André Schaberick

Der Tod ist mein Freund


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stärker ist das falsche Wort. Schlimmer wurde es. Schlimmer bezeichnete das Gefühl am besten.

      Die ersten Tränen liefen ihm bereits aus den Augen. Er musste sich gänzlich unter der Bettdecke verstecken, aber der Anfall wurde noch heftiger.

       Vor meiner Tür stehen bestimmt schon die Ärzte mit der Zwangsjacke.

      Doch je mehr er sich dagegen wehrte oder über die Ärzte nachdachte, desto heftiger wurde das Verlangen, laut loszulachen.

      Was sollte er bloß tun? Ihm kam der rettende Gedanke: Er drehte sich auf den Bauch und vergrub sein Gesicht im Kissen. Es war prima, denn es funktionierte. Er musste brüllen vor Lachen, trommelte mit den Fäusten auf die Matratze, wischte mit dem Kissen die Tränen weg, riss sich die Kabel vom Körper und fiel schließlich vom Bett. Auch dort musste er weiterlachen. Der freie Fall vom Bett auf den Fußboden mit dem anschließenden Krawumms gab dem Lachanfall neues Futter. Schmerzen verspürte er keine, selbst nicht an den Stellen, an denen er sich beim Fall vom Bett heftig gestoßen hatte.

      Die Zimmertür flog auf, eine in Plastikfolie eingepackte Schwester kam herein geeilt. Vermutlich hatte sie den Rumms gehört, als Samuel auf dem Boden aufgeschlagen war. Oder sie hatte am Lautsprecher gesessen und sein Lachen gehört.

      Hektisch riss sie den Reißverschluss des Quarantänewürfels auf. Dabei fluchte sie, denn sie hatte sich einen ihrer schön rot angemalten Fingernägel abgebrochen. Sie stolperte durch die Schleuse, eilte zu Samuel, packte ihn am Arm, versuchte ihn hochzuheben, aber es wollte ihr nicht gelingen. Alle seine Muskeln waren tiefenentspannt, sodass er sich anfühlte wie ein toter Aal. Die Krankenschwester schaffte es nicht, ihn wieder auf sein Bett zu heben.

      Samuel drehte sich auf den Rücken. So lag er nun vor der Schwester auf dem Fußboden, lachend, tränenüberflutet, glücklich. Er hielt seine Hände vor sein Gesicht und lachte, wie er noch nie zuvor gelacht hatte. Es war ein erleichterndes Gefühl, er hatte keine Schmerzen, fühlte sich erstklassig und flog im Geiste durch den Raum. Die besorgte Krankenschwester beachtete er nicht. Er fand sie hässlich. Noch ein Grund mehr, vergnügt zu sein.

      Mittlerweile hatten sich weitere in Plastikfolie verpackte Männer hinzugesellt. Gemeinsam versuchten sie, das zappelnde Etwas vom Boden aufzuheben, doch Samuel strampelte sich immer wieder frei. Je mehr Männer versuchten ihn festzuhalten, desto mehr musste er darüber lachen.

      Er fand alles lustig, die Schwester von unten zu betrachten, ihre hässlichen Schuhe, die Frischhaltefolie, in die sie eingewickelt war, die seltsame Gesichtsmaske und die Panik, die ihr ins Gesicht geschrieben stand.

      Mittlerweile hatten es die Männer geschafft, alle seine Gliedmaßen einzufangen und festzuhalten. Samuel konnte sich nun nicht mehr wehren. Sie hoben ihn an allen Vieren und am Körper hoch und legten ihn zurück auf sein Bett, das er komplett mit Urin durchtränkt hatte. Leider war sein Urin geflossen wie Sturzbäche, auch dies war vermutlich die Wirkung seiner Lachattacke.

      Er war nicht bösartig, er schlug nicht um sich, aber er hatte es den Ärzten, Pflegern und Schwestern schon recht schwer gemacht, ihn einzufangen und festzuhalten. Und nun rochen sie alle nach Urin. Samuel fand auch dies sehr belustigend.

      „Samuel, komm zur Vernunft. Was ist bloß in dich gefahren?“

      Er konnte nicht erkennen, aus welchem Plastikanzug diese Worte kamen, also sprach er einfach in den Raum hinein.

      „Ihr seid wirklich klasse. Ich kann nicht aufhören, über euch zu lachen. Ihr seid Schießbudenfiguren. Ihr seht zum Totlachen aus in euren kosmischen Anzügen. Schwitzt ihr nicht darin? Lasst mir doch meinen Spaß, vielleicht bin ich morgen schon tot. Dann seid ihr mich endlich los.“

      „Beruhige dich.“

      Sie hielten ihn fest, sodass er nicht mehr zappeln konnte.

