Ralos Znarf

Zapfenstreich für Österreich


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Interesse an seiner regelmäßigen Mitarbeit habe. Außerdem zeige auch ein trendiges Hochglanzmagazin aus Berlin Interesse an seinen Artikeln. Er stünde also derzeit mit einigen wichtigen Personen in Verhandlung, worunter sein Privatleben leide.

      Kurz bevor der Hauptgang serviert wurde, griff Bruno in die Tasche seines Sakkos und holte ein quadratisches, schwarzes Päckchen von etwa acht Zentimeter Seitenlänge zutage. Er legte es vor Sonja auf den Tisch und sagte mit sanfter Stimme und tiefem Blick in ihre Augen:

      „Das ist ein kleines Geschenk für Sie."

      „Was, für mich?" fragte Sonja in beglückter Überraschung.

      „Ja, ich wollte Ihnen eine Freude machen." Dabei wurde sein Blick noch tiefgründiger, worauf Sonja einen Hauch von Unheimlichkeit verspürte.

      Mit vorsichtigen Fingerspitzen löste sie das rote Band und die Klebestreifen, die das schwarze Geschenkpapier zusammenhielten. Daraus schälte sie ein ebenso schwarzes Schächtelchen hervor. In bewundernder Neugier drehte Sonja dieses zwischen den Fingern hin und her; schließlich hielt sie in dieser Bewegung inne und ihr Blick verlor sich in der schwarzen Oberfläche.

      „Sie können es gerne öffnen!" sagte Bruno, der sie mit hintergründiger Aufmerksamkeit beobachtet hatte.

      An einer Längsseite befand sich ein winziger Druckknopf aus Messing. Sonja betätigte ihn behutsam, wozu sie den Daumen der rechten Hand benutzte. Dabei schien sie einen Nerv zu berühren, der unter der Hautoberfläche ihrer sensiblen Daumenkuppe verlief: ganz kurz spürte sie einen Stich; ein schneidender Impuls durchfuhr den Arm und setzte sich bis in den Unterbauch fort, wo er sich nach einer kurzen Rotationsbewegung verlor.

      Das Innere des Etuis war mit dunkelrotem, kurzflorigem Samt ausgelegt. Darauf gebettet lag ein zartgliedriges Goldkettchen. An diesem hing ein kleiner Anhänger, ebenso aus Gold. Erst bei genauerem Hinsehen konnte Sonja erkennen, dass es sich dabei um einen Skorpion handelte. Ihr Blick blieb mit freudig fragendem Ausdruck daran hängen.

      „Mein Sternzeichen ist der 'Skorpion'", erklärte Bruno sanft. „Ich würde mich freuen, wenn Sie diesen Anhänger für mich tragen."

      Wortlos nahm Sonja das Kettchen aus dem Etui und schlang es um ihren Hals.

      Als sie die filigrane Schließvorrichtung betätigen wollte, sagte Bruno:

      „Warten Sie, ich helfe Ihnen."

      Er kam um den Tisch herum und Sonja wandte ihm das Genick zu. Als er mit seinen Fingerspitzen die Enden des Kettchens aus Sonjas zartem Griff übernahm, berührten sich ihre Hände und Sonja zog es zusammen, wie eine Nacktschnecke, an der man streift. In gekonnter Manier betätigte Bruno den Verschluss; danach legte er die Hände auf ihre Schultern und flüsterte von hinten in ihr linkes Ohr: „Lass uns doch einfach ´per Du´ sein."

      Dann wechselte er mit seinem Gesicht die Seite und küsste sie weich auf den Hals, unmittelbar unter dem rechten Ohr.

      Sonja lehnte den Kopf nach hinten und flüsterte: „Du....." Leicht öffnete sie die Lippen, um sein Ohrläppchen zu liebkosen. Da bemerkte sie, dass Bruno gar keines hatte und hauchte, ihre Irritation verdrängend, einen Kuss hinter das Ohr.

      Gerade in diesem Augenblick wurde das Hauptgericht serviert, ein 'Seeteufel in Salzkruste'. Wortlos setzte sich Bruno wieder an seinen Platz und zerklopfte mit einem Löffel die Salzkruste; der bizarre Bewohner tiefer Gewässer kam zum Vorschein. Sonjas Blick fiel auf die unheimlich geronnenen Augen des Fisches. Sein überproportional großes Gesicht mit dem breiten Maul....daraus spitze Zähne rachsüchtig drohten....sowie die drachenartige Rückenflosse riefen in Sonja für Sekundenbruchteile eine Phantasie des Zerschnittenwerdens wach.

      Bruno zerteilte den Fisch mit routiniertem Messer und legte ein weißes Filetstück jeweils auf Sonjas und auf seinen Teller. Er hob sein Glas, fixierte wieder einmal Sonjas Augen und sagte sanft: „Salute!"

