S.C. Bauer

Wir kamen mit der Mayflower


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das Gu­te so ins Ge­sicht ge­schrie­ben steht, wie John Car­ver. Im­mer wenn ich ihn an­schaue, geht mir das Herz über, vor Zu­nei­gung, denn nie zu­vor ha­be ich einen mit­lei­di­ge­ren Men­schen ge­kannt als ihn.

      Je­dem Bet­tel­kind hat er ein Geld­stück ge­ge­ben, für je­den den er traf, hat­te er ein gu­tes Wort. Er kauf­te Pro­viant, nur um ihn gleich wie­der einer ar­men Fa­mi­lie zu schen­ken. Na­tür­lich hat er aus eige­ner Ta­sche, die feh­len­den Le­bens­mit­tel er­setzt. Er ist ein Eh­ren­mann und sehr wohl­ha­bend. Einen Groß­teil sei­nes Ver­mö­gens hat er in das Rei­se­pro­jekt ge­steckt. Ich fürch­te, er ist zu gut für die­se Welt. Ich ha­be im­mer das Be­dürf­nis ihn zu be­schüt­zen, ob­wohl er mehr als dop­pelt so alt ist, wie ich.

      Spon­tan tre­te ich zu ihm und über­rei­che ihm die Blu­men, die ich ge­pflückt ha­be. Er lä­chelt mich aus sei­nen gü­ti­gen Au­gen an. »Vie­len Dank mein lie­bes Kind«, sagt er warm­her­zig.

      Wie ich da so ste­he und be­wun­dernd Mr. Car­ver an­star­re, füh­le ich mich plötz­lich be­ob­ach­tet. Ich schaue mich su­chend um und mein Blick fällt auf einen Mann, der bei einer klei­nen Grup­pe von Leu­ten steht und mich an­sieht. Als sich unse­re Bli­cke tref­fen, durch­fährt mich ein Blitz. Ich kann, mei­ne Au­gen nicht von ihm ab­wen­den. Da­bei schaut er nicht ein­mal be­son­ders gut aus. Er ist nicht sehr groß, mus­ku­lös, hat dunk­les lo­cki­ges Haar und einen dich­ten kur­zen Bart.

      Aber die­se Au­gen! Sie schei­nen mich zu durch­drin­gen und bis in die tiefs­ten Tie­fen mei­ner See­le zu schau­en.

      Ich ha­be das Ge­fühl, er kennt al­le mei­ne Ge­dan­ken, so­gar die Ge­heims­ten und will gleich­zei­tig weg­lau­fen und zu ihm hin­ge­hen. Cons­tan­ce fällt mein star­rer Blick auf und sie stupst mich an. »Pri­scil­la, was hast du denn?«

      Ich schütt­le den Kopf und end­lich ge­lingt es mir den Blick von ihm los­zu­rei­ßen. Ich fra­ge mich ernst­haft, ob ich när­risch ge­wor­den bin, aber ich wa­ge nicht, noch ein­mal in die Rich­tung des Man­nes zu se­hen. »Komm, wir ge­hen und se­hen, ob unse­re Müt­ter Hil­fe brau­chen«, for­de­re ich Cons­tan­ce barsch auf und sie folgt mir mit ver­dutz­ter Mie­ne zu­rück auf die May­flo­wer.

      Mei­ne Mut­ter und Eli­za­beth Hop­kins sind beim Ko­chen an einem klei­nen Koh­le­be­cken, das auf Sand ge­bet­tet ist. »Nut­ze die Ge­le­gen­heit die Wä­sche zu wa­schen, wer weiß wann wir wie­der da­zu kom­men«, trägt mir mei­ne Mut­ter auf. Ich samm­le unse­re schmut­zi­gen Klei­dungs­stü­cke und wer­fe sie in einen Korb. Cons­tan­ce nimmt ihrer Mut­ter, die klei­ne Schwes­ter Da­ma­ris ab, die quen­ge­lig ist. Zu dritt ge­hen wir wie­der an Land. Es gibt einen Fluss ganz in der Nä­he, in dem ich die Wä­sche wa­schen kann. Ich schrub­be und rei­be ener­gisch an den Klei­dungs­stü­cken und ver­su­che mei­ne Ge­dan­ken zu klä­ren. Der Mann mit dem ver­we­ge­nen Blick will mir nicht aus dem Sinn ge­hen.

      Är­ger­lich den­ke ich, dass mei­ne Mut­ter recht hat, wenn sie meint, ich träu­me zu­viel. Es war nur ein Mann, der mich an­ge­starrt hat. Kein Grund, mir wei­ter den Kopf da­rü­ber zu zer­bre­chen! Die Arbeit hilft mir. Als die Wä­sche end­lich sauber ist, füh­le ich mich wie­der wie ich selbst. Wir ge­hen zu­rück und ich schlep­pe ge­mein­sam mit Cons­tan­ce den schwe­ren Korb mit den nas­sen Klei­dern. Die klei­ne Da­ma­ris stol­pert neben uns her. Als sie hin­fällt und kreischt, nimmt Cons­tan­ce sie auf den Arm. Ich muss den Korb nun al­lei­ne tra­gen.

      Das geht ganz gut, bis ich zu dem Fall­reep ge­lan­ge das auf die May­flo­wer führt. Ich ha­be an die­sem Tag mei­ne neu­en Schu­he, mit den hüb­schen Schnal­len an, die mir mein Va­ter ge­macht hat. Sie ha­ben einen klei­nen Ab­satz und se­hen sehr ele­gant aus. Mei­ne Mut­ter hat nicht ge­se­hen, wie ich sie an­ge­zo­gen ha­be, sonst hät­te sie si­cher mit mir ge­schimpft we­gen mei­ner Ei­tel­keit.

