Marlene Wagner

Sommersturmzeit


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Auf Dauer ist das Leben im Krieg und nur unter Männern alles andere als aufregend, zumindest wenn nicht gerade eine Schlacht geschlagen wird. Ich gebe ja zu, Euer überraschender Besuch im Lager hat mir sehr unvermittelt vor Augen geführt, wie sehr ich doch in den letzten Monaten die zivile Gesellschaft und vor allem ein wenig Kultur vermisst habe und gab letztendlich tatsächlich den Ausschlag zu meiner Entscheidung, hier einfach einmal vorbei zu schauen. Ansonsten hätte ich mir sicher eine andere Dummheit zur Zerstreuung ausgedacht. Ihr seht, abgesehen von der Warnung, die ich Euch überbringen wollte, seid Ihr so gut wie unschuldig an meinem Aufenthalt hier. Und damit das leidige Thema nicht mehr zu Sprache kommt, möchte ich nur noch einmal bekräftigen, Ihr braucht Euch auch die nächsten Tage keine Sorgen um mich und meine Sicherheit zu machen! Ich vertraue August, aber noch mehr vertraue ich meiner Armee...und wie Ihr am besten wisst, befindet sich ein großer Teil meiner Truppen derzeit keine Stunde von Moritzburg entfernt – was ich übrigens sowohl August als auch seine Minister habe wissen lassen, ebenso wie den Umstand, dass diese Armee täglich ein Zeichen von mir erhält, welches ich natürlich nicht verrate. Sollte dieses Zeichen ausbleiben, erfolgt die Mobilmachung...ganz so blauäugig und leichtsinnig, wie ich vielleicht in Euren Augen scheinen mag, bin ich nun auch wieder nicht...“

      Er gähnte demonstrativ und erhob sich von seinem Sitz auf dem Fenstersims.

      „So, und jetzt werde ich Euch aber in Ruhe lassen, damit Ihr diese Nacht noch etwas Schlaf bekommt...obwohl, eine Kleinigkeit habe ich noch auf dem Herzen. Nachdem es heute mit dem Vornamen ansprechen bereits so gut geklappt hat, hoffe ich, Ihr habt nichts dagegen, wenn wir uns, zumindest wenn wir allein sind, in Zukunft gleich ganz duzen...dieses ganze „Ihr“, „Euch“, „Eure“ -Gerede ist so gar nicht nach meinem Geschmack...“.

      Katharina, welche die Diskussion um seine Sicherheit eigentlich noch nicht als beendet angesehen hatte, musste bei seinem verschmitzten Blick unwillkürlich lächeln.

      „Wenn Ihr versprecht, mich dafür mit weiteren Überraschungen zu verschonen und vor allem trotz Eurer Vorkehrungen die Gefahren hier ernst zu nehmen, fällt mir kein Grund ein, warum ich damit nicht einverstanden sein sollte, so ungewöhnlich mir das alles auch vorkommt! Doch da es heute ohnehin der ungewöhnlichste Tag in meinem ganzen bisherigen Leben war, kommt es auf eine Merkwürdigkeit mehr oder weniger auch nicht mehr an.“

      „Wunderbar“

      Lachend begann Karl sich flink von ihrem Fenster aus auf die nah stehende Kastanie zu schwingen und drehte sich von da aus noch einmal zu ihr um.

      „Eine sehr löbliche Einstellung, die ich als Anlass nehmen möchte, meinen Besuch für heute Nacht zu beenden. Allerdings kann ich dir nicht mehr versprechen, als dass ich bestimmt von dir träumen werde. In dem Sinne, schlaf schön, süße Katharina...“

      Er warf ihr noch eine Kusshand zu, bevor er mit einem beherzten Sprung in der Dunkelheit verschwand. Ihm ungläubig nachschauend saß Katharina noch ein paar Minuten bewegungslos an ihrem Frisiertisch. Er war wirklich der unglaublichste Mann, dem sie je begegnet war.

      Obwohl sie zugeben musste, dass auch die Männer, mit denen sie sich im Laufe des Abends über unterhalten hatte, allesamt bei Weitem nicht so schlecht waren, wie von ihr im Vorfeld immer gedacht. Wahrscheinlich lag es am Champagner, dass sie die Hofgesellschaft im Allgemeinen und die Männer im Speziellen auf einmal viel unterhaltsamer und angenehmer als bisher fand. Vielleicht hätte sie einfach schon viel früher einfach mal davon probieren sollen...der Gedanke daran erheiterte sie. Oh je, sie war noch immer ziemlich beschwipst und es wurde wirklich Zeit, dass sie endlich ins Bett kam. Beschwingt tanzte Katharina durchs Zimmer, um die Kerzen zu löschen, die in verschiedenen Ecken des Zimmers brannten und den Raum in ein warmes Licht tauchten. In diesem Moment fühlte sie sich so glücklich, am liebsten hätte sie die ganze Welt umarmt.

