Marlene Wagner

Sommersturmzeit


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deutete im Schlossbetrieb darauf hin, dass eine sächsische Baroness in die Hände des Feindes gefallen war. Auch ihre Zofe Helene, von ihr meist nur liebevoll Leni genannt, benahm sich nicht anders als an anderen Tagen. Sie war gerade dabei, ihr mehrere neue Kleider zur Anprobe für die Festtage vorzubereiten und schaute nur kurz verwundert auf, als Katharina im Zimmer an ihr vorbei stürmte und sich auf ihr Bett warf. Alles war wie immer.

      Einerseits erleichtert darüber atmete Katharina auf, obwohl ihr gleichzeitig schmerzhaft bewusst wurde, dass die anderen Damen sie im Zweifelsfall im Stich gelassen hätten. Immerhin konnte sie nun aber wenigstens sicher sein, dass auch die anderen über ihr Abenteuer Stillschweigen bewahrt haben und mit ziemlicher Sicherheit auch weiterhin bewahren würden, zu viel stand für sie alle auf dem Spiel. Sie hatte noch während des Heimrittes darüber nachgedacht, ob es ihre Pflicht als sächsische Untertanin wäre, dem König von ihrer Beobachtung zu berichten. Doch nach reiflicher Überlegung hatte sie den Gedanken verworfen und wahrscheinlich waren auch die anderen Frauen zur gleichen Überzeugung gekommen. Der Grund war einfach. Keiner konnte wissen, wie der launische König reagieren würde, sollte er von diesem Vorfall erfahren. Die anderen Damen würden vielleicht sogar noch glimpflich davonkommen, immerhin hatten sie nur von weitem einen Blick auf das Lager der Schweden geworfen. Aber sie, die vor den Augen der anderen Frauen sogar vom Kommandanten in das Innere der Zeltreihen geführt wurden war, wollte sich nicht lieber vorstellen, zu welchen Rückschlüssen das führen konnte. Sie würde den jungen schwedischen Kommandanten nicht verraten, soviel stand fest, immerhin hatte er ihr das Leben gerettet. Illoyalität war jedoch mit eines der schlimmsten Vergehen, die einem vorgeworfen werden konnte, eine Verbannung vom Hof wäre wahrscheinlich das Mindeste an Bestrafung. Und auch wenn sie selbst das wahrscheinlich am wenigsten schlimm empfinden würde, ihrem Vater konnte sie eine solche Schmach unmöglich antun.

      Der Gedanke an ihn ließ sie zusammenzucken.

      Nein, das durfte nicht passieren! Katharina schwor sich, niemandem, nicht einmal ihrer Zofe, von dem ihr mittlerweile wie einen merkwürdigen Traum erscheinenden Nachmittag zu erzählen und diesen am besten gleich für immer aus ihrem Gedächtnis zu streichen.

      Kapitel 2- Der Besucher

      Eine Woche später.

      Sachsens Kurfürst Friedrich August I, seit 1703 polnischer König August II, allgemein jedoch aufgrund seiner bemerkenswerten Körperstärke nur als "`August der Starke"' bekannt, war gereizt.

      Am Abend sollte das von ihm vor drei Jahren ins Leben gerufene große Sommerspektakel stattfinden, er hatte es trotz der Bedenken seiner Minister auch in diesem Jahr, in dem das Land im Krieg gegen die Schweden um die polnische Krone stand, durchgesetzt.

      Es war ihm wichtig, der Welt und vor allem sich selbst zu beweisen, dass er trotz militärischer Niederlagen durchaus in der Lage war, noch immer ein solches Fest, welches weit über Sachsens Grenzen bekannt und berühmt war, durchzuführen.

      Nun hielt ihm der eigens dafür eingesetzte Zeremonienmeister Graf von Wachwitz einen letzten Rapport und noch war bei weitem nicht alles so perfekt, wie es August erwartet hatte.

      Er hatte einige Änderungen im Programmablauf angeordnet, noch mehr Geld dafür veranschlagt – trotz der Proteste seines Schatzmeisters. Es war ihm egal – er war der Kurfürst von Sachsen und, ein an Europas Höfen natürlich weitaus beeindruckender Umstand, zugleich König von Polen und SEIN Fest wollte er sich von niemand nehmen lassen.

      Gerade ging er die weiteren Tage noch einmal mit von Wachwitz bis ins kleinste Detail durch, als an die Tür des kleinen Salons, in welchem er sich auf Moritzburg am liebsten aufhielt, geklopft wurde.

      Ein Höfling kündigte die Ankunft des Fürsten von Fürstenberg an.

