André Schaberick

Der Tod ist mein Freund


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großer Freund Samuel, mir wurde berichtet, was dir widerfahren ist. Du möchtest ein Tori retten. Du weißt, dass dies ein großes Opfer für uns bedeutet, aber wer uns hilft, dem helfen wir auch. Du hast uns gerettet, und wir stehen tief in deiner Schuld. Das Geringste, was wir tun können, ist, dir Essen für das Tori zu bringen.“

      Dann wandte er sich um und sprach zu seinesgleichen.

      „Soranier von Talodar, tragt Pflanzen für das Tori zusammen. Wir müssen verhindern, dass das Tori, das Samuel entdeckt hat, stirbt. Besorgt Wurzeln der rot und grün gestreiften Rübe, die schmeckt den Toris am besten.“

      Aufmerksam lauschten die kleinen Männchen ihrem Oberhaupt. Und sofort, nachdem er sie aufgefordert hatte, Rüben zu sammeln, begannen sie, sich in alle Richtungen zu verteilen. Samuel konnte die Männchen nicht unter den Blättern sehen, aber immer wieder sah er, dass plötzlich Blätter verschwanden. Er nahm an, dass sie in Windeseile die Rüben ausgruben und die Blätter abschnitten. Anders konnte er sich nicht erklären, warum hier und dort Blätter nach unten verschwanden.

      Wie am Fließband brachten die kleinen Männlein Rüben und türmten sie vor Samuel zu einem Haufen auf. Als sie genügend Rüben für eine Mahlzeit zusammengetragen hatten, nähten sie mehrere Tücher zu einem Sack zusammen. Samuel war überrascht, wie schnell sie es bewerkstelligten.

      „Nimm diesen Sack und fülle alle Rüben hinein. Du hast große Hände und bist viel schneller, als wir.“

      Das Oberhaupt zeigte mit seiner kleinen Hand auf die Rüben und anschließend auf den Stoffsack, während er Samuel dies erklärte.

      Samuel verbeugte sich tief vor den Männlein.

      „Ganz herzlichen Dank. Das Tori wird sicher glücklich sein, dass ihr ihm so viel zu essen besorgt habt.“

      Dann öffnete er den Sack und beförderte alle gesammelten Rüben hinein. Als er fertig war, war der Sack komplett gefüllt. Nicht eine einzige hätte noch hinein gepasst.

      „Unglaublich, wie habt ihr vorher wissen können, wie viele Rüben hineinpassen?“

      „Samuel, wir sind Soranier.“

      Entweder war das Oberhaupt ziemlich von sich und seinem Volk eingenommen, oder die Soranier waren tatsächlich dafür bekannt, sehr gut rechnen und schätzen zu können.

      „Noch mal vielen Dank. Ich gehe nun zu dem hungrigen Tori und werde es damit sättigen.“

      Der Häuptling sagte nichts, verneigte sich lediglich und lächelte Samuel an. Dann nickte er ihm zu, was bedeutete, dass er losziehen sollte.

      Samuel verschloss den Sack und ging los. Weit war es nicht.

      „Tori! Was ist los mit dir?“

      Er stupste es an, aber das Tori reagierte nicht. War es gestorben? Tränen schossen in Samuels Augen.

      „Du darfst nicht tot sein. Wach auf! Wach verdammt noch mal auf. Ich habe dir etwas zu essen gebracht.“

      Schnell lief er zum Kopf des Tori, konnte aber kein Atmen feststellen. Dann lief er zur Brust und legte sein Ohr darauf. Auch hier konnte er keine Lebenszeichen feststellen. Keine Bewegung durchs Atmen, und kein Herzschlag war zu hören.

      „Du darfst nicht tot sein, tu mir das nicht an. Bitte wach auf! Tori! Ich wollte doch noch so viel mit dir besprechen!“

      Samuel krallte sich in seine Haut und rüttelte und schüttelte es, doch er stellte noch immer keine Reaktion fest. Seine Haut war jedoch noch sehr warm. Es musste folglich noch leben. Verzweifelt schlug er mit der Faust auf den massiven Körper. Mehrmals schlug er zu, bis es sich plötzlich bewegte.

      „Au, das tut doch weh. Schlag’ mich nicht!“

      „Verdammt noch mal, du Mistkerl! Ich habe mir fast in die Hose gemacht vor Angst. Ich habe geglaubt, du seist tot. Mach das nie wieder.“

      Samuel begann zu weinen. Dann umarmte er den Hals des Tori und streichelte ihm über seinen riesigen Kopf.

