie schon drin?"

      Den Blick immer noch zu vier Fünfteln abgewendet, antwortete die Bankiersgattin frostig: „Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, liebes Kind, dass ich mich mitten in einem Gespräch befinde? Haben Ihnen Ihre Eltern nicht beigebracht, dass man sich nicht aufdrängen soll?"

      „Verzeihen Sie bitte vielmals!" gab Sonja zurück. „Ich wollte mich Ihnen wirklich nicht aufdrängen; aber Sie zeigen so viel Einfühlungsvermögen in Ihren Interpretationen, dass mich Ihre diesbezügliche Meinung zutiefst interessiert."

      Jetzt wendete sich die Angesprochene ihr voll zu und fixierte sie: „Was heißt denn hier bitte ‚Interpretation'? In der Kunst ist es so wie überall im Leben, in der Mathematik, in der Physik oder in der Wirtschaft - es gibt nur e i n e Wahrheit; man muss einfach richtig hinschauen, dann liegt alles sonnenklar vor einem da. Wenn Sie also in diesem Zusammenhang von meiner 'Interpretation' reden, so ist das fast schon eine Beleidigung. Und ich lasse mich nicht beleidigen; schon gar nicht von Ihnen."

      Sonja blieb entspannt: „Verzeihen Sie bitte nochmals, nichts liegt mir ferner als Sie beleidigen zu wollen. Ich denke mir nur, dass man die Dinge doch von verschiedenen Blickwinkeln aus betrachten kann und dass sich der Eindruck dadurch stark verändert."

      „Papperlapapp" kam es zurück, „dieses Zugeständnis an verschiedene Blickpunkte führt nur zu Verwaschenheiten. Zu Wackelpudding-Ansichten. Ich gebe keine Meinungen von mir, sondern Wahrheiten die auf vorurteilsloser Beobachtung beruhen. Das ist auch die Aufgabe von uns Eliten. Sonst könnt' ja jeder daherkommen."

      Sonja fand allmählich Gefallen an der Konversation: „Und wenn ich Sie fragen darf, was ist denn die 'Wahrheit' von dem Spiegellabyrinth?"

      Hier wäre jetzt nachzutragen, was der selbstbewussten Bankiersfrau im Laufe der Ausstellung bereits widerfahren war.

      Warum reagierte sie gar so gehässig auf Sonja?

      Einem außenstehenden Beobachter wäre sofort aufgefallen, dass sich in der übergriffigen Offensive, die in dieser Intensität sogar für diese Dame nicht alltäglich war, eine tiefe Verzweiflung offenbarte.

      Nun, als sie mit ihrem Mann eingetroffen war, empfand sie es als wohltuend, dass dieser gleich vom kriecherischen Hofrat Weisungsknecht in Beschlag genommen wurde. So ergab sich für sie der Freiraum, alleine und ihrem hastigen Tempo entsprechend, alles anzusehen.

      Im Grunde fand sie die meisten Ausstellungsstücke banal und die seltsamen Zweier-Anordnungen nicht nachvollziehbar. Was etwa hatte eine barocke Darstellung des 'Letzten Abendmahls' mit der Comic-haften Karikatur zweier HIV-infizierter Blutkonserven zu tun?

      Sie war sehr schlecht gelaunt und unbefriedigt.

      Die Mädchen des Catering-Service machten keinen 'Knicks', wenn sie ihr Champagner anboten und die jungen Männer ignorierten ihr Dekoltée; ihr Gatte hatte sein Mundwasser nicht genommen und die neuen Stöckelschuhe drückten an den kleinen Zehen.

      Dazu gesellte sich ein weiteres plagendes Ärgernis: bei der Entfernung des Preisschilds von ihrem neuen Strumpfgürtel, hatte sie in der Eile darauf vergessen, auch das pieksende Plastikteilchen zu entfernen, das die Verbindung zwischen Strumpfgürtel und Preisschild gewesen war. Andauernd stach nun dieses lästige (und wie ihr schien auch immer spitzer und scharfkantiger werdende) Plastik in das weiche Fleisch ihrer rechten Hüfte. Sie kam in Versuchung sich zu kratzen und an der betreffenden Stelle herumzunesteln, um Abhilfe zu schaffen; doch vor so vielen Augen wollte sie sich keine peinliche Blöße geben. Sie ging Richtung Toilette, doch da stand eine ewig lange Schlange verhasster Frauenzimmer....

