Ralos Znarf

Zapfenstreich für Österreich


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sehr leid, dass ich mich erst jetzt melde. Ich hatte den ganzen Nachmittag Gespräche zu führen."

      „Aber das macht doch nichts!" log Sonja.

      „Wirklich nicht?" In seiner Frage lag etwas Prüfendes. Sonja schluckte.

      Bruno fuhr fort: „Was machen Sie gerade?"

      Diese einfache Frage brachte die ansonsten so eloquente und selbstsichere Sonja in Verlegenheit. Sie konnte doch nicht sagen, dass sie nahezu nackt, mit Prosecco überschüttet im Fauteuil sitze und ihn in Ihrer Sehnsucht herbeizubeamen versucht hatte!

      Also antwortete sie: „Ich habe meine Wohnung gerade ein wenig aufgeräumt und eben eine kurze Pause eingelegt." Sie kicherte aus Verlegenheit.

      „Haben Sie getrunken?" Und wieder glaubte sie in seiner Frage diesen prüfend überwachenden Unterton zu hören.

      „Ach, ein kleines Gläschen Prosecco." Erneut kicherte sie.

      „Wirklich nicht mehr?"

      „Nnein...!“

      „Wissen Sie", fuhr er fort „ich wollte Sie eigentlich fragen, ob wir uns noch kurz treffen können. Aber wenn Sie schon so betrunken sind, macht das wenig Sinn."

      „Aber ich bin ja gar nicht betrunken!" beteuerte Sonja hektisch.

      „Lügen Sie mich bitte nicht an", entgegnete Bruno. „Das ist nicht fair. Ich hatte heute wirklich einen anstrengenden Tag. Und eine betrunkene Frau wäre mir jetzt einfach zu viel."

      „Aber wirklich, ich bin nicht betrunken! Höchstens ein ganz kleiner Minischwips!" entgegnete sie mit dem Versuch, ihre charmantesten Töne zu aktivieren.

      „Sonja, bitte! Begeben Sie sich nicht unter ihr Niveau. Vielleicht klappt es ja ein anderes Mal mit uns."

      „Aber Bruno, ich habe mich doch schon so auf sie gefreut! Den ganzen Tag!" entfuhr es Sonja.

      Eine kurze Stille folgte, dann sagte Bruno.

      „Ja? Ich habe das Gefühl, das ist der erste ehrliche Satz, den ich heute von Ihnen zu hören bekomme. Wenn Sie mich wiedersehen wollen, müssen Sie aufrichtig sein."

      „Gut!" rief Sonja voller Angst. „Ich verspreche, dass ich Sie nicht enttäuschen werde. Aber vielleicht könnten wir das alles irgendwo miteinander besprechen?"

      Dieser Satz klang so beklommen, als würde sie mit den Entführern ihres Kindes über den Vorgang der Lösegeldübergabe verhandeln.

      „Nein Sonja, es tut mir leid. Ich bin wirklich sehr überanstrengt. Vielleicht geht es sich ja aus, dass ich mich morgen bei Ihnen melde. Rufen Sie bitte n i c h t an; i c h melde mich. Gute Nacht, Sonja."

      Noch ehe Sonja ihrerseits „Gute Nacht!" sagen konnte, hatte er schon aufgelegt.

      Sonja war perplex. Hatte sie das alles nur geträumt? Das durfte doch nicht wahr sein! Das Handy in der Rechten, mit offenem Mund.....stand sie zitternd da. Ihr verständnisloser Blick verlor sich im Nirgendwo.

      Irgendwann gab sie diese Position auf und kontrollierte die 'Eingegangenen Anrufe' am Display. Ja, hier stand 'Bruno'! Sein Anruf hatte t a t s ä c h l i c h stattgefunden. Kopfschüttelnd füllte Sonja den letzten Rest Prosecco in's Glas.

      Ihre kreisenden Gedanken, die sich ständig und mit zermürbender Ausschließlichkeit nur mehr um ihr angemessenes Verhalten gegenüber Bruno drehten - machten sie schwindlig, wie die stundenlange Fahrt auf einem viel zu schnellen Ringelspiel.

      Ihr wurde spei-übel und die Toilette zum Zufluchtsort.

      Da sie sich, wie wir wissen, an diesem Tag ausschließlich flüssig ernährt hatte, gab es nicht viel, wovon sie sich hätte befreien können. Doch der Brechreiz ließ nicht nach. Unbarmherzig, wie eine strafende Pumpe, ließ er sie immer wieder aufstoßen.