      Kapitel 4- Die Jagd

      Als Katharina am nächsten Morgen erwachte, war die Euphorie der letzten Nacht komplett verflogen. Obwohl es noch zu früh zum Aufstehen war, erkannte sie schon an den ersten Sonnenstrahlen, die in ihr Zimmer schienen, dass es erneut ein perfekter Sommertag werden würde.

      Stöhnend drehte sie sich vom Fenster weg. Sie hatte Kopfschmerzen, welche das Chaos, das gerade in ihrem Kopf herrschte, nicht einfacher machten.

      Wie es wohl den anderen Ballgästen heute Morgen gehen würde, von denen die meisten dem Alkohol ja auch allesamt sehr großzügig zugesprochen hatten.

      Ob Karl auch Kopfschmerzen hatte?

      Beim Gedanken an ihn begann sofort wieder dieses merkwürdige Kribbeln in ihrem Magen und gleichzeitig verspürte sie urplötzlich Angst. Die Gefühle, die sich jetzt schon für Karl empfand sowie diese Vertrautheit bereits nach den wenigen Stunden, die sie bisher miteinander verbracht hatten, passten so gar nicht zu ihr und erfüllten sie mit einer eigenartigen Beklemmung. Sie erkannte sich selbst nicht wieder und insbesondere ihr völlig ungewöhnliches Benehmen während des Feuerwerks gab ihr zu denken. Jetzt galt es aufzupassen, dass sie sich weder zu sehr an Karl gewöhnte geschweige denn am Ende noch gar in ihn verliebte. Und vor allem durfte sie NIE aus den Augen verlieren, dass er bei all seinen positiven Eigenschaften in spätestens zwei Wochen wieder aus ihrem Leben verschwunden sein würde.

      Die Zeit war zu kurz, um sie vor Personen wie der Gräfin Reuß zu schützen, aber dafür mehr als ausreichend um ihren Ruf am Hof, der vielleicht nicht der aufregendste, aber doch immerhin weder von Affären noch von sonstigen Lastern befleckt war, grundlegend zu ruinieren. Welche Auswirkungen dies auf noch zu suchende, zukünftige Ehemänner haben konnte, war gar nicht abzuschätzen. An die Enttäuschung ihres Vaters in einem solchen Fall durfte sie gleich gar nicht denken. Dann kam Katharina ein weiterer, nicht minder unangenehmer Gedanke.

      Noch weitaus gefährlicher als die Gefährdung ihres Rufes war für sie wahrscheinlich der Umstand, dass sich Karl als König von Schweden ja nichtsdestotrotz weiterhin im Krieg gegen Ihr Vaterland befand. Trotz aller neu entdeckten verwandtschaftlichen Gefühle zwischen beiden Königen musste sie höllisch aufpassen, nicht durch ihr gutes Verhältnis mit dem Schweden unvermittelt zwischen die Fronten zu geraten. Denn was heute richtig war und die volle Zustimmung des Königs fand, konnte morgen schon grundlegend falsch sein. August war launisch und auch ihre neuen Bekanntschaften mit der Cosel und der Baronin von Eckert würden ihr letztendlich nicht helfen, sollte er es sich doch einfallen lassen, Karl die Gastfreundschaft zu entziehen. Insbesondere wenn sie sich mit dem Schwedenkönig weiterhin so gut verstand wie am gestrigen Abend dürfte es im Zweifelsfall nicht lange dauern und sie würde durch ihre unvermeidliche Nähe zu ihm selbst zu einer verdächten Person, egal wie wenig Zutun sie selbst daran hatte.

      In ihrer Phantasie ging sie die Strafen durch, die sich August für sie ausdenken konnte und hatte

      kurzzeitig das Gefühl, von Panik überrollt zu werden. Vor allem das ungewohnte Gefühl, die Situation nicht mehr unter Kontrolle zu haben, irritierte sie zutiefst. Wenn nur diese Kopfschmerzen nicht wären, sie konnte kaum klar denken. Katharina zwang sich, tief durchzuatmen und sich zu beruhigen.

      Nein, sie würde die Festtage unbeschadet überstehen!

      Sie musste nur ihren kühlen Kopf bewahren, der sie bereits die vergangenen Monate wohlbehalten das Hofleben überstehen hatte lassen und durfte nie die möglichen Konsequenzen aus den Augen verlieren. Das war eine tröstliche Vorstellung - sie würde nett, aber distanziert sein und damit allen am Hof zeigen, dass sie sich auch in dieser speziellen Situation absolut neutral verhielt.

      Und sie würde sich definitiv nicht in Karl verlieben!!!

      Katharina atmete erneut tief durch. Sie war mittlerweile so geübt darin, ihre Emotionen zu kontrollieren, warum sollte sie das nicht auch jetzt schaffen?

      Zudem hatte Karl ihr gestern ja bei seinem nächtlichen Besuch recht deutlich klar gemacht, dass er sich hier nur zu seinem Vergnügen befand und sie hatte sein Wort, dass er ihr nicht zu nahe treten würde. Vielleicht maß sie dem Ganzen ja von vornherein viel zu viel Bedeutung bei und machte sich völlig grundlos Gedanken.

      Unzufrieden wälzte Katharina sich auf die andere Seite des Bettes und lauschte dem