      Plötzlich glaubte, sie ein Wunder zu erblicken: vor einem Ausstellungsstück sah sie den Mann ihrer Träume - im wahrsten Sinne des Wortes. Es war genau das Gesicht des schönen, dunkelgelockten Tenors mit dem Schimmel. Er war in die Betrachtung einer Installation versunken, die aus einem Kanonenrohr bestand, das auf Feigen, Zwetschgen und Pfirsiche feuerte, die, wie Planeten in ihrer Umlaufbahn, über dem Kanonenrohr schwebten. Darüber flatterte eine mechanische Taube, die das Lied 'Love is in the air' sang.

      Sie glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können und hyperventilierte, sodass ihr schwindlig wurde. Heißes Entzücken nahm von ihr Besitz und drang mit schmelzender Konsequenz in ihren eisigen Kern. Sie spürte, dass sie der Ohnmacht nahe war. Wie eine rettende Klosterpforte bot sich ihren Augen der Eingang zum Spiegellabyrinth. Sie stolperte in den glasigen Gang und folgte ihm zweimal um die Ecke, ehe sie schließlich an einer verspiegelten Kreuzung anhielt.

      Allmählich kam sie wieder zu sich. Sollte das vorhin eine Halluzination gewesen sein? Konnte sie ihren Sinnen nicht mehr trauen? Aber nein! Es war einfach unmöglich, dass s i e sich irrte! Grundsätzlich!!

      Sie begann zu zittern, denn ein wunschhafter Traum, dessen Erfüllung selbst sie niemals für möglich gehalten hatte, könnte hier Wirklichkeit werden. Sie sah sich plötzlich als verführerische Zigeunerin eine 'Habanera' tanzen, dann würde plötzlich e r , der dunkelgelockte Tenor zu ihr treten......gehüllt in fernöstliche Phantasiegewänder, er würde 'Nessun dorma' anstimmen und sie in einen schleierwallenden Harem tragen und bei „Vincero! Vincero!!" würden sie einen gemeinsamen kosmischen Höhepunkt erleben....

      Plötzlich spürte sie wieder das lästige Stechen des Plastikteilchens im Strumpfgürtel.

      Noch völlig derangiert von ihrer Glücksphantasie, begann sie sich hektisch an der bewussten Stelle zu kratzen. Schließlich zog sie das Kleid über die Hüften hoch und versuchte das spitze Plastikteilchen herauszureißen; bei diesem Versuch brach der Fingernagel ihres rechten Daumens, sowie des Zeige-und Mittelfingers. In unbeherrschtem Jähzorn schrie sie auf.

      Just in diesem Moment passierte Folgendes: es gab ja die Ankündigung, dass der Besucher des Spiegellabyrinths mit den 'Letzten Fragen' konfrontiert werde.

      Das bedeutete konkret: oberhalb des Spiegels, vor dem die Bankiersfrau gerade stand und den Gemeinheiten des Schicksals ausgesetzt war, befand sich ein Sensor. Dieser Sensor nahm nicht nur wahr, ob gerade jemand vor ihm stand, er konnte auch erkennen, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau handelte. Kam ein Mann davor zu stehen, stellte eine Stimme, die wie die Computerstimme aus einem Science-Fiction-Film klang, die für einen Mann elementarste aller Fragen: „Hast Du heute schon gefickt?"

      Kam jedoch eine Frau in den Sensorbereich, stellte dieselbe Stimme die Frage:

      „Bist Du die Schönste im ganzen Land?"

      Und gerade in diesem Moment, als die Bankiersfrau wutentbrannt aufschrie und ihr hässliches, zornentstelltes Gesicht im Spiegel erblickte, ertönte die Frage: „Bist Du die Schönste im ganzen Land?"

      Was ihr Trauma aber endgültig manifestierte, war die Tatsache, dass zehn Sekunden vor der Fragestellung - der herbeigeträumte, dunkelgelockte Mann um eine verspiegelte Ecke gebogen war, natürlich nicht in fernöstliche Phantasiegewänder gehüllt; schräg hinter ihr stehend wurde er Zeuge dieser Vorgänge. Als sie nun, das Kleid unappetitlich hochgezogen, mit selbstzerstörerischem Hass ihre bloßliegende Hüftgegend malträtierte, als ihre Fingernägel brachen und als sie diesen abstoßenden Wutschrei von sich gab, als sie entsetzt von ihrem eigenen Anblick auf den Spiegel einschlagen wollte und ihr zuletzt diese fürchterliche Frage gestellt wurde - erblickte sie auf einmal ihren Traumhelden im Spiegel, hinter ihr stehend, mit spöttischem Kopfschütteln die Frage verneinend. Den Rücken ihm zugewendet, sein abschätziges Antlitz im Spiegel wahrnehmend, erstarrte sie mit offenem Mund.

      Abrupt beendete er das Kopfschütteln, ihre Blicke fixierten einander im Spiegel und nach fünf endlosen Sekunden sagte er: „Pardon."

      Dann