André Schaberick

Der Tod ist mein Freund


Скачать книгу

mit Musik kenne ich mich aus. Es gibt Instrumente, die machen Krach und eine Menge komischer Töne. Trommeln kenne ich auch. Die machen auch Krach. Und dann gibt es auch noch Musiker, die machen erst recht Krach. Manchmal jaulen sie auch.“

      Samuel musste lachen, vor allem über das Jaulen.

      „Das ist alles, was du über den Walzer weißt? Es ist ein wenig mager, aber das bekommen wir noch hin.“

      „Vielleicht ist unsere Musik anders als deine.“

      „Das mag sein. Sag mal, bist du eigentlich ein Junge oder ein Mädchen? Also ich meine, bist du männlich oder weiblich? Ich kann bei dir keine typischen Merkmale für ein Geschlecht erkennen. Und dein Gesicht sieht auch nicht typisch weiblich oder männlich aus.“

      Das Tori war etwas verwundert und irritiert über diese Frage. Es hätte mit allen möglichen anderen Fragen gerechnet, aber nicht mit einer Frage, die sein Geschlecht betraf.

      „Ich bin nicht männlich und auch nicht weiblich. Toris sind alle gleich. Es gibt nur Toris, keine Torer oder Torinnen oder so etwas ähnlich komisch Klingendes. Und darüber bin ich auch sehr glücklich, denn so brauchst du dir keinen passenden Partner des anderen Geschlechts zu suchen, so wie es beispielsweise bei den Menschen üblich ist. Du suchst dir einfach einen Partner aus, der dir gefällt, und alles ist gut. Jedes Tori ist passend.“

      „Klingt interessant. Und so braucht auch niemand darüber zu wettern, dass es lesbische oder schwule Toris gibt.“

      „Genauso ist es. Was ist denn lesbisch oder schwul?“

      „Nun, Homosexuelle halt.“

      „Aha?“

      „Wenn Männer Männer lieben oder Frauen Frauen.“

      „So was gibt es?“

      „Ja, so was gibt es.“

      „Und das funktioniert?“

      „Wie meinst du das?“

      „Ich meine, bekommen die auch Junge?“

      „Junge? Du meinst Kinder? Nein, nicht wirklich.“

      „Warum tun sie es dann?“

      „Weil es ihnen gefällt.“

      „Aha, so ist das. Die machen das nur, weil es ihnen gefällt? Nicht, weil sie sich vermehren wollen?“

      „Nein, weil sie sich lieben, tun sie es.“

      „Aber dann bekommen sie doch gar keine Jungen!“

      „Nein, bekommen sie nicht.“

      „Verstehe ich nicht.“

      „Musst du auch nicht. Lass uns über was Anderes reden.“

      „Gute Idee.“

      Es entstand eine kurze Pause, um darüber nachzudenken, über was sie sich sonst noch unterhalten konnten.

      „Flieg mit mir. Das macht dir bestimmt viel Spaß!“

      Samuel war überrascht. Er war noch nie mit oder auf einem Tier, nein, einem Tori, geflogen. Und es reizte ihn natürlich, dies auszuprobieren. Allerdings hatte er auch Angst, denn in seiner Fantasie fiel er herunter und landete aus großer Höhe auf dem harten Fußboden.

      „Kann ich von dir herunterfallen? Das wäre gar nicht komisch, denn dann bin ich tot.“

      „Nein, du kannst nicht herunterfallen.“

      „Ich bin noch nie auf einem Tier, äh, Tori geflogen. Ich muss gestehen, ich habe vor dem Fliegen ein wenig Angst. Warum kann ich nicht herunterfallen?“

      „Du musst keine Angst haben, ich halte dich fest.“

      „Wie kannst du fliegen und mich gleichzeitig festhalten?“

      „Du wirst es sehen. Du schnallst dich an mir fest.“

      „Okay, du hast also einen Gurt, oder ein Seil, mit dem ich mich an dir festbinde?“

