André Schaberick

Der Tod ist mein Freund


Скачать книгу

Sorgen machen müssen. Wir werden dies gleich in einem Besprechungsraum tun, in den wir dich leider nicht mitnehmen können. Sicher kannst du dir vorstellen, warum.“

      „Ja, kann ich. Wenn ich meinen Plastikwürfel verlassen würde, würde ich den anderen Patienten sicher einen großen Schrecken einjagen.“

      „Mehr als das. Und das müssen wir verhindern. Danke, dass du Verständnis dafür hast.“

      Samuels Eltern, seine Schwester und der Oberarzt verließen das Krankenzimmer, und sofort kamen ein weiterer Arzt und einige Schwestern in sein Zimmer, um ihn auf die weitere Behandlung vorzubereiten. Der Arzt, den er nicht kannte, wandte sich an ihn.

      „Samuel, du darfst leider nichts mehr essen. Es wäre sehr gefährlich, wenn du dich während des Übergangs ins Koma übergeben würdest. Wir werden dich aber später künstlich ernähren, damit du genügend Nährstoffe bekommst, während du schläfst. Du bekommst die leckersten Speisen von uns aufgetischt. Sie werden direkt in deinen Magen geleitet, damit du nicht mehr kauen musst. Du bekommst Fleisch, Gemüse, Säfte und weitere leckere Speisen von uns. Mit dieser Diät wollen wir erreichen, dass es dir an nichts fehlt. Du wirst von uns die nächsten Stunden genau beobachtet. Du wirst auch einen Einlauf bekommen, sollte sich dein Dickdarm nicht freiwillig entleeren wollen. Und du bekommst eine Drainage für die Blase. Über diese können wir den Urin direkt ableiten.“

      „Das klingt praktisch. Das mit dem Einlauf klingt aber nicht so toll. Ich hätte so eine Drainage bei der letzten Party gut brauchen können. Da hatte ich ein sehr nettes Gespräch mit einem Mädchen. Doch plötzlich musste ich auf die Toilette. Als ich zurückkam, war die Blase leer und das Mädchen verschwunden.“

      „Ich merke schon, du hast eine besondere Form von Humor. Nein, mit der Drainage wäre dir das nicht passiert. Damit kannst du so viel trinken, wie du willst. Allerdings brauchst du einen Beutel, in den der Urin abfließt. Diesen auf einer Party zu tauschen ist auch nicht immer so ganz angenehm.“

      Alle Anwesenden mussten bei dieser Vorstellung lachen.

      „Wird mir so etwas auch ... also ich meine ...“

      „Was genau meinst du?“

      Sein Arzt verstand ihn nicht.

      „Na da hinten.“

      „Ach so, das meinst du. Nein, keine Sorge, so etwas geschieht nicht. Deshalb durftest du die letzten Tage nichts Festes essen. Zudem wird, um sicher zu gehen, dein Darm vor dem Einschlafen entleert.“

      „Entleert? Wie soll ich mir das vorstellen?“

      „Das ist ganz einfach. Du bekommst ein Medikament, und schon löst du dich von allem, was nicht in den Darm gehört.“

      „Eine Tablette? Oder ist es ein Saft?“

      „Weder noch. Es wird dir direkt in den Darm gespritzt.“

      „Ähm ... okay ... das klingt nicht besonders angenehm. Ich frage lieber nicht nach Details, sonst entscheide ich mich noch dagegen.“

      „Es ist nicht so schlimm, wie es sich anhört. Ein wenig Flüssigkeit, ein wenig Geduld, eine Toilette, und schon ist alles vorbei. Es geht sehr schnell.“

      „Puh, das ist beruhigend.“

      Anschließend wurde er in Abwesenheit seiner Eltern und Schwester an noch mehr Geräten angeschlossen, die alle möglichen Parameter seines Körpers überwachen sollten. Hierfür klebten Pfleger und Schwestern an diversen Stellen Saugnäpfe auf die Haut, und nach jedem geklebten Sensor, der einwandfrei angebracht war, ertönte ein weiterer Piepton aus einem elektronischen Gerät direkt neben seinem Bett. Er hörte seinen Herzschlag, seinen Atem, das Blut in seinen Adern fließen und Geräusche, die er gar nicht zuordnen konnte. Kamen die alle aus seinem Körper?

      Gut, dass sie nicht auch noch seinen Kopf anzapften, um seine Gedanken zu lesen. Ganz sicher war er sich momentan allerdings nicht. Vermutlich würden sie dies doch nachholen, sobald er eingeschlafen war.

