André Schaberick

Der Tod ist mein Freund


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kannst tatsächlich sprechen? Und das auch noch so, dass ich dich verstehe?“

      „Das kann ich. Vor langer Zeit ist schon einmal ein Mensch bei uns zu Besuch gewesen. Von ihm habe ich deine Sprache gelernt. Ich habe ihn gefressen, dadurch habe ich sie mir angeeignet.“

      Verschreckt riss Samuel die Augen auf und hörte sofort mit dem Streicheln auf. Hastig sprang er einen Schritt nach hinten.

      „Was?!“

      „Ha ha, das war nur Unsinn. Ich habe es gelernt, ohne ihn zu fressen, keine Sorge.“

      „Puh, wie beruhigend.“

      „So reagiert jeder, den ich damit erschrecke. Du kannst aber gern weiterstreicheln.“

      Samuel fehlten die Worte. Schon immer hatte er sich gewünscht, mit einem Tier reden zu können, und nun ging sein Wunsch in Erfüllung. Jedes Kind träumt davon, mit Tieren reden zu können. In der Fantasie funktioniert es, aber tatsächlich hat es noch kein Mensch geschafft.

      „Das bedeutet, du kannst auch logisch denken. Und du hast Gefühle, so wie wir Menschen?“

      „Es bedeutet, dass ihr Menschen auch Gefühle habt, so, wie wir Tiere. Und ich bin kein einfaches Tier. Ich bin ein Tori. Toris sind in der Welt der Menschen völlig unbekannt. Ich bin kein Vogel, kein Tier und auch kein Drache. Drachen sind Fantasiewesen der Menschen. So etwas gibt es nicht. Mich hingegen gibt es, wie du gerade siehst.“

      „Ein Tori? Das klingt interessant. Der Begriff ist mir völlig fremd. Sind Toris Säugetiere, oder legst du Eier? Was frisst du? Entschuldigung, ich meine, was isst du? Tut mir leid, fressen tun nur die Tiere.“

      „Fressen tun nur die Tiere, ja, so sagen es die Menschen. Sie meinen, sie wären besser, als die Tiere. Aber die Tiere waren viel früher auf dieser Erde. Sie haben auch Gefühle, die Menschen erkennen es bloß oft nicht.“

      „Was isst du denn gern?“

      „Da ich fliegen kann, fange ich mir, was ich in der Luft erwische. Etwas aus der Luft zu fangen macht mir am meisten Freude. Langsame Landwesen zu fangen ist langweilig. Ich möchte sie jagen. Und wenn ich keins erwische, esse ich auch Pflanzen. Sie laufen nicht davon. Manche beißen zurück, da muss man schon mal aufpassen.“

      „Die Pflanzen beißen zurück? Ich kenne keine beißenden Pflanzen.“

      „Du wirst sie kennenlernen, wenn sie dich beißen.“

      „Du machst mir Angst. Wie sehen sie aus?“

      „Groß und gewaltig, mit einem weißen Kopf, der lange Zähne hat.“

      Samuel hatte ein wenig das Gefühl, das Tori würde ihn auf den Arm nehmen. Er sah es ein wenig misstrauisch an und zeigte, dass er dem Tori nicht glaubte.“

      „Du glaubst mir nicht?“

      „Doch, doch, wie kommst du darauf? Ich glaube dir fast alles.“

      „Gut, so ist es gut.“

      Das Tori hatte Samuel längst durchschaut und wusste, dass er es nicht glaubte.

      „Ich bin der beste Flieger der Welt. Ich kann auch segeln. Ich konnte einst so schnell fliegen, wie der schnellste Vogel der Welt. Aber ich bin schon alt. Ich kann heute leider nicht mehr ganz so schnell fliegen. Und nun kann ich nur noch die ganz langsamen Vögel fangen.“

      „Das tut mir leid. Und nun fängst du Pflanzen?“

      „Nein, ich fange sie nicht. Ich esse sie aus der Not heraus.“

      „Du bist ein kleiner Schauspieler, erst sagst du, du wärest der beste Flieger der Welt, und nun mache ich mir Gedanken, wie ich dich wieder aufpäppele.“

      Das Tori machte eine Pause, um durchzuatmen. Anschließend sprach es in einem sehr bedrückten, unterwürfigen Ton weiter.

      „Ich muss sterben, weil ich nichts mehr zu essen fangen kann.“

      Das Tori knickte plötzlich ein, es hatte keine Kraft mehr, um auf allen Vieren zu stehen. Es schlug mit seinem Kinn auf dem Boden auf.

