Ralos Znarf

Zapfenstreich für Österreich


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Du eigentlich, dass ich so ein ordnungsliebender Mensch bin?"

      Es war diese Eigenschaft ein heikler Punkt ihrer Persönlichkeit. Zwei von ihren bisherigen drei ernsthaften Beziehungen, waren an den jeweiligen unterschiedlichen Auffassungen von 'Ordnung' gescheitert. Sie konnte da ganz schön pedantisch sein.

      Komisch - und trotzdem verstand sie nicht, warum so viele Beziehungen, nach anfänglich verrückter Verliebtheit, so oft in eheliche Vorwurfs-Sümpfe mündeten?

      Wie auch immer, das Wort hat jetzt Bruno:

      „Ich habe sofort gespürt, dass wir einiges gemeinsam haben; und ich war mir gleich sicher, dass die Ordnungsliebe eine solche Gemeinsamkeit darstellt."

      Diese Aussage war ein weiteres starkes Tau, das sie an die rosa Wolke fesselte, deren ständiger sturzartiger Höhenabfall sie so auslaugte.

      Nachdem er bezahlt und sie das Lokal verlassen hatten, fragte Sonja, ob sie vielleicht noch auf einen Drink in irgendeine Bar gehen wollten, damit sie sich für die großzügige Einladung revanchieren könne.

      Doch zu ihrer Enttäuschung lehnte er dankend ab; mit dem Hinweis, er müsse heute Abend früh ins Bett, morgen sei für ihn ein anstrengender Tag.

      Sie bestiegen ein Taxi und fuhren zu ihrem Haus.

      Als Bruno dort bezahlte und mit Sonja ausstieg, beschlich sie eine heiße Hoffnung.... Er zog sie unter den Torbogen, strich mit zärtlicher Leidenschaft durch ihr Haar und sagte:

      „Du bist die Schönste im ganzen Land."

      Dann legte er die Linke um den unteren Bereich ihres Rückens und küsste sie mit sensibler Dringlichkeit. Leicht schmiegte er den Oberschenkel an ihre empfindliche Mitte.....

      Dann meinte er: „Ich hab' da noch was für Dich."

      Aus dem Sakko zog er eine längliche Schachtel.

      „Zur Erinnerung an diesen schönen Abend. Danke.....Du!"

      Noch ein kurz geschleckter Kuss - dann drehte er sich um und verschwand im Dunkel der Nacht.

      Sonja konnte sich später nicht mehr erinnern, wie sie in ihre Wohnung gekommen war. Die Erinnerung setzte erst wieder mit dem Augenblick ein, als sie die längliche Schachtel öffnete. Im Gegensatz zu ihr, sind wir ja nicht wirklich überrascht darüber, was darin lag. Was wir mit ihr gemeinsam haben ist das Gefühl des Ekels, das sie beim Anblick des Hummerbutter-beschmierten und entsprechend riechenden 'Erinnerungsknochens' empfand. Was uns dann wieder voneinander unterscheidet ist die Tatsache, dass Sonjas Ekel bald in Sentimentalität umschlug. Aber das geht uns nichts an und wir drehen jetzt das Licht ab.

      Den nächsten Morgen erlebte Sonja in einer Glücksverfassung von unbekannter Qualität.

      Singend tänzelte sie durch die Wohnung. Mit widerstandsloser Leichtigkeit hängte sie die Wäsche des gestrigen Abends zum Trocknen auf, die sie vor dem Schlafengehen noch eingeweicht hatte. Mit dem Staubsauger ging sie schnell über den flauschig weichen Teppich des Wohnzimmers und entschloss sich kurzerhand, gleich die ganze Wohnung zu saugen. Mit einem feuchten Tuch wischte sie über die ohnehin sauberen Oberflächen der Küche, des Badezimmers und der Toilette; danach zog sie die zwei Tage alte Bettwäsche ab, steckte sie in die Waschmaschine und überzog das Bett neu - in 'creme'-farbenem Satin.

      Nach einer genussvollen Körperpflege - sie hatte heute ein ausgeprägt positives Verhältnis zu sich und ihrem Leib - wählte sie ein stahlblaues Business-Kostüm.

      Ihr Büro, das in einer innerstädtischen Dependance des ´Ministeriums zur Überwindung kultureller Gegensätze´ lag, betrat sie mit lustvollem Tatendrang und ihre MitarbeiterInnen, die sich während der letzten zwei Tage schon Gedanken über ihre Gesundheit gemacht hatten, nahmen dies mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis. Einerseits waren sie froh, dass die grundsätzlich beliebte Sonja diese undurchschaubare Melancholie abgeworfen hatte; andererseits versprach ihr Arbeitseifer, den sie in ihrer gehobenen Stellung auch von ihnen einforderte, heute einen besonders stressenden Tag.

