Marlene Wagner

Sommersturmzeit


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diskutierten so laut, dass sich Katharina erschrocken nach dem Grund des plötzlichen Lärms umdrehte. Entsetzt beobachtete sie, wie einer der beiden Raufbolde während des heftigen Wortgefechts plötzlich außer sich vor Wut seine Pistole zog und damit seinen Kontrahenten zu bedrohen begann.

      Auch der Kommandeur war auf das Geschehen aufmerksam geworden.

      Sichtbar mit einer Entscheidung ringend, sah er sie einen Moment nachdenklich an.

      „Dürfte ich Euch hier kurz allein zurücklassen? Ich denke, ich sollte eingreifen, bevor sich die Situation zwischen meinen Männern noch verschärft. Bitte macht Euch keine Sorgen, ich werde so schnell es geht wieder zu Euch zurückkommen. Bis dahin rührt Euch nicht von der Stelle und wartet auf mich, hier kann Euch nichts passieren, meine Männer hier sind vertrauenswürdig und werden auf Euch aufpassen!“

      Er rief dem Soldaten mit dem lahmenden Pferd noch einige Worte auf Schwedisch zu und bevor sie reagieren konnte, war er schon in Richtung des Lärms davon geeilt. Trotz seiner beruhigenden Worte verfolgte Katharina dem Fortgang des Streites immer ängstlicher. Denn anstatt sich zu beruhigen wurde der deutlich angetrunkene Soldat mit der Pistole zunehmend wütender, zum Teil angefeuert von anderen Kameraden, die sich nun immer zahlreicher um die Streitenden zu scharen begannen. Eine Eskalation der Lage schien unausweichlich, als plötzlich geistesgegenwärtig einer der Männer nach der Pistole griff, mit der der Raufbold auch andere Soldaten zu bedrohen begonnen hatte. Weitere Soldaten rangen den sich heftig wehrenden Mann zu Boden, doch mehrere Männer waren notwendig, um ihn im Schach zu halten. Auf einmal löste sich während des entstandenen Handgemenges ein lauter Schuss aus der Waffe des Betrunkenen, der alle Beteiligten für einen Moment innehalten ließ. Entsetzt hielt sich Katharina instinktiv die Hand vor dem Mund, mit dem Schlimmsten rechnend, doch glücklicherweise schien niemand verletzt wurden zu sein. Für einen Moment herrschte Totenstille, alle standen wir erstarrt. Selbst auf die Entfernung konnte Katharina sehen, wie sich der Verursacher der Streitereien nun entgeistert umschaute, offensichtlich selbst überrascht von dem Tumult, welchen er ausgelöst hat. Dann ließ er sich von den anderen Soldaten widerstandslos entwaffnen.

      Der Kommandeur hatte die Streitenden gerade in dem Moment erreicht, als der Schuss sich löste und sich ebenso wie die meisten anderen Männer instinktiv zu Boden geworfen. Er war als einer der Ersten wieder den Beinen, seine Waffe einsatzbereit in der Hand. Wütend beugte er sich nun über den überwältigten Raufbold und schien ihm zunächst gründlich die Leviten zu lesen. Dann blaffte er für Katharina wieder unverständliche Befehle in die Runde und mit betreten gesenkten Köpfen beeilten sich die ihm am nächsten Stehenden, die Streithähne schnell aus den Augen ihres aufgebrachten Kommandeurs in einen anderen Teil des Lagers zu bringen.

      So schnell, wie sich die anderen Soldaten zusammengerottet hatten, so schnell zerstreuten sich nun auch wieder und begaben sich zurück an ihre jeweiligen Aufgaben, als wäre nichts passiert.

      Deutlich entspannter klopfte sich der Kommandeur den Dreck von seiner Uniform, bevor er sich wieder lächelnd Katharina zuwendete. Auch Katharina war froh, seine Aufmerksamkeit wieder auf sich gerichtet zu wissen.

      Obwohl sie sich bemühte, das Geschehen nicht überzubewerten, war ihr durch den Vorfall wieder bewusst geworden, wo sie sich eigentlich befand und wie wenig sicher sie in dem Lager war. Die Beine hatten erneut zu zittern begonnen und sie fühlte sich in der Obhut der anzüglich grinsenden und sie von oben bis unten musternden Soldaten mittlerweile so unwohl, dass sie sich während des Streits der zwei Raufbolde Stück für Stück von der sie eigentlich beschützen sollenden Männergruppe entfernt hatte und nun allein auf dem Hauptweg zwischen den Zeltreihen stand.

      Mit einer entschuldigenden Geste kam der Kommandeur beruhigend lächelnd auf sie zu und war nur noch wenige Meter von ihr entfernt, als er plötzlich erschrak und in seinen Bewegungen innehielt.

      Alarmiert von seinem Anblick drehte sich Katharina um und erstarrte ebenfalls. Ein Pferdegespann, welches sich offensichtlich durch den Schuss erschreckt und losgerissen hatte, kam mit voller Geschwindigkeit direkt auf Katharina zugaloppiert. Vor Entsetzen zu keiner Bewegung fähig, stand sie mitten auf dem Weg und schaute nur fassungslos, wie das Unheil auf sie zugerast kam. Das Ganze lief so schnell ab, dass selbst die Soldaten in ihrer Nähe, die sich nun allerdings nicht mehr um Katharina kümmerten, nichts davon mitbekamen.