      „Nein, habe ich nicht.“

      „Wie soll ich mich dann an dir festschnallen?“

      „Ich habe spezielle Tentakel, mit denen ich dich festhalten kann. Ich kann sie ausfahren und dich damit halten. Du kannst sie jetzt nicht sehen, aber wenn du dich auf meinen Hals setzt, siehst du sie. Sie sind dafür gemacht, dass du nicht herunterfällst, wenn ich Saltos in der Luft mache.“

      „Das ist unglaublich! Du hast Tentakel am Hals?“

      Samuel stellte sich gerade vor, in einem Wagen einer Achterbahn zu fahren, ohne Sicherheitsbügel vor sich zu haben. Die einzige Sicherung, die ihn während der Fahrt hat, wären Tentakel. Mithilfe dieser Tentakel würde er sich am Wagen der Achterbahn festhalten. Nicht gerade vertrauenserweckend.

      „Du willst Saltos in der Luft machen?“

      „Ja, und Luftrollen.“

      „Nein! Mach das bitte nicht. Ich habe Angst vor so was! Dann muss ich kot… ich meine, ich muss dann erbrechen. Wir können zusammen fliegen, wenn du geradeaus fliegst. Aber nur geradeaus. Keine Rollen, keine Saltos.“

      „Menschen sind wirklich langweilig.“

      Das Tori stöhnte laut.

      „Ja, wenn es denn sein muss, dann fliegen wir nur geradeaus. Aber wir müssen auch nach oben und nach unten fliegen, sonst heben wir nicht ab.“

      „Gut. Aber mehr nicht. Wenn ich keine Angst mehr habe, darfst du auch Kurven fliegen.“

      „Also gut. Wenn ich aber keine Kurven fliege, gelangen wir nicht dorthin zurück, von wo wir abgeflogen sind.“

      „Ja.“

      Das Tori hielt die Menschen schon immer für sehr langweilig und ängstlich, was das Fliegen betraf. Aber der Mensch namens Samuel bestärkte ihn noch in seiner Meinung. Er war nicht nur ängstlich und langweilig, er war auch noch feige. Nein, schlimmer noch. Er war die Steigerung von feige. Aber dafür gab es kein Wort.

      „Ich werde keine flugtechnischen Kunstwerke mit dir durchführen. Wir fliegen nach oben, dann geradeaus, schließlich wieder nach unten. Ich verspreche es. Wir werden ganz sanft die Welt von oben betrachten.“

      „Ich bin ziemlich aufgeregt und gespannt auf meinen ersten Flug. Es muss grandios sein, durch die Luft zu segeln. Wenn du mir versprichst, dass du mich festhältst, vertraue ich dir und werde bestimmt keine Angst haben.“

      „Ja, ich verspreche es.“

      Das Tori hatte sich mittlerweile genügend ausgeruht und sein Essen verdaut. Es war wieder zu Kräften gekommen und schien nun wieder fliegen zu können. Also wagte Samuel sich in sein großes Abenteuer.

      „Los, steig auf.“

      Ziemlich ungeschickt versuchte er, den Hals des Tori zu erklimmen.

      „Wo soll ich mich festhalten? Es gibt keine Haare und keine andere Möglichkeit hochzuklettern. Eine Treppe gibt es auch nicht.“

      Auf was hatte er sich da bloß eingelassen?

      „Immer mit der Ruhe, mein Freund.“

      Das Tori senkte den Hals bis auf den Fußboden. Jetzt hatte Samuel keine Mühe mehr, aufzusteigen. Er setzte sich hin und fühlte sich etwas unsicher. Seine Beine standen zwar noch auf dem Fußboden, aber wo sollte er sie hin tun, wenn das Tori aufstand?

      Plötzlich fuhren wie bei einem Seeigel schlauchartige Tentakel aus der Haut des Tori, die nach ihm tasteten und sich an ihm festhielten. Sie hielten sich dermaßen heftig fest, dass er keine Chance hatte, sich auch nur einen Finger breit von der Stelle zu bewegen. Samuel waren die Tentakel ein wenig unheimlich. Hoffentlich bissen sie keine Löcher in ihn hinein.

      Und nun erhob sich das Tori. Schlagartig schoss Samuels Puls in die Höhe. Als das Tori aufrecht stand, befand er sich in einer Höhe, die zwei ausgewachsenen