Martin Geiser

Beethoven in Sneakers


Скачать книгу

grinste. »Hesse. Herrmann Hesse. Großartiger Schriftsteller. Sollten Sie auch mal lesen. Da steckt mehr Lebensweisheit drin als in den unsäglichen Theorien Ihres Doktor Freuds.«

      Nach wie vor war keine Regung im Gesicht des Arztes festzustellen. Er setzte sich die Brille wieder auf, griff zum Stift und begann zu schreiben, während er sagte:

      »Es wird alles immer gleich ein wenig anders, wenn man es ausspricht.«

      Lars blieb der Mund offenstehen.

      »Ebenfalls Hesse«, fügte der Psychiater hinzu und blickte Lars wieder an. »Lassen wir doch die Spielereien, Herr van Loon, und lassen Sie uns weitermachen. Einer der beiden Beamten, Wachtmeister Gasser, hat zu Protokoll gegeben, dass Sie auf der Fahrt hierher eine lebendige Diskussion mit Beethoven gehabt haben sollen.«

      Da war doch irgendwas! Lars schaute auf. Ein Erinnerungsfetzen, ein Gedanke, den er unbedingt festhalten musste, bevor er ihm wieder entglitt. Er spürte Doktor Fleischhauers Blick auf sich ruhen und stellte fest, dass eine Erklärung notwendig war.

      »Ich tausche mich häufig mit old fucking Louis aus.« Leicht amüsiert beobachtete er die angehobenen Augenbrauen des Arztes, der tatsächlich ein klein wenig seine Fassung verloren zu haben schien. »Man hat nämlich ein völlig falsches Bild von ihm. Er ist gar nicht so grob und griesgrämig, wie er ständig beschrieben wird. Auf jeden Fall nicht mir gegenüber.«

      »Ich verstehe das schon richtig, Herr van Loon.« Doktor Fleischhauer hatte die Lippen geschürzt und tippte mit seinem Schreibutensil nachdenklich dagegen. »Sie führen regelmäßig Gespräche mit Ludwig van Beethoven, dem Komponisten.«

      »Unter anderem«, nickte Lars.

      »Will heißen?«

      »Mit Mozart, Schubert, Mahler, Wagner.« Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Wen man eben gerade so trifft, nicht wahr? Aber die Diskussionen mit old Louis sind bei weitem die interessantesten.«

      »Worüber sprechen Sie denn mit ihm?« Die Notizen des Arztes wuchsen kontinuierlich.

      »Über dies und das. Er ärgert sich häufig, wenn er Interpretationen seiner Werke hört, die mit seinen kompositorischen Absichten überhaupt nichts mehr zu tun haben. Zu große Formationen, falsche Intonationen, selbstverliebte Interpreten, na, Sie wissen schon.«

      Fleischhauer nickte langsam und sah von seinem Klemmbrett hoch. »Ich verstehe.«

      Lars grinste schelmisch. »Tun Sie das wirklich, Herr Doktor?« Er lehnte sich nach hinten und schlug die Hände zusammen. »Fleischhauer, der Vegetarier. Der war wirklich gut!«

      Etwas verärgert verzog der Arzt den Mundwinkel. »Wie ist es denn mit Ihnen, Herr van Loon? Sind Ihre Wiedergaben dem Komponisten genehm?«

      »Deshalb sprechen wir ja zusammen. Old fucking Louis ist es sehr wichtig, dass es wenigstens eine Person auf diesem Erdball gibt, auf die er sich verlassen kann, was das Verständnis für seine Werke betrifft. Wir hören uns häufig Aufnahmen der verschiedensten Musiker an. Er kann es manchmal gar nicht glauben. Soll ich das tatsächlich geschrieben haben?, erzürnt er sich dann, und hops geht’s los mit den Diskussionen. Ich kann Ihnen sagen, Herr Doktor, Sie können sich nicht vorstellen, wie wertvoll diese Streitgespräche für meine Arbeit sein können.«

      »Und diese ... Begegnungen haben Sie schon lange?« Fleischhauer zögerte einen kurzen Moment, um nach dem treffenden Begriff zu suchen.

      Lars blies die Backen auf und tippte mit den Fingerkuppen gegeneinander. Er schien angestrengt nachzudenken. »Kann man so sagen. Mit Mozart spiele ich von Zeit zu Zeit eine Partie Billard, und manchmal gelingt es mir sogar, ihn zu schlagen. Ich sage Ihnen, der Kerl spielt verdammt gut. Und mit Brahms treffe ich mich zu einer gemütlichen Trinkrunde im Gasthaus. Da bleibt es nie bei nur einer Flasche Wein, der Hannes hat einen Zug, das glaubt man nicht. Ein wahrer Schluckspecht!«

      »Soso.« Der Arzt musterte seinen Patienten mit ernstem Blick. »Darüber werden wir uns später noch unterhalten. Sehr interessant. Doch vorerst wäre es aufschlussreich, wenn Sie mir etwas mehr von Ihnen erzählen könnten. Über Ihre Eltern beispielsweise. Waren diese auch so musikalisch wie Sie, Herr van Loon?«

      »Nun.« Lars rutschte auf seinem Sessel etwas nach vorne, spreizte die Beine und faltete die Hände vor seinem Bauch. Die Müdigkeit war von ihm abgefallen. »Da gibt es schon einiges zu erzählen. Wie viel Zeit haben Sie eingeplant, Herr Doktor?«

      2

      Ein Schwein namens Churchill

      August 1975

      Die erste Begegnung mit Mozart hatte Lars van Loon mit vier Jahren im Schweinestall seines Großvaters Willy.

