Martin Geiser

Beethoven in Sneakers


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erklärte sie, »werden wir Ihren Kreislauf wieder etwas stabilisieren. Außerdem müssen Sie ja einen Höllendurst haben.«

      Gehorsam schluckte er die Medikamente und leerte den Becher in einem Zug. Schwester Hanife füllte nochmals auf, und Lars trank auch die zweite Runde bis auf den letzten Tropfen leer.

      »Wollen wir versuchen aufzustehen?« Behutsam legte sie ihre Arme um seinen Oberkörper und half ihm auf die Beine. Doch als sie ihn losließ und er einen Schritt vorwärts machen wollte, wurde ihm augenblicklich schwindlig, und er sank ohnmächtig aufs Bett zurück.

      Als er die Augen wieder aufschlug, war es ihre große, dunkle Warze, die er zuerst erblickte und vor welcher er sich plötzlich zu ekeln begann.

      »Das war etwas zu rasch, Herr van Loon. Ich schlage vor, dass wir es gleich nochmals versuchen.«

      Lars hob abwehrend die Hände. Da war etwas, was Schwester Hanife vorhin gesagt hatte und das ihm nicht aus dem Kopf gehen wollte. Doch es war für ihn zunächst nicht greifbar, und verzweifelt zermarterte er sich das Hirn nach ihrer Bemerkung. Dann erinnerte er sich plötzlich.

      »Letzte Nacht.« Seine ersten Worte, die er an sie richtete. »Sie sprachen vorher von letzter Nacht. Was meinten Sie damit?«

      »Naja.« Sie half ihm, sich wieder aufzusetzen. »Was genau geschehen ist, das wissen wohl nur Sie alleine. Sie werden bestimmt noch mit dem Doktor darüber sprechen. Eine Polizeistreife hat sie hierhergebracht, und ich kann Ihnen versichern, dass es zwei kräftige Pfleger gebraucht hat, um Sie einigermaßen in den Griff zu kriegen und ruhigzustellen.«

      »Der Doktor?« Lars sah sich erneut im Zimmer um. »Wo bin ich denn hier überhaupt?«

      »Ach so.« Schwester Hanife kratzte sich am Kinn und zum ersten Mal zeigte sich der Anflug eines Lächelns auf ihrem strengen Gesicht. »Sie befinden sich in der Psychiatrischen Klinik Langenegg. Letzte Nacht, so um Mitternacht herum, wurden Sie hier eingeliefert und konnten mit Ach und Krach beruhigt werden. Sie haben gut und gerne mehr als zwölf Stunden geschlafen. Erinnern Sie sich denn an gar nichts mehr?«

      Lars drehte den Kopf nachdenklich zur Seite und erblickte dabei wieder Klees Engelzeichnung. Die tiefstehende Sonne zwang ihn, die Augen zuzukneifen.

      »Nein.« Blinzelnd schüttelte er den Kopf. »Ich weiß weder wie ich hierhin gekommen bin, noch was der Anlass dafür war. Ich bin einfach nur müde.« Er vernahm seine eigene Stimme wie durch eine Watteschicht. »Lassen Sie mich doch bitte wieder schlafen, Schwester Hanife.«

      »Sie werden noch genug Zeit zur Erholung haben, Herr van Loon.« Hatte sich die Warze in ihrem Gesicht etwa gerade bewegt? »Aber der Doktor hat angeordnet, dass er sofort informiert werden will, wenn Sie aufwachen. Ich denke, dass er ein kurzes Eintrittsgespräch mit Ihnen geplant hat.«

      »Ein Eintrittsgespräch?« Bevor die Pflegerin reagieren konnte, schoss Lars in die Höhe. »Was soll denn der ganze Quatsch?« Für einen kurzen Moment glaubte er, dass ihm wieder schwarz vor Augen werden würde. Doch schien sich sein Kreislauf beruhigt zu haben, und jetzt, als er stand, sah er an sich hinunter und stellte fest, dass er ein Krankenhaushemd trug. »Wo, zum Teufel, sind denn meine Kleider?«

      Schwester Hanife drückte ihn wieder aufs Bett zurück und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.

      »Ganz ruhig, Herr van Loon. Der Doktor wird Ihnen alles erklären. Bitte warten Sie doch einen Moment. Ich bin gleich wieder zurück.«

      Sie entfernte sich aus dem Zimmer, und Lars nutzte die Gelegenheit, um sich erneut zu erheben und das Bild mit dem Engel von der Wand zu nehmen.

      »Herr van Loon! Was machen Sie denn da?«

      Er hatte Schwester Hanife nicht eintreten hören und zuckte erschrocken zusammen, sodass ihm das Bild aus den Händen fiel und das Glas zerbrach.

      »Ich mag keine Engel«, murmelte er und setzte sich trotzig wieder aufs Bett.