      „Was gibt es denn?“

      August drehte sich ungehalten über die Störung zu seinen Statthalter um, als dieser kurz danach selbst den Salon betrat und sich atemlos verbeugte.

      Von Fürstenberg wirkte aufgelöst.

      „Verzeiht mein König...“ er zögerte und suchte sichtbar nach den richtigen Worten, bevor er weitersprach.

      „Wie mir gemeldet wurde, befinden sich seit wenigen Minuten zwei Schwedische Offiziere auf dem Schlossgelände. Es wird vermutet, dass es sich bei einem von beiden um Karl XII handelt...“

      Er verstummte eingeschüchtert unter Augusts Blick.

      „Seid Ihr neuerdings schon Vormittags betrunken???“ herrschte der ihn nun an.

      „Was ist das denn wieder für eine Torheit, habt ihr alle schon eine solche Angst vor den Schweden, dass ihr sie am helllichten Tag mitten unter uns im Schloss vermutet?“

      „Durchaus nicht, mein König. Aber seht doch selbst...“ unsicher zeigte von Fürstenberg zum Fenster. Wütend schritt August durch das Zimmer auf das Fenster zu, von welchem man in einen der Innenhöfe des Schlosses sehen konnte. Er blickte nach draußen und erstarrte.

      Nach einer endlos scheinenden Stille sagte er schließlich, ohne den Blick von den Männern abzuwenden.

      „Ihr könntet Recht haben, Fürstenberg. Zwei Schweden – was wollen die hier? Sind die lebensmüde? Was meint Ihr, sollen wir jetzt tun...?“

      Der Statthalter zögerte. Als er die Meldung von den Wachen erhalten hatte, waren ihm sofort verschiedene Möglichkeiten durch den Kopf gegangen. Eine davon war besonders verlockend.

      „Lasst sie festnehmen, Majestät! Der Schwede will Euch vorführen! Zeigt ihm, wie schnell Hochmut und Arroganz vor den Fall kommen können! Und außerdem...“ seine Stimme wurde sanfter „...stellt Euch vor, wie Ihr den Verlauf des Krieges nun verändern könntet! Lasst ihn festnehmen und erst wieder frei, wenn ein Waffenstillstand geschlossen wurde...ansonsten...“

      Er sprach seinen Gedanken nicht zu Ende, doch August verstand natürlich, was sein Statthalter ihm sagen wollte. Dieser fuhr fort nach kurzem Schweigen mit eindringlicher Stimme fort:

      „Das ist ein Fingerzeig Gottes Majestät, so eine Gelegenheit bekommt Ihr nicht mit Sicherheit wieder…!“

      August schaute noch immer unbewegt aus dem Fenster.

      Die gleichen Gedanken wie von Fürstenberg waren natürlich auch ihm durch den Kopf gegangen. Der Feind lieferte sich ihm geradezu selbst aus. Sollte Fürstenberg Recht haben und sich das Blatt im Verlauf dieses unseligen Krieges wirklich zu seinen Gunsten wenden, das langersehnte Glück endlich und auf so unverhoffte Weise zu ihm zurückkommen? Es war verlockend...

      Aber etwas daran missfiel ihm. Es war gar zu leicht und widersprach allem, wofür er stand. Er wurde nicht umsonst „August der Starke“ genannt – ein Name, auf den er sehr stolz war, bezog er sich doch nicht nur auf seine enorme körperliche Stärke, sondern auch auf seine Persönlichkeit.

      Nein, er würde den Schweden zeigen, dass sie es mit einem Herrscher mit Größe zu tun hatten, der es alles andere als nötig hatte, sich seiner Feinde auf diese Art zu entledigen.

      „Nichts da“ murmelte er mehr zu sich als zu Fürstenberg, um dann lauter zu befehlen.

      „Ich empfange die Schweden. Vielleicht ist es Euch ja nicht bewusst, doch Karl XII ist nicht nur mein Kriegsgegner, sondern auch gleichzeitig mein Cousin 2. Grades mütterlicherseits.“

      Er drehte sich zu seinem Statthalter um.

      „Wer weiß, was er im Schilde führt. Das gilt es herauszubekommen, ohne ihn gleich festzunehmen. Außerdem soll mir keiner nachsagen können, dass ich meinen Feinden nicht Auge in Auge gegenüber zu treten wage.“

      Als von Fürstenberg etwas erwidern wollte, brachte er ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.

      „Ich empfange die Schweden im Großen Saal! Mehr gibt es dazu nicht zu sagen!“

      Eine Viertelstunde später schritt der schwedische König auf ihn zu.

      August, selbst erst Mitte 30, war überrascht über das