André Schaberick

Der Tod ist mein Freund


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Es sind diverse Spiele installiert. Du kannst dich darauf austoben.“

      „Danke, das ist nett.“

      Sicher würde das Tablet nach der Benutzung durch Samuel vernichtet werden, oder es würde in der Mikrowelle verenden, wo sie die Viren grillen würden.

      Viren - diese kleinen Biester, die niemand sehen konnte. Warum gab es so etwas bloß? Warum hatte sich Mutter Natur so etwas ausgedacht?

      Dann zog die Schwester ein Ladegerät aus ihrer Tasche.

      „Du kannst es hiermit aufladen. Du kannst auch über das Tablet mit deinen Eltern sprechen. Es ist Whatsapp und Skype installiert. Auch Threema findest du dort. Sicher haben deine Eltern dies auf dem Smarty. Du kannst sie auch darüber anrufen, wenn dir danach ist. Und wenn du sie in der Nacht anrufst, funktioniert es auch. Ich habe mit ihnen gesprochen. Sie sind immer für dich da. Wirklich immer. Ruf sie an. Reden mit vertrauten Personen ist immer ein großer Trost.“

      Die Schwester war wirklich nett. Am liebsten hätte Samuel sie dort behalten. Sie sah auch noch verflucht hübsch aus unter ihrer Plastikfolie. Sie war sicher kaum älter als fünfundzwanzig Jahre, ein wenig älter als er, aber das machte ihm nichts aus. Ältere Mädchen haben mehr Erfahrung. Nur, würde er seine Erfahrung jemals wieder brauchen? Vorher streckte ihn sicher das Virus nieder.

      In seiner Fantasie packte er sie aus der Frischhaltefolie aus und vernaschte sie. Durch die Folie jung gehalten alterte sie nicht. So machte es nichts, dass sie älter war als er. Die Frischhaltefolie glich alles aus. Samuel fantasierte sich in eine Rolle als Retter. Sie war gefangen in einem Spinnennetz aus Plastikfolie. Sie konnte sich nicht bewegen, sie saß in einem Kokon gefangen. Doch Samuel kletterte über das Spinnennetz und passte auf, dass er nicht an den Klebfäden hängen blieb. Mit seinem Messer schnitt er systematisch alle Klebfäden durch. Die Spinne, die das Netz peinlichst genau bewachte, fiel plötzlich auf den Fußboden und war tot. Er warf noch sein Messer nach der Spinne und traf ihren Kopf. Nun war sie toter als tot. Mausetot.

      Aber er hatte nun kein Messer mehr, mit dem er das hübsche Mädchen aus dem Netz retten konnte. Aber ihm fiel natürlich eine List ein. Er war in der Lage, mit seinen Schneidezähnen die Spinnenfäden durchzubeißen. Und so konnte er das Mädchen retten. Er biss alle Fäden durch, die das Mädchen gefangen hielten.

      Wie schön war doch die Fantasie. Das Krankenzimmermädchen kam plötzlich - leider immer noch in Folie verpackt - in sein Zimmer und brachte ihm etwas zu trinken. Ob sie vielleicht nur einen Vorwand suchte, um ihn zu besuchen? Vielleicht mochte sie ihn auch, und sie fühlte sich ziemlich eingeengt in ihre Folie. Am liebsten hätte sie vermutlich die Folie sofort wieder ausgezogen, um sich in ihrer wahren Pracht zu präsentieren. Aber leider musste sie so hässlich verpackt zu Samuel gehen.

      „Danke für den Tee.“

      Samuel rief es so laut, dass sie es in ihrem Folienanzug hören musste.

      Das Mädchen ging auf Samuel zu, nahm seine Hand, streichelte sie und hielt sie schließlich fest, ohne etwas zu sagen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie schließlich ihr Schweigen brach.

      „Samuel, ich bin so unsagbar traurig darüber, was hier gerade mit dir geschieht. Am liebsten würde ich sofort aus der Folie steigen und dich in den Arm nehmen. Am liebsten würde ich...“

      Samuel schaute in ihr Gesicht.

       Hat sie wirklich eine Träne in den Augen?

      Und da flog die Tür auf. Schon wieder kam jemand mit etwas herein. Diesmal war es etwas zu essen. Die Person stellte einen Teller, der mit einem Deckel abgedeckt war, in seinen Würfel. Samuel konnte nicht erkennen, ob die Person männlich oder weiblich war. Aber es interessierte ihn auch nicht wirklich, denn das nette Mädchen in Folie interessierte ihn viel mehr.

