Alicia Sérieux

Die Magie der Mandalas


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Fernseher aus und fragte: „Und?“ Ich sah nachdenklich auf meine Hände und sagte nach einer kurzen Pause: „Ich muss zugeben, dass mir der Film wirklich gefallen hat. Trotz des Happy Ends.“ Als er nichts darauf entgegnete, sah ich zu ihm und bemerkte seinen skeptischen Blick. „Wie meinst du das? Trotz des Happy Ends?“ fragte er nach. „Naja, es gibt nun mal nicht immer ein Happy End. Aber das ist okay. Es ist ja nur ein Film,“ lenkte ich ein. Er musterte mich kurz, aber eindringlich und fragte dann: „Was ist dir denn passiert, dass du nicht an Happy Ends glaubst?“ Das war zu viel. Mit dieser Frage kam er mir zu nah. Viel zu nah. Ich sah auf meine Uhr und sagte: „Oh, schon so spät? Ich sollte gehen.“ Bevor er reagieren konnte, stand ich auf und wollte meine Handtasche holen. Doch er folgte mir und versperrte mir den Weg, als ich meinen Mantel holen wollte. Ich stieß fast mit ihm zusammen und war ihm jetzt so nahe, dass ich wieder seinen Geruch wahrnehmen konnte. Dieses Parfüm! Schnell brachte ich wieder mehr Abstand zwischen uns. „Habe ich etwas falsches gesagt?“ fragte er mit besorgtem Gesichtsausdruck. Nervös strich ich mir eine Haarsträhne aus meinem Gesicht und antwortete fahrig: „Nein, alles okay. Ich muss morgen nur früh raus.“ „Bist du dir sicher?“ hakte er nach und suchte meinen Blick. Doch ich wich ihm aus und antwortete: „Ja. Sicher.“ Daraufhin griff er hinter sich und nahm meinen Mantel von der Gardarobe. Galant half er mir hinein. „Eine Frage habe ich noch, bevor du gehst,“ sagte er, als ich schon meine Hand auf den Türgriff gelegt hatte. Ich hielt inne und sah mich zu ihm um. Seine honigbraunen Augen sahen mich noch immer besorgt an. Also rang ich mir ein Lächeln ab und fragte: „Welche denn?“ Er steckte seine Hände in seine Jeanstaschen und sagte: „Übernächste Woche ist eine Benefizveranstaltung einer großen Anwaltskanzlei. Aus irgendeinem Grund bin ich dazu eingeladen worden. Würdest du mich begleiten?“ Vor Verwunderung ließ ich den Türgriff wieder los und fragte irritiert: „Ich? Dich begleiten?“ Er räusperte sich verlegen und entgegnete: „Warum nicht? Du sollst mich doch überall hin begleiten für die Reportage. Das wäre doch eine gute Gelegenheit.“ Natürlich. Er hatte Recht. Hatte ich für einen kurzen Moment tatsächlich die Reportage vergessen? Nein, das war nicht möglich. Ich war einfach gerade nicht ich selbst. Und der süße Wein trug seinen Teil zu meiner Verwirrung bei. Doch ich nickte und antwortete: „Okay.“ Er wirkte plötzlich verunsichert. Als wüsste er nicht genau, wie er sich verhalten sollte. So kam es mir zumindest vor. Also ging ich einen Schritt auf ihn zu und blieb direkt vor ihm stehen. Gespannt sah er zu mir herab. Er war gut einen Kopf größer als ich. Es war nicht fair, ihn so stehen zu lassen. Er hatte sich solche Umstände gemacht und wusste natürlich nichts von meinem verkorksten Leben. Ich sah zu ihm auf und sagte: „Danke für den netten Abend. Und für das tolle Essen. Dein Crashkurs über den indischen Film war sehr interessant. Auch dafür, Danke.“ „Gern geschehen,“ antwortete er bloß und musste sich räuspern, da seine Stimme irgendwie rau klang. Ich schenkte ihm ein schiefes Lächeln und ging zur Tür. Mit einem großen Schritt war er bei mir und öffnete mir die Zimmertür. So viel Zuvorkommenheit verwirrte mich. Er warf seinem Bodyguard, der vor seiner Tür gewartet hatte, einen strengen Blick zu und sagte: „Bring sie bitte nach Hause.“ „Das ist wirklich nicht nötig,“ widersprach ich und sah entschuldigend zu seinem Leibwächter. „Ich bestehe darauf. Wir sehen uns morgen. Schlaf gut, Leah,“ entgegnete er und sein Tonfall ließ keine Widerrede mehr zu. Da ich müde, verwirrt und angetrunken war, widersprach ich auch nicht mehr und folgte dem Bodyguard zu dem dunklen Wagen, der mich nach Hause bringen sollte. Ich wollte nur noch in meine kleine Wohnung, in mein kleines Leben und mein warmes, kleines Bett. Die Welt machte mir wieder einmal Angst. Sie war so gemein und erinnerte mich immer wieder daran, was ich getan hatte. Dass ich offenbar unfähig war, glücklich zu sein. Ohne ein Wort des Abschieds stieg ich aus dem Wagen, als wir vor meinem Mietshaus hielten. Fluchtartig rannte ich die Treppen zu meiner Wohnung hinauf und fiel fast über das kleine Päckchen, das vor meiner Haustür lag. Ich nahm es hoch und ging in meine Wohnung. Was war das bloß? In braunem Paketpapier schien eine Art Buch eingepackt zu sein. Ich öffnete das Päckchen und eine Karte fiel mir entgegen. Sie war von meinem Bruder. In der Karte stand: Da du dich ja momentan mit dem mystischen Indien zu beschäftigen scheinst, fand ich dieses Geschenk mehr als passend. ? Happy Birthday Schwesterherz! Neugierig sah ich auf das Buch. „Mystische Mandalas – finden Sie ihr Gleichgewicht“ las ich laut en Titel, der in bunten Buchstaben aufgedruckt war. Mein Bruder hatte mir ein Malbuch geschenkt. Ein Malbuch mit Mandalas. Und eine nagelneue Packung Buntstifte. Als wäre ich nicht dreißig, sondern fünf Jahre alt geworden. Behutsam legte ich sein Geschenkt auf meinen kleinen Wohnzimmertisch und schlich in mein Schlafzimmer. Ohne mich abzuschminken oder meine Zähne zu putzen ließ ich mich in mein Bett fallen. Dieser Abend hatte mich geschafft. Ich wusste nicht warum. Aber ich fühlte mich fix und fertig. Und doch… das letzte, an das ich dachte bevor ich einschlief, war Rahuls fröhliches Lachen.