      „Wir müssen dich am Bett festbinden, wenn du nicht aufhörst, um dich zu schlagen.“

      „Aber ich schlage doch niemanden. Habe ich mich etwa bepinkelt?“

      „Ja, ziemlich. Wir müssen das Bett sauber machen. Stell dich bitte hin, damit wir die Kleidung wechseln können.“

      Samuel versuchte, sich in den Griff zu bekommen. Er kletterte aus dem Bett, hielt sich am Fußende fest und atmete ein paarmal durch. Der Lachzwang verflog gerade ein wenig. Vielleicht war dies das letzte Mal, dass Samuel so herzlich gelacht hatte.

      Die Wirkung des THC aus den Zauberkeksen verflog gerade. So schnell, wie sie eingesetzt hatte, verpuffte sie auch wieder. Er fand es sehr schade, denn das schwebende Gefühl war sehr angenehm gewesen. So viel lachen zu müssen war auch sehr anstrengend. Im eigenen Urin liegen zu müssen war allerdings alles andere als angenehm. Es war ihm vor allem ziemlich peinlich.

      „Bekomme ich ein neues Bett?“

      „Wir können dich ja schlecht in deine Urinpfützen legen. Ja, du bekommst ein anderes Bett.“

      Die Schwestern und Helfer, die um sein Bett herum versammelt waren, begannen damit, das Laken zu tauschen, stellten aber fest, dass der Urin nicht nur oberflächlich auf dem Bett lag, sondern auch in die Matratze eingezogen war. Auch diese mussten sie tauschen. Also beschlossen sie, gleich das gesamte Bett auszutauschen.

      „Wir bringen ihm ein neues. Es macht keinen Sinn, nur Teile zu tauschen. Fahrt es hinaus.“

      Sofort fuhren zwei Pfleger das Bett aus der Quarantänestation und brachten es auf den Flur des Krankenhauses. Kurze Zeit später kamen sie mit einem frisch bezogenen Bett wieder ins Zimmer und schoben es in den Folienwürfel.

      „Oh, vielen Dank. Nun möchte ich aber auch einen neuen Schlafanzug, und duschen wäre auch nicht schlecht.“

      „Sonst noch was, vielleicht noch etwas Lachs zum Abendbrot?“

      „Oh ja, Lachs wäre prima. Mit Meerrettich, auf Toast mit Butter bitte.“

      „Sieh zu, dass du dich wieder ins Bett legst. Und bitte nässe es nicht gleich wieder ein.“

      Der Mann in Plastik hielt ihm ungeduldig einen frischen Schlafanzug hin.

      „Aber bitte erst duschen.“

      Dies war wirklich eine gute Idee. Dankbar nahm Samuel den Schlafanzug entgegen und ging in die Dusche. Hierbei war wirklich interessant, dass sich die Dusche außerhalb der Quarantänehülle befand.

      Schnell duschte er und trocknete sich ab. Dann zog er sich den frischen Schlafanzug an und ging wieder in sein Bett.

      Samuel merkte gerade, dass er den Bogen doch ein wenig überspannt hatte. Wieder begann er zu glucksen und zu kichern. Erneut schossen Tränen in seine Augen. Das Fachpersonal konnte sich absolut nicht erklären, warum er so fröhlich war. Sie schüttelten nur mit ihren Köpfen. Niemals wären sie auf die Idee gekommen, dass der Grund der Freude direkt neben ihnen im Nachttisch zu finden war.

      Und niemals hätte er es ihnen verraten. Sollten sie doch weiterhin glauben, dass das Virus, das ihm gerade das Hirn zerfraß, daran schuld war.

      Sie sahen aber auch wirklich komisch aus in ihren Plastikanzügen mit den verschwitzten Scheiben vor dem Gesicht. Ob sie tatsächlich glaubten, die Plastikfolie könne sie vor dem Virus schützen?

       Da habe ich euch ganz schön zum Schwitzen gebracht, was, Leute? Danke für das neue Bett, es war eh schon ziemlich verknittert.

      Wie nicht anders zu erwarten war, übermannte ihn erneut der Schlaf, und er konnte sich wieder nicht dagegen wehren. Schlagartig, als hätte ihm jemand mir einer Bratpfanne betäubt, ließ er sich fallen und begann zu schnarchen. Ein Teil in seinem Kopf blieb jedoch wach, und dieser gewann den Eindruck, er würde sich selbst beim Schlafen zusehen. Es war durchaus unheimlich, denn er hatte den Eindruck, er würde um seinen Körper herum schweben. War er schon tot? Nein, das konnte nicht sein, denn der Körper, den er gerade ansah, bewegte sich noch. Er konnte also nicht tot sein. Oder hatte jemand anderes den Körper bewegt? Es war jedoch keine weitere Person im Zimmer zu sehen, somit musste er wohl noch leben. Außerdem kann man sich nicht selbst beim Schlafen