      „Wie heißt du?“

      „Samira. Oh, es tut mir leid, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Ich weiß wie du heißt, aber du weißt nicht, wie ich heiße. Ach was, jetzt weißt du es ja.“

      Samira wirkte ziemlich verlegen, Samuel merkte es sofort. Sicher war sie in ihn verliebt. Zumindest glaubte Samuel, dass sie es war. Nein, eigentlich war er sich sicher.

      Samuel versuchte, eine verführerisch angehauchte Stimme zu benutzen.

      „Samira ist der schönste Name, den ich je in meinem Leben gehört habe. Woher stammt der Name?“

      „Er ist arabisch. Er bedeutet aus dem Himmel fließendes Wasser.

      „Das ist wunderschön. Bist du auch arabischer Herkunft?“

      Schnell ergriff Samuel Samiras Hand und hielt sie fest.

      „Wenn ich das hier alles überlebt habe, möchte ich dich gern ohne diese ganze Folie kennenlernen. Ich möchte wissen, wie hübsch du bist.“

      Samira errötete in ihrem Schutzanzug. Samuel konnte es sofort erkennen, denn ihr Visier beschlug plötzlich ein wenig. Für Samuel war dies ein eindeutiges Zeichen, dass sie ihn gern hatte.

      „Samira, versprich mir, dass wir gemeinsam etwas unternehmen, wenn ich wieder gesund bin.“

      Nun beschlug Samiras Visier noch mehr.

      „Das darf ich nicht.“

      „Warum darfst du das nicht?“

      „Das kann ich dir nicht sagen. Das darf ich nicht.“

      Samuel ließ sie nicht los.

      „Samira, wenn ich Pech habe, lebe ich nur noch ein paar Tage. Wenn ich Glück habe, werde ich das Virus überleben und habe dann die Chance, dich kennen zu lernen. Wenn ich sterbe, habe ich einen letzten Willen. Und der ist, dich als Freundin zu haben. Denselben Wunsch habe ich aber auch, wenn ich weiterlebe. Deine Augen haben so eine unglaubliche Ausstrahlung, dass ich schmelzen würde, wenn ich es könnte.“

      Samira wusste nicht mehr, was sie sagen sollte. Sie war völlig perplex. Sie war traurig und glücklich zugleich. Sie war traurig, weil sie wusste, dass Samuel sterben könnte. Und sie war glücklich, weil ihr noch nie jemand so etwas Schönes gesagt hatte. Dieser Kerl im Krankenbett hatte es geschafft, sie mit Worten um den Finger zu wickeln. Bisher hatte sie immer nur Zwang, Druck, Prügel und Gewalt kennengelernt. Und dieser Kerl dort im Bett war so liebenswürdig. Könnte sie ihn doch bloß retten. Samira hatte sich tatsächlich gerade in ihn verliebt.

      Doch nun musste sie gehen und ihn allein lassen. Ihre Pflicht rief sie zu anderen Tätigkeiten. Sicher würde sie jede ihr zur Verfügung stehende Gelegenheit nutzen, um Samuel zu besuchen. Doch sie wusste, wie hart es werden würde, würde er sterben. Sie befürchtete, dass ihre Seele mit ihm sterben würde.

      Samuel erkannte die Hoffnungslosigkeit seiner Situation und versuchte irgendwie, die Zeit tot zu schlagen. Die meiste Zeit verbrachte er deshalb damit, zu schlummern oder richtig zu schlafen. Allerdings war dies gar nicht so einfach, denn schlafen kann man nur, wenn man richtig müde ist.

      Die Medikamente, die er bekam, um das Virus zu bekämpfen, sollten eigentlich seinen Körper stärken. Doch er hatte das Gefühl, man würde ihm lediglich Schlafmittel verabreichen, damit er bloß schnell ins Gras biss.

      Auf sein Tablet, das er in langweiligen Zeiten nutzen sollte, konnte er sich nicht konzentrieren. Ihm fielen immer wieder die Augen zu, und er versank in einer Traumwelt.

      Doch erneut wurde er aus seiner Welt gerissen. Es hatte an der Tür geklopft, und er stand fast senkrecht im Bett. Eine Schwester – natürlich in Folie gepackt - trat mit einem kleinen Rollwagen ein und brachte etwas zu essen. Sicher war es Samira, die sich nicht traute, etwas zu sagen.

      Sie war - wie zuvor Samira auch - in Frischhaltefolie eingepackt und hatte dieselben Proportionen, wie Samira. Sie musste es sein. Samuels Herz schlug plötzlich einige Takte schneller.

      Während sie sich bewegte, raschelte es fortwährend. Warum hatten sie bloß keine Folie benutzt, die weniger raschelt?

      Das Mädchen öffnete die Virensperre zu Samuels Bett. Sie bewegte sich anders als