      „Herrje, du armer Kerl, ich muss dir etwas zu essen besorgen. Doch was kann ich dir geben? Ich habe nichts. Was kann ich suchen? Gibt es Pflanzen, die du gern isst?“

      „Am liebsten esse ich Fleisch, aber das wirst du mir nicht besorgen können. Such nach Pflanzen mit rot und grün gestreiften Blättern. Sie müssen aber quer gestreift sein. Die gräbst du aus. Sie haben Wurzeln, die süß schmecken. Bring mir so eine Pflanze. Die kann ich essen.“

      „Isst du auch andere Pflanzen?“

      „In der Not, wenn ich genügend Hunger habe, esse ich auch andere Pflanzen, ja.“

       Dir wird nichts Anderes übrig bleiben, als Pflanzen zu essen. Ich kann doch keine Lebewesen aus dieser Welt töten und sie dir zu essen bringen. Das bringe ich nicht übers Herz. Pflanzen werde ich dir bringen.

      Samuel kamen die kleinen Kerle in den Sinn. Er hatte ihnen geholfen, er hatte sie verteidigt und eine Gefahr von ihnen abgewendet. Nun brauchte er ihre Hilfe. Sie konnten ihm sicherlich dabei behilflich sein, Nahrung für das Tori zu finden. Möglicherweise würden sie ihm sogar etwas für das Tori zu essen bringen.

      „Bleib hier liegen und spar deine Kräfte. Ich werde sofort losziehen und Essen für dich besorgen. Vertrau mir, ich komme zurück und helfe dir.“

      „Danke, dass du das für mich tust. Ich stehe schon jetzt tief in deiner Schuld.“

      Samuel konnte sich noch an den Weg zu den kleinen Kerlen erinnern, deren Namen er noch immer nicht wusste. Aber das war jetzt nicht wichtig. Sie mussten hier irgendwo in der Nähe sein. Leider waren sie nicht so leicht zu entdecken, denn die meiste Zeit wuselten sie versteckt zwischen den Pflanzen herum, die größer als sie selbst waren. Die Pflanzen waren ein sehr guter Schutz, um nicht entdeckt zu werden. Also verließ sich Samuel auf seine guten Ohren. Er ging ein paar Schritte, dann lauschte er und wiederholte dies so oft, bis er sie schließlich hörte - an derselben Stelle, wo er sie schon einmal angetroffen hatte.

      „Hallo, meine Freunde, wie froh bin ich, euch hier zu treffen.“

      „Hallo Samuel, schön, dich zu sehen.“

      Einer der kleinen Männlein erinnerte sich sofort an seinen Namen.

      „Ich komme direkt auf den Punkt: Ich brauche eure Hilfe. Vor einer Weile habe ich ein Tori gefunden. Es liegt halb verhungert auf dem Boden und kann sich nicht mehr selbst ernähren. Es kann keine Beute fangen, weil ihm die Kraft ausgegangen ist. Es muss sterben, wenn ich ihm nicht helfe. Oder ihr?“

      „Ein Tori, das ist ungewöhnlich. Du hast ein Tori gefunden? Bist du sicher?“

      „Ja, dort hinten, nicht weit von hier entfernt. Vielleicht hundert oder zweihundert Schritte in Richtung Sonne liegt es auf dem Boden. Bitte helft mir. Es darf nicht sterben.“

      „Wir haben noch nie einem Tori geholfen. Toris sind uns viel zu gefährlich. Wenn wir nicht ständig vor ihnen auf der Hut sind, sind wir ihre Beute. Wir haben Angst vor ihnen, und sie gehören nicht zu unseren Freunden. Aber du hast uns zweimal geholfen und unser Leben gerettet, also werden wir auch dir helfen. Freunde helfen sich gegenseitig. Ich werde nun unserem Oberhaupt berichten, was du beobachtet hast. Warte bitte einen Moment, ich bin gleich wieder bei dir. Danke, mein Freund.“

      Sofort lief das kleine Männlein los und verschwand unter den dichten Blättern. Tatsächlich dauerte es nicht allzu lang, und schon kam es wieder zurück.

      „Wir werden dir helfen. Wir geben dir Pflanzen, die das Tori essen darf. Es darf nicht alles essen, einige Pflanzen sind giftig, einige können beißen.“

      „Ja, von den beißenden Pflanzen hatte das Tori mir auch schon erzählt. Sie sollen weiße, große Köpfe haben, und sie haben angeblich lange Zähne.“

      „Das ist richtig. Wenn du große, weiße Köpfe an den Pflanzen siehst, dann nimm dich in Acht! Sie schnappen