      Als das Gespann sie fast erreicht hatte, schloss Katharina die Augen, noch immer nicht in der Lage, sich zu bewegen. In Sekundenbruchteilen sah sie Bilder ihrer Familie und der Kindheit mit ihrer Mutter an sich vorbei ziehen. Zu ihrer eigenen Überraschung verspürte sie überhaupt keine Angst mehr, sondern war im Gegenteil ganz ruhig. Als würde sie im Körper einer Fremden stecken und sich selbst beobachten, nahm sie nun das Geschehen wahr und war fast neugierig auf das, was nun kommen würde.

      Ob kurz vor dem sicheren Tod andere Menschen ebenso fühlten, war das Einzige, was ihr merkwürdigerweise noch durch den Kopf ging, als sie plötzlich gepackt und zur Seite gerissen wurde. Unsanft landete sie in den Armen des schwedischen Kommandanten, ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.

      Mit vor Schock weit aufgerissenen Augen starrte ihn Katharina an, noch immer zu keiner Bewegung fähig. Auch er sah ihr tief in die Augen und für Sekunden schien die Zeit still zu stehen. Sie hatte das Gefühl, er zog sie noch fester an sich heran, so dass sie den männlich herben, überraschend angenehmen Duft seiner Haut riechen konnte. Kurz bevor sich ihre Münder berührten, brüllte einer der Soldaten, die nun endlich auf die Gefahr aufmerksam geworden waren und das Gespann zum Stehen brachten, ein Kommando. Katharina erwachte wie aus einer Trance und zuckte zurück. Der Schwede und sie blickten sich gleichermaßen erschrocken und überrascht an. Dann lösten sie sich voneinander, sichtlich verwirrt und unsicher, wie sie mit der Situation umgehen sollten. Zu beider Erleichterung kamen in dem Moment die Soldaten zurück gelaufen, um das eingefangene Gespann wieder an die Stelle zu führen, wo es sich losgerissen hatte und gleichzeitig die am Weg entstandenen Schäden zu inspizieren. Sofort richtete der Kommandant seine Aufmerksamkeit auf seine Männer und gab wieder auf Schwedisch Anweisungen, die Katharina nicht verstand. Sie war nachträglich errötet und wagte kaum, ihren Retter anzuschauen. Dafür, dass sich erst einmal niemand für sie interessierte und sie einen Moment Zeit hatte, sich wieder zu sammeln, war sie sehr dankbar. Nach einigen Minuten wendete sich ihr der Kommandant wieder zu und hielt ihr galant den Arm hin, als wäre nichts geschehen. Katharina, von der ganzen Situation noch immer überfordert, überlegte krampfhaft, wie sie sich nun verhalten sollte. Nervös richtete sie mit ihrer freien Hand ihr Kleid und suchte verzweifelt nach Worten.

      „Ihr habt mir wahrscheinlich gerade das Leben gerettet...“ war das Erstbeste, was ihr schließlich einfiel. Ihr Gesicht glühte vor Verlegenheit.

      „Leider ist mir momentan entfallen, wie man laut Etikette seinen Lebensretter behandeln sollte…im Augenblick kann ich Euch deshalb nur von ganzem Herzen DANKE sagen!“

      Sie blickte verunsichert zu Boden, als er warm auflachte.

      „Um die Etikette macht Euch bitte keine Sorgen, da bin ich auch nicht so gut bewandert. Ich muss zugeben, ich hatte mich schon kurzzeitig gefragt, ob Ihr gerade einen neuerlichen Beweis Eurer Tapferkeit erbringen wolltet und Euch deshalb nicht gerührt habt, als die Pferde auf Euch zugerast kamen. Aber dann habe ich mich trotz aller Bedenken entschlossen, dass ich mir lieber Euren Unmut zuziehe und die Mutprobe unterbreche, als das Risiko einzugehen, dass Euer hübsches Gesicht am Ende noch einen Kratzer davon trägt.“

      Seine Worte ließen Katharina erneut stark erröten. Doch als er noch immer lachte, musste sie zu ihrer eigenen Überraschung darin einstimmen. Sie wagte nun auch, ihm wieder in die Augen zu sehen und fühlte sofort ein merkwürdig vertrautes Gefühl zurückkehren, so als würde sie ihn schon ewig kennen.

      Mit einem Mal schien ihm ein Gedanke zu kommen. Das strahlende Lächeln, mit dem er sie gerade noch angeschaut hatte, verschwand und er blickte sie besorgt an.

      „Die Monate unter Soldaten haben mich offensichtlich alle Regeln des Benehmens vergessen lassen. Ich bin ein wirklich schrecklicher Gastgeber und hoffe nur, Ihr könnt mir verzeihen. Ihr müsst nach diesem Erlebnis unter Schock stehen und ich habe noch nicht einmal gefragt, wie es Euch geht! Es tut mir unglaublich leid, dass ich Euch hier so leichtsinnig in