      Die ganze Vorbereitung nahm ziemlich viel Zeit in Anspruch. Schließlich mussten die Sensoren gut auf der Haut halten und präzise positioniert sein, damit Samuel nicht ins Reich der Toten abtauchte, nur, weil ein Sensor nicht richtig arbeitete und abgefallen war.

      Er vertraute dem Fachpersonal und ließ alles mit sich machen, was getan werden musste. Er hatte auch gar keine andere Wahl.

      Mittlerweile waren seine Eltern wieder anwesend. Einer der Ärzte hatte sie wieder ins Krankenzimmer in die Quarantänestation gebeten. Sein Vater wandte sich an ihn.

      „Samuel, natürlich birgt der Zustand des künstlichen Komas Risiken, das haben die Ärzte dir sicher hinreichend erklärt. Andererseits hast du noch immer das sehr gefährliche Zika-Virus in dir. Dein Körper hat den Kampf noch nicht gewonnen. Und die einzige Chance, gegen diesen Eindringling zu gewinnen, ist leider das künstliche Koma. Wir alle beten für dich, wir werden dich täglich besuchen, um zu sehen, ob es dir besser geht. Du wirst nichts davon mitbekommen, aber wir werden immer an deiner Seite stehen.“

      Auch seine Mutter wollte ihm Trost spenden und ihm die Angst nehmen. Sie nahm seine Hand, streichelte sie, dann drückte sie sie ganz fest.

      „Mein Schatz, wir alle wären glücklich, wenn du diese Tortur nicht auf dich nehmen müsstest. Aber wir sehen keine andere Chance. Wir wollen, dass du wieder gesund wirst.“

      „Vielleicht ist es ja ganz nice in diesem Traumland. Bisher war es das.“

      Samuels Schwester konnte nichts sagen, sie hatte dicke Tränen in den Augen stehen, die gerade begannen, ihr die Wangen herunter zu laufen. Samuel ergriff ihre Hand und zog sie zu sich hin.

      „Hey, meine Lieblingsschwester, ich mache doch nur ein langes Schläfchen. Anschließend wache ich auf, und dann bin ich wieder gesund und ausgeschlafen, du wirst schon sehen. Und schneller, als es dir lieb ist, wirst du wünschen, ich würde noch schlafen.“

      Alle mussten bei diesen Worten lachen. Auch seine Schwester zwang sich ein Lächeln ins Gesicht, obwohl es nicht wirklich von Herzen kam.

      „Versprich mir, dass du wieder zu mir zurückkommst.“

      Nun rannen noch mehr Tränen über ihre Wangen.

      „Ich verspreche es. Du wirst mich so schnell nicht los.“

      Samuel fischte mit der anderen Hand ein Taschentuch aus seinem Nachttisch und reichte es seiner Schwester. Sie nahm es wortlos entgegen und wollte sich damit die Tränen weg tupfen, was ihr aufgrund des Schutzanzuges aber nicht gelang.

      „Oh Entschuldigung, ich habe nicht drüber nachgedacht, du hast ja diesen Helm auf. Ich bin echt dumm.“

      „Nein, das war sehr nett von dir. Ich kann es ja gleich benutzen.“

      Dann nahm sie ihn in den Arm - so weit es die Schutzfolie ihres Anzugs zuließ. Erneut wurde sie von einem Weinkrampf übermannt.

      „Liebe Familie, ihr macht euch viel zu viele Gedanken. Ich schlafe doch nur. Es werden ein paar Funktionen meines Körpers abgeschaltet, damit ich das Virus ermurksen kann. Anschließend wache ich wieder auf und bin wieder ganz der Alte. Ich habe keine Angst vor diesem Dornröschenschlaf. Ganz im Gegenteil, ich werde bestimmt etwas Schönes träumen, sodass es nicht so langweilig wird. Ihr könnt mir auch gern etwas erzählen, während ich in diesem Plastikwürfel herumliege. Es ist bestimmt interessant zu hören, was so um mich herum passiert. Aber sicher werde ich nicht antworten. Hat doch auch mal was Gutes, wenn keiner da ist, der Widerworte gibt, oder Mama?“

      Seine Mutter setzte ein gespieltes Lächeln auf.

      „Ja, mein Schatz. Du hast Recht.“

      „Gute Nacht, meine Lieben. Ich lege mich nun ein wenig schlafen. Wenn ich ausgeschlafen habe, rufe ich euch an. Ist das in Ordnung? Seid ihr damit einverstanden?“

      Alle wünschten ihm eine gute Nacht und verabschiedeten sich schweren Herzens von ihm. Sie wussten nicht, ob sie ihn jemals in diesem Zustand wiedersehen würden, oder ob diese Unterhaltung ihre letzte war.

      Samuel