      Der Schweißfilm auf der Haut war nun nicht mehr wohlriechend und von angenehmer Glitschigkeit, sondern eiskalt und klebrig. Schüttelfrost bemächtigte sich ihrer und sie schrie: „Bitte, verzeih mir! Bitte! Ich halt's nicht mehr aus! Bitte, verzeih mir! Hilf mir! Bruno!!"

      °°°°°

      Kapitel 4

      Karl kämpfte sich im Stiegenhaus durch die Duftschwaden der leise vor sich hinköchelnden Kutteln und erreichte endlich die Straße.

      Die Kfz-Werkstatt Huber lag am anderen Ende der Stadt. Der Weg war zu Fuß nicht zu bewältigen, daher beschloss er, erst die U-Bahn und schließlich den Bus zu nehmen.

      Nachdem wir ihn nun ein bisschen kennengelernt haben, können wir leicht erraten, dass Karl eine so unnötige Ausgabe wie die Investition in einen Fahrschein, nicht zu tätigen bereit war.

      Karl bemerkte, wie er zu schwitzen begann. Dies war einerseits auf die außerordentliche Schwüle dieses Spätsommertages zurückzuführen.

      Andererseits, und das fiel ihm erst jetzt im U-Bahnwaggon auf, hatten die Mitpassagiere einen gehetzten, misstrauischen Blick gemeinsam; Wut und Angst schien in ihnen angesammelt, die sich jeden Augenblick in einer brutalen Übergriffigkeit entladen konnte.

      Zwar war das für die Bundeshauptstadt nichts Ungewöhnliches, aber die Atmosphäre war heute doch von besonders gehässiger Labilität.

      Karl, unkundig der aktuellen Ereignisse, bezog den öffentlichen Grimm auf sich und fühlte sich von jedem einzelnen als Schwarzfahrer durchschaut. Die Visagen der Früpensionisten und überforderten Mütter verformten sich zu geistlosen Zombiefratzen aus denen Geifer tropfte....ihre halbverwesten, blauvioletten Klauen zuckten nach ihm.....er wich den Blicken aus....und spürte plötzlich das altbekannte, zusammenziehende Verkrampfen im Gedärm.

      Aus dem Mief der Fascho-Zombies hatte sich ein schwingender Duftfaden hin zu Karls Sinnen geschlängelt: eine durch oberflächliche Fruchtigkeit ummantelte Strenge, die den Achselhöhlen einer verführerischen Nymphe entströmte. Gut zwei Meter von Karl entfernt stand sie. Mit der einen Hand hielt sie sich am von der Decke baumelnden Haltegriff fest....mit der anderen presste sie den anthrazitfarbenen Blazer ihres Businesskostüms, sowie eine längliche Handtasche an sich.....sie wiegte den Körper elastisch in den Erschütterungen der fahrenden U-Bahn...schwarze Haare, schulterlang (wahrscheinlich gefärbt)...die Augen gräulich....die provokant vollen Lippen mit glänzendem Lip-Gloss verschönert, wodurch sie noch feuchter aussahen...die makellosen Waden akribisch rasiert – feiner Glanz lag auf ihnen, der Karl an die Beflissenheit einer Edelnutte denken ließ. Was Karl aber am meisten beschäftigte, war dieser ordinäre Zug um ihre Mundwinkel, der die permanente Zugänglichkeit ihrer Öffnungen zu signalisieren schien.

      Vor seinem geistigen Auge sah sich Karl schon heftig mit ihr turtelnd in einem Vorstadt-Café sitzen. In seinen Handflächen spürte er das belebte Fleisch ihrer Pobacken und ihre verhurte Bereitschaft zu sofortigem schmutzigem Sex.

      Da entwich ihm ein – zum Glück trockener – Wind.

      Nahezu lautlos.

      Dummerweise stand in diesem Augenblick eine Mutter mit ihrer fünfjährigen Tochter, zum Ausstieg bereit, neben ihm. Das Gesicht des Mädchens befand sich etwa auf der Höhe von Karls Gesäß.

      Die Kleine schrie auf: „Wäh, pfui, der Mann hat ein Pupsi lassen!“

      Und übergab sich im selben Augenblick!

      Glück im Unglück!

      Denn unmittelbar vor dem Aufschrei des Mädchens schlug eine fordernde Stimme an Karls Ohr: „Fahrscheinkontrolle!“

      Da die Kleine sich aber sehr ausgiebig übergab, war alle Aufmerksamkeit auf sie konzentriert. Offenbar war sie mit ihrer Mama gerade bei McDonald‘s gewesen; denn es roch plötzlich penetrant nach Cheeseburger.

      Die anderen, ebenfalls zum Ausstieg bereiten Fahrgäste, wichen zurück. Und plötzlich befanden sich die Kontrolleure unter Druck.

      Es waren zwei. Mittleres Alter, ungepflegt.