      »Kommen Sie.« Sie reichte ihm eine Sporthose und einen Schlabberpullover. »Ziehen Sie das an. Der Doktor möchte Sie heute noch sehen.«

      »Und wenn ich den Doktor nicht sehen will?« Trotzig verschränkte er die Arme und blickte sie angriffslustig an.

      »Herr van Loon!« Ihre langsam aufsteigende Ungeduld war deutlich zu erkennen. »Wir sind doch alle hier, um Ihnen zu helfen. Ich bitte Sie. Sie möchten doch auch wissen, was geschehen ist und wie es weitergehen soll, oder etwa nicht?«

      Über seine Zukunft war sich Lars eigentlich völlig im Klaren: Er wollte sofort raus hier und wieder nach Hause zurück. Doch die Neugier überwog tatsächlich, und so ergriff er willig die gereichten Kleidungsstücke.

      »Ich warte draußen auf Sie.« Schwester Hanife nickte ihm aufmunternd zu, und ein paar Minuten später folgte er ihr durch einen langen Korridor. Schmale Fenster ganz oben an der rechten Wand sorgten für natürliches Licht, und gegenüber hingen in regelmäßigen Abständen Bilderrahmen, in denen sich rabenschwarze Exponate befanden.

      Lars runzelte die Stirn, hielt kurz an und musterte die Kunstwerke. Er erkannte eine feine Struktur, und das Schwarz schien plötzlich Leben eingehaucht zu kriegen.

      Schwester Hanife hatte bemerkt, dass er vor einem Bild angehalten hatte und blieb ihrerseits stehen. Nachdem sie ihm ein paar Augenblicke zur genauen Betrachtung gegönnt hatte, erklärte sie:

      »Das sind Felle. Wahrscheinlich von schwarzen Rindern. Ziemlich eigenwilliger Künstler. Ein guter Freund des Doktors. Gehen wir weiter?«

      Vor einer Tür blieb sie stehen, klopfte kurz an, öffnete sie und lud Lars mit einer einladenden Geste zum Eintreten ein.

      »Ich hole Sie wieder ab, wenn der Doktor mit Ihnen fertig ist.« Bevor er etwas darauf erwidern konnte, hatte sie sich bereits umgedreht und eilte mit raschen und energischen Schritten den Korridor entlang.

      Lars trat in ein mit hellem Fischgrätparkett ausgelegtes Zimmer, das sehr geschmackvoll eingerichtet war. Dominiert wurde es von einem mächtigen Schreibtisch aus geöltem Nussbaumholz, der sauber poliert im Licht der untergehenden Sonne schimmerte. Akkurat ausgerichtet, verloren sich darauf lediglich eine Schreibunterlage, ein zugeklapptes MacBook und eine Ablage mit ein paar wenigen Akten. Der teure Seidenperser vor dem Tisch wirkte wie ein roter Teppich, der dem Eintretenden die Richtung wies.

      An der linken Wand türmte sich vom Boden bis zur Decke eine gewaltige Bibliothek, komplett vollgestopft, und auch hier waren die Bücher sorgfältig geordnet und exakt auf einer Linie ausgerichtet, als wären sie, mit dem Lineal ausgerichtet, in Reih und Glied aufgestellt worden.

      Rechts, gegenüber des Bücherregals, stand ein dreistöckiges USM-Aktenmöbel an der Wand, das strahlte, als wäre es soeben angeliefert und zusammengesetzt worden.

      Davor befand sich eine Besucherecke mit zwei Sitzgelegenheiten, die vom Rest des Raumes durch eine große Birkenfeige abgetrennt war.

      Alles war blitzblank poliert, so als hätte vor wenigen Augenblicken die Putzfrau ihre Arbeit abgeschlossen. Dadurch wirkte der gesamte Raum aber auch etwas steril und unbewohnt. Lars fühlte sich beinahe wie in einem Museum, und trotz seiner Bewunderung für die Sauberkeit und Ordnung fühlte er sich etwas unwohl und wagte fast nicht, einen weiteren Schritt in diese Meister-Proper-Oase hinein zu machen.

      Erst als er hinter der Pflanze eine Bewegung wahrnahm, realisierte er, dass er nicht alleine im Raum war. Ein Mann von mächtiger Körpergröße, Lars schätzte ihn auf mindestens zwei Meter, trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Seine elegante Kleidung passte zur stilvollen Einrichtung des Raumes. Zu teuren Markenjeans trug er ein frisch gestärktes Hemd und ein maßangefertigtes Sakko, das zweifellos das Etikett eines bekannten Modedesigners auf der Innenseite tragen musste. Die Schuhe wirkten schlicht, hatten aber bestimmt eine Stange Geld gekostet.

      Das dunkle Haar war etwa auf die gleiche Länge geschnitten wie der sorgfältig getrimmte Dreitagebart, und hinter einer randlosen Brille (Lars war sich sicher, dass auch hier auf dem Bügel der Schriftzug eines bekannten Labels zu finden war) leuchtete ihm ein Ruhe ausstrahlendes Augenpaar