      Auf der rut­schi­gen Plan­ke wer­den mir die Ab­sät­ze zum Ver­häng­nis. Ich ver­ha­ke mich in eine der gro­ben Holz­stre­ben und es fehlt nicht viel, dass ich mit­samt der Wä­sche ins Was­ser fal­le. Im letz­ten Mo­ment, als ich schon die dunk­le Näs­se des Ha­fen­be­ckens auf mich zu­ra­sen se­he, fan­gen mich star­ke Ar­me auf und hal­ten mich fest. Ich um­klam­me­re noch im­mer den Wä­sche­korb und mir schlägt das Herz bis zum Hals vor Schreck.

      Der jun­ge Mann, der mich auf­ge­fan­gen hat, ist blond und sehr groß. Er hält mich noch im­mer fest, be­sorgt, dass ich er­neut aus­glei­ten könn­te. »Vie­len Dank Sir, ihr habt mich vor einem schlim­men Un­glück be­wahrt«, sa­ge ich er­leich­tert und sen­ke ver­le­gen mei­nen Blick.

      Er lässt mich los und nimmt mir den Korb ab. »Er­laubt mir Miss, dass ich ihn tra­ge.«

      Ich ni­cke dank­bar und be­ei­le mich an Bord zu ge­lan­gen.

      Er folgt mir und stellt den Korb neben mir ab. Mit einer klei­nen Ver­beu­gung und einem freund­li­chen Lä­cheln stellt er sich vor. »Mein Na­me ist John Al­den. Ich bin als Kü­fer hier auf der May­flo­wer.«

      Der Kü­fer ge­hört zu den Ver­sor­gungs­of­fi­zie­ren an Bord und hat die wich­ti­ge Auf­ga­be sich um die In­stand­hal­tung der Fäs­ser zu küm­mern, in denen Was­ser, Bier und Le­bens­mit­tel auf­be­wahrt wer­den. Ein durch­aus an­ge­se­he­ner Be­ruf, schießt es mir durch den Kopf.

      »Pri­scil­la Mul­lins«, ant­wor­te­te ich und er­wi­de­re zö­gernd sein Lä­cheln. Plötz­lich steht mei­ne Mut­ter vor mir.

      Sie wirft John Al­den einen miss­bil­li­gen­den Blick zu und er tippt an sei­nen Hut und ent­fernt sich. »Was soll das Pri­scil­la? Wer war der jun­ge Hirsch, mit dem ich dich hier plau­dernd vor­fin­de, als hät­test du kei­ne Arbeit?«, zischt sie mir scharf zu.

      »Mr. Al­den ge­hört zur Crew und hat mich vor einem bö­sen Sturz ins Was­ser be­wahrt. Sonst war nichts«, er­klä­re ich trot­zig.

      »Wenn du die Au­gen of­fen­hal­ten wür­dest, kämst du nicht in Ge­fahr zu fal­len«, schimpft sie ver­drieß­lich.

      Ich muss ihr recht ge­ben. Es ist nicht mein bes­ter Tag.

      Ich bin auf dem Zwi­schen­deck und ver­su­che, so gut es geht unse­re Bet­ten in Ord­nung zu brin­gen. Für je­des Mit­glied unse­rer Fa­mi­lie steht nur ein schma­ler Stroh­sack zur Ver­fü­gung. Wir lie­gen dicht ge­drängt, al­le neben­ei­nan­der. Um uns ein we­nig ab­zu­gren­zen, von unse­ren Mit­rei­sen­den, ha­ben Pe­ter und Ro­bert mei­nem Va­ter ge­hol­fen ei­ni­ge Bret­ter vor unse­re Schlaf­plät­ze zu na­geln. Da­durch ist es wie in einer feuch­ten Höh­le da­rin und die Luft wird noch sti­cki­ger.

      Die meis­ten an­de­ren Pas­sa­gie­re ha­ben nicht viel mehr Platz. Es gibt et­was bes­se­re Ab­schnit­te, für die Fa­mi­lie Mar­tin, na­he an der Strick­lei­ter, die zur Lu­ke auf das Ober­deck führt. Hier ist es luf­ti­ger. Auch die Hop­kins ha­ben dort ihre Schlaf­plät­ze, weil man Rück­sicht nimmt auf Mrs. Hop­kins Schwan­ger­schaft und sie mit den Mar­tins be­kannt sind.

      Pe­ter kommt und be­rich­tet mir auf­ge­regt, was sich im Poop House, der Ka­bi­ne von Ka­pi­tän Jo­nes zu­ge­tra­gen hat. Die Mann­schaft hat be­que­me­re Quar­tie­re auf dem Ober­deck, wo auch die Ka­bi­ne von Ka­pi­tän Jo­nes liegt, die der ein­zi­ge wirk­lich kom­for­tab­le Raum auf dem Schiff ist. Pe­ter, der we­nig zu tun hat, im Gegen­satz zu uns Frau­en, lang­weilt sich und treibt sich nach sei­nen Land­gän­gen ger­ne bei den Of­fi­zie­ren und Mat­ro­sen he­rum. Da­bei hat er ge­ra­de eben eine hef­ti­ge Aus­ei­nan­der­set­zung mit­an­ge­hört, die in