      Hofrat Weisungsknecht war sichtlich erleichtert; denn Sonja war der Motor seiner Abteilung und bei einem länger andauernden Ausfall dieser Zugmaschine, hätte er womöglich selbst etwas arbeiten müssen.

      Sonjas Aufgabe bestand unter anderem darin, die Kultur- und Feuilletonseiten wichtiger europäischer Zeitungen zu lesen und allgemeine Trends zu benennen, damit die Republik Österreich bei offiziellen Erklärungen einen klaren Standpunkt einnehmen konnte.

      In ihrem Büro fuhr Sonja den Computer hoch und 'googelte' neugierig diverse Magazine mit Erscheinungsort Mailand, die im weitesten Sinne etwas mit Kultur zu tun hatten.

      Sie vermutete, dass es sich beim gesuchten Magazin um eine Monatszeitschrift namens 'Impressione d'Oggi' handelte. Es schien ihr nicht weiter verwunderlich, dass unter den Mitarbeitern nirgendwo Brunos Name auftauchte; schließlich stand er ja erst in Verhandlungen mit der Redaktion.

      Sonja, die perfekt italienisch sprach, fand heraus, dass diese Zeitschrift dem kulturellen und gesellschaftlichen Ist-Zustand der Gegenwart nachspürte und daraus auf die möglichen Entwicklungen eines kollektiven Bewusstseins schloss.

      Alle Artikel standen zueinander in einem gewissen Zusammenhang. Mit weitausholenden Schilderungen ihrer persönlichen Eindrücke, näherten sich die Autoren mit wohlargumentierten Mutmaßungen den komplexen Wahrheiten dieser Welt. Politische, ökonomische, künstlerische und vor allem religiöse Zusammenhänge nahmen bei diesen Betrachtungen einen hohen Stellenwert ein.

      Hochartifizielle Fotografien, bei denen extreme Kontraste zwischen Licht und Schatten ein prägendes Stilelement darstellten, gaben dem Magazin den Ausdruck des Besonderen.

      Im Internet fand sich auch ein Foto des Chefredakteurs, der gleichzeitig auch Herausgeber war; er hieß Giovanni Libanesi.

      Mit durchdringender Ernsthaftigkeit blickte er in die Kamera. Auch bei diesem Foto fanden sich die Licht- und Schattenspiele wieder: seine Haare, die Wangen und das Kinn wurden von der Dunkelheit aufgesogen; die Augen und der Mund hingegen, waren perfekt ausgeleuchtet. Die Nase bildete einen überhellen, knolligen Vorbau. Sein suggestiver Blick überzeugte den Betrachter, dass er ein Vermittler der wirklich wichtigen Dinge des Lebens war.

      Sonja träumte sich nach Italien. Für zwei Minuten verlor sie sich in einer Phantasie: ein römischer Palazzo....ein großzügiger Salon...offene Fenster bei geschlossenen Fensterläden, sodass die Streifen des Sonnenlichts den Raum mit einem Zebra-artigen Muster überfluteten....ein breites Bett mit zerwühlten Laken....sie lag auf dem Bauch.....ein irritierender und eigenartig anregender Dufthauch von Hummerbutter lag in der Atmosphäre und Bruno sagte: „Du machst einen besseren Menschen aus mir."

      Nach dem Mittagessen in der Kantine ('Polardorsch gebacken'), überfiel sie bleierne Müdigkeit. Damit einhergehend kam auch die rosa Wolke wieder gehörig ins Trudeln und sie glaubte in einer dunklen Höhle zu schwimmen; im schwarzen Wasser schnappten aggressive Seeteufel nach ihr. Reflexartig versuchte sie, diese mit den Füßen wegzustoßen. Die in der Kantine neben ihr sitzende Kollegin verschüttete vor Schreck ihren Johannisbeersaft und fragte:

      „Sonja, was machst Du da?"

      Sonja zuckte auf und sagte: „Äh ...nix...Nein..ich...äh...äh...ich mach gerade einen Tanzkurs und ich bin im Kopf kurz die Schritte durchgegangen."

      „Hey, Tanzkurs! Is' ja super!" rief die Kollegin. „Ich würde ja auch so gern in einen Tanzkurs gehen, aber mein Mann will lieber zuhause vor dem Fernseher sitzen und Bier trinken. Na, wenn das so weitergeht, geh ich ganz einfach allein. Hast' einen guten Partner?"

      Sonja fuhr hoch und herrschte sie an: „Aber das ist doch bitte meine Privatsache!!" Unkontrolliert sprang sie auf und verließ den Tisch.

      Jetzt ging natürlich im Büro das Getratsche los.

      Sonja hat Liebeskummer!! Das war jetzt allen klar. Eine Sensation!!!

      In der engen Kaffeeküche drängten sich fortan die MitarbeiterInnen und ergingen sich in Spekulationen über die Hintergründe von Sonjas Ausnahmezustand.

      Man