      Vom Hinfallen und Aufstehen

      *

      Die nächsten Tage verliefen wie gewohnt. Als hätte es diesen seltsamen Abend nie gegeben. Oder war er nur mir allein so seltsam vorgekommen? Ich genoss die Zeit mit Rahul und seine fröhliche und unbekümmerte Art schien mich ein immer mehr anzustecken. Er war witzig und interessant. Kein Gespräch war wie das andere und immer wieder erfuhr ich Dinge über ihn, die mich überraschten. Jeden Abend saß ich an meinem Laptop und schrieb, bis mir die Finger schmerzten. Es lief wie am Schnürchen. Ich fühlte mich gut und vergaß den kleinen Rückfall am Abend meines Geburtstages. Alles würde gut werden. Ich würde meine Festanstellung bekommen. Das fühlte ich. Als jedoch der Termin näher rückte, an dem ich Rahul zu dieser Veranstaltung begleiten sollte, meldeten sich meine Selbstzweifel wieder zurück. Noch schlimmer: ich hatte nichts Passendes zum Anziehen! Also tat ich etwas, das ich nur in äußersten Notfällen tat: ich bat meine Schwester, mit mir shoppen zu gehen. „Ich fasse es nicht, dass es schon so lange her ist seit wir das das letzte Mal gemacht haben,“ sagte Laura vergnügt und hängte sich bei mir unter während wir an den Schaufenstern vorbeigingen. Alles war weihnachtlich geschmückt und die vielen Lichter tauchten die Fußgängerzone in ein festliches Licht. Mir ging das Herz auf bei diesem Anblick. Ich liebte Weihnachten und freute mich schon auf Heilig Abend. Der war genau einen Tag nach dem Empfang und bis dahin hatte ich noch genau zwei Tage, um das passende Outfit zu finden. „Glaubst du, dass es irgendwo etwas halbwegs Annehmbares zum Anziehen für mich gibt?“ fragte ich und betrachtete skeptisch mein Spiegelbild in einem Schaufenster. Sie folgte meinem Blick, knuffte mir in die Seite und antwortete: „Jetzt stell dich nicht so an! Natürlich finden wir was Schönes für dich! Du bist doch eine hübsche Frau. Ich wünschte, du würdest endlich wieder ein bisschen mehr an dich selbst glauben! Seit deiner Scheidung scheinst du ein verzerrtes Bild von dir selbst zu haben.“ Genau gesagt hatte ich gar kein Bild mehr von mir. Ich war so lange mit meinem Exmann zusammen gewesen, dass ich gar nicht mehr wusste, wer ich eigentlich war. Mein ganzes Leben hatte ich um ihn herum aufgebaut. Zu lange hatte ich mich in diese Ehe eingefügt wie ein Puzzleteil, das mit Gewalt in eine Stelle gepresst wurde, in die es gar nicht hinein passte. An der es kein richtiges Bild ergab. Jetzt waren meine Ecken ausgefranst und nicht mehr definierbar. Ich ging nicht darauf ein und fragte stattdessen: „Soll ich irgendetwas mitbringen an Heilig Abend?“ Laura dachte kurz nach und sagte dann: „Nein, ich hab schon für alles gesorgt. Einen Begleiter könntest du vielleicht mitbringen.“ Ihr schelmisches Grinsen brachte mich auf die Palme. „Ja klar! Meinen unsichtbaren Freund bring ich mit,“ murrte ich und ließ mich von ihr in ein Geschäft ziehen. Nachdem sie mir einige Kleider ausgesucht und mich in die Umkleidekabine geschoben hatte, hörte ich sie von draußen fragen: „Was wäre so schlimm daran?“ „Lass mich in Ruhe mit dem Thema,“ fuhr ich sie an zog etwas zu grob den Reißverschluss des weinroten Kleides zu, das ich gerade anprobierte. Als ich hinaustrat musterte mich meine Schwester kurz und rümpfte ihre Nase. Ich nickte und ging, ohne mich selbst im Spiegel zu betrachten, zurück in meine Umkleidekabine. Dieses Kleid hatte mir sowieso von Anfang an nicht gefallen. „Warum fragst du nicht Rahul, ob er mit uns Weihnachten feiern möchte?“ fragte sie plötzlich, als wäre es die normalste Sache der Welt. Ich steckte meinen Kopf durch den Vorhang, um sie böse anfunkeln zu können und entgegnete: „Bist du irre? Das werde ich ganz bestimmt nicht tun!“ Provokant verschränkte sie ihre Arme vor der Brust und fragte: „Und warum nicht?“ Fassungslos über ihren Starrsinn entgegnete ich: „Wo soll ich anfangen? Ach ja, zum einen ist