      Sonja antwortete mit willenlosem Ausdruck: „Salute, Bruno! Du...!"

      Nach einem kleinen Schluck begannen sie wortlos zu speisen. Bei jedem Bissen kam es ihr vor, als dränge mit der Fischmaterie ein beobachtender Spion in ihr Inneres. Aber sie interpretierte das eigentlich unangenehme Empfinden um - in ein Gefühl des Komplett-Werdens.

      Schließlich fragte Sonja: „Bist Du 'Fisch' - vom Aszendenten? Du hast so etwas Sensibles."

      „Nein! " gab er lächelnd zurück. „Der 'Wassermann' ist mein Aszendent......aber die Fische sind meine Freunde."

      In Zusammenhang mit ihrem vorhergegangenen Spionageverdacht, bekam seine Aussage etwas Beunruhigendes. Aber auch jetzt ignorierte sie die Alarminstinkte.

      „Und Dein Aszendent....etwa 'Fisch'?" fragte er.

      „Nein, 'Löwe'. Mein Hauptzeichen ist die 'Jungfrau'."

      „Ah verstehe", fiel er ein. „Daher die große Ordnungsliebe."

      Sie dachte: 'Woher weiß er von meiner Ordnungsliebe. Ich hab doch noch gar nichts davon erzählt.'

      Sie sagte aber: „Manchmal denke ich mir, dass ich eher einem Wasserzeichen entspreche; oft wäre ich gern ein Delphin, der in grünem Wasser taucht."

      Sie aßen schweigend weiter.

      „Der Seeteufel ist Dir ein bissl unheimlich, stimmts? Aber nimm noch, er ist göttlich!"

      Ohne eine Antwort abzuwarten legte er ein weiteres Stück auf ihren Teller, füllte wieder die Gläser und sie aßen zu Ende.

      Sonja betrachtete die Fischreste.

      „Aber der hat ja gar keine Gräten!" bemerkte sie erst jetzt.

      „Ja, der Seeteufel ist ein Knochenfisch", erklärte er.

      Er löste den länglichen und konisch verlaufenden Hauptknochen von den anderen, streifte mit den Fingern an der glatt-weißen Oberfläche entlang, nahm Hummerbutter auf ein Messer und bestrich ihn damit gleichmäßig. Dann zog er den eingefetteten Gegenstand mit einer waagrechten Bewegung unter seiner schnüffelnden Nase durch.

      „In italienischen Fischerdörfern bezeichnen sie das hier als 'Erinnerungsknochen'", erklärte er. „Wenn die Fischer für mehrere Tage aufs Meer müssen, hinterlassen sie ihren Frauen einen solchen als Erinnerungsgegenstand."

      Sonja war sich nicht sicher, ob er einen Scherz machte.

      Sie sagte: „Naja, man lernt nie aus!"

      Wieder trafen sich ihre Blicke und die Lippen verbreiterten sich zu einem konspirativen Lächeln.

      Bruno wusch seine Hände in einer Schale Zitronenwasser und trocknete sie mit elegantem Schwung, unter Zuhilfenahme der Stoffserviette.

      Dann sagte er mit verliebtem Blick: „Das Kettchen steht Dir hervorragend. Es macht Dich irgendwie so richtig komplett."

      Jetzt schlug der Alkohol bei Sonja spürbar durch und sie meinte:

      „Du machst mich so richtig komplett." Ihre Augen waren wieder sehr feucht. Und wieder blickten sie einander stumm an.

      Bruno orderte nun Grappa und Espresso für sie beide.

      Als die Bestellung serviert wurde, fragte Bruno ob es sie störe wenn er rauche. Sie verneinte und er beförderte eine silberne Tabatiere aus der linken Brusttasche seines Sakkos. Er bot Sonja eine Zigarette an, sie lehnte dankend ab. Dann zog er aus der Stecktuchtasche einen Zigarettenspitz aus Ebenholz. In diesen fügte er die Zigarette, um hernach, in dezenter Kapriziosität rauchend, den schwarzen Gegenstand mit weichen Lippen zu umspielen.

      Unaufgefordert begann Sonja von ihrem Vater zu erzählen, der bei einem Tauchunglück auf den Malediven ums Leben gekommen war. Sie, damals noch ein kleines Kind von sieben Jahren, hatte als prägende Erinnerung das Bild vor Augen, wenn er vor dem Zeichentisch saß und wagemutige Pläne entwarf. Er war Architekt gewesen. Ihre Mutter, die eineinhalb Jahre nach der Tragödie ihren Gynäkologen geheiratet hatte, sagte immer wieder, Sonja hätte von ihrem Vater das strukturelle Denken geerbt.

      „Und wieso fällt Dir das gerade jetzt ein?"