      „Versprich mir, dass du mich nie wieder so erschreckst.“

      „Menschen sind wirklich komische Tiere. Warum bin ich dir so viel wert, dass du weinst? Ich bin doch gar nicht tot. Ich lebe noch. Sieh doch! Ich war bloß eingeschlafen.“

      „Und warum hast du nicht geatmet? Hast du absichtlich die Luft angehalten?“

      „Natürlich nicht. Toris atmen nicht beim Schlafen.“

      Das Tori breitete seine gewaltigen Flügel aus und flatterte damit in der Luft.

      Heftiger Wind strich Samuel durchs Gesicht.

      „Glaubst du mir jetzt, dass ich noch lebe?“

      Erneut ergriff Samuel den Hals des Tori und umarmte ihn. Den ganzen Körper hätte er niemals umarmen können, hierfür war er einfach zu gewaltig.

      „Ich sehe, du hast mir etwas zu essen mitgebracht. Das ist wirklich sehr nett von dir. Danke.“

      Samuel schüttete den Sack aus und hoffte, das Tori würde die Rüben auflesen und essen. Aber es tat es nicht.

      „Nimm, sie sind für dich.“

      „Ich schaffe es nicht. Bitte hilf mir.“

      Samuel ließ sich das nicht zweimal sagen und nahm eine Rübe in die Hand. Sie waren ungefähr so groß wie Schlangengurken. Er hielt sie ihm ans Maul. Oder musste man sagen, an den Mund? Es öffnete langsam den Mund und offenbarte seine gefährlichen Zähne. Dann streckte es seine lange Zunge heraus und angelte ungeschickt nach der Rübe. Es wollte die Rübe mit der Zunge greifen, doch es gelang ihm nicht. Samuel steckte sie ihm schließlich zwischen die Zähne.

      Vorsichtig schloss das Tori seinen Mund und zerkaute genüsslich die kleine Rübe. Der süße Saft schmeckte ihm scheinbar gar nicht so schlecht. Schnell forderte es eine weitere Rübe. Und so ging das Spiel weiter, bis es den Inhalt des ganzen Sackes aufgegessen hatte.

      Das Tori legte nun seinen Kopf auf den Boden und wartete, bis sein Körper den zuckerhaltigen Saft aufgenommen hatte. Sicher würde sehr schnell wieder Kraft in seine Muskeln strömen.

      „Hmmmm, tut das gut. Danke, Samuel, dass du mich gerettet hast.“

      Dann schloss es ganz langsam die Augen und schlief schließlich ein. Zufrieden atmete es tief ein und aus. Dabei gab es rasselnde Geräusche von sich, vermutlich schnarchte es. Nach ein paar Augenblicken versiegte tatsächlich die Atmung. Samuel genoss den Anblick und legte sich zwischen das Hinterbein und den Bauch, dorthin, wo es richtig warm war. Auch er schlief nach diesem abenteuerlichen Tag sofort ein. Gemeinsam schliefen sie so lang, wie es dauert, ein großes Brot zu backen.

      Nachdem das große Brot gebacken war, wachten sie auf und freuten sich über das herrliche Wetter. Die Sonne stand schon ziemlich hoch am Himmel und spendete eine wohlige Wärme. Kleine, weiße Wolken wanderten langsam und gemütlich über den tiefblauen Himmel. Gänseblümchen winkten ihnen lächelnd zu.

      „Samuel, mein Herz liegt nicht in meiner Brust.“

      Samuel war etwas erstaunt, vor allem über die Tatsache, dass das Tori ihm dies offenbarte.

      „Ich verstehe nicht ganz. Wo soll es denn sonst sein?“

      „Du hattest dein Ohr auf meine Brust gelegt. Bei Menschen mag das funktionieren, aber bei Toris hilft es nicht. Toris haben ihr Herz woanders sitzen.“

      „Woanders? Wo habt ihr Toris euer Herz denn sitzen?“

      „Leg mal dein Ohr auf meinen Unterleib. Du wirst mein Herz dort schlagen hören.“

      Ein wenig zurückhaltend und verlegen legte Samuel sein Ohr auf die Stelle, die das Tori ihm zeigte, und tatsächlich hörte Samuel den Dreiviertelklang des Tori-Herzschlags. Hm-tata-hm-tata machte es. Samuel war hochgradig erstaunt und zugleich begeistert.

      „Es ist verrückt, es klingt, wie ein Walzer.“

      „Wie ein Walzer?