      Dieser hieß eigentlich Wilhelm Friedrich, benannt nach dem letzten deutschen Kaiser, da Willys Eltern glühende Verehrer des Herrschers und leidenschaftliche Anhänger der Monarchie waren. Durch ihren Fanatismus waren sie dem Kaiser kritiklos zugeneigt und zeigten uneingeschränkt ihre volle Begeisterung.

      Opa Willy dagegen konnte diesem Enthusiasmus wenig Positives abgewinnen. Er hatte Laufbahn und Karriere des Monarchen aufmerksam verfolgt. Zunächst hatte die Bewunderung seiner Eltern noch auf ihn abgefärbt, doch mit zunehmendem Alter und einer etwas weniger eingeschränkten Sichtweise wurde seine Kritik dem Kaiser gegenüber immer grösser, bis schließlich nur noch Verachtung übriggeblieben war. Sein Taufname war ihm peinlich, und wenn ihn jemand mit Wilhelm ansprach, so konnte dieser, wenn er den falschen Moment erwischte, sich in Teufels Küche begeben.

      »Man nennt mich Willy!«, pflegte er in solchen Situationen grummelnd von sich zu geben. »Einfach Willy! Nicht zu verwechseln mit diesem Pseudonazi Wilhelm II. Meine Eltern hätten mich genauso gut auch Adolf taufen können.«

      Er lebte bei seiner Tochter Astrid und deren Mann Claas van Loon auf einem alten, etwas abgelegenen Hof in Eichhausen im Bundesland Bayern. Das Gut war seit Generationen im Besitz seiner Familie, wurde aber schon lange nicht mehr landwirtschaftlich genutzt und war von seinem Schwiegersohn zu einem schmucken Wohnhaus umgebaut worden. Ein großer Teil der Arbeiten hatte Claas mit seinem handwerklichen Geschick, das ihm als Schreiner gegeben war, selber erledigt.

      Er war in den Niederlanden aufgewachsen, in eine Handwerkerfamilie hinein geboren. Auf einem Wochenendausflug hatte er in München Astrid kennen gelernt und sich Hals über Kopf in das junge Mädchen verliebt. Bereits beim dritten Treffen hatten sie sich verlobt, und Claas war nach Deutschland gezogen. In Eichhausen gründete er eine eigene Schreinerei, in der er inzwischen zwei Angestellte beschäftigte. Für seine sorgfältige Arbeit war er weit über die Dorfgrenze hinaus bekannt und konnte sich über mangelnde Arbeit nicht beklagen.

      Seine Frau Astrid erledigte derweil den Haushalt, eine nicht zu unterschätzende Arbeit auf dem großen Hof, und verdiente sich als Aushilfe in einer Schneiderei einen kleinen Zustupf.

      Bis vor wenigen Jahren hatte Opa Willy Schweine gehalten. Aus dieser Zucht war allerdings bloß noch ein Eber übriggeblieben, und für den hatte er in der Scheune, die bisher von den Sanierungsarbeiten verschont worden war und sich in einem jämmerlichen Zustand befand, eine kleine Bucht eingerichtet, in der sich das Tier im wahrsten Sinne des Wortes sauwohl fühlte.

      Churchill, so hieß das Schwein, war Opa Willys Augapfel, wurde von ihm verhätschelt und umsorgt und bildete mit den Katzen Ginger und Pedro sowie der Hündin Sally den tierischen Haushalt der Familie van Loon.

      So sehr Opa Willy seinen Taufnamen hasste, so sehr verehrte er Winston Churchill, in dem er den Retter Europas sah.

      »Ich möchte nicht wissen, wie unsere Welt heute aussehen würde, wenn nicht der clevere Sir Winston sich mit aller Kraft gegen die Nazis gestemmt hätte. Mit seiner taktischen Klugheit und strategischem Fingerspitzengefühl hat er den Weg für die Alliierten geebnet und uns für immer von dieser Brut befreit. Und deshalb«, und damit kratzte er Churchill hinter seinen Öhrchen, »ist dies genau der richtige Name für meinen kleinen Freund hier.«r Musik für einen Moment verlor. hinter den idenschaft seinen Lieblingsballie in die Scheune und präsentierte ihnen voller Stol

      Nun,