André Schaberick

Der Tod ist mein Freund


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Schön, dich wieder unter uns zu haben. Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht, denn du hattest einen Herzstillstand. Wir hatten befürchtet, dass du nicht mehr aufwachen würdest, doch plötzlich bist du wieder wach und erweckst den Eindruck, als wäre nichts gewesen.“

      Der Arzt nahm Samuels Hand und hielt sie fest.

      „Wir haben dich reanimiert und hoffen, dass es keine Folgen nach sich zieht. Fühlst du dich gut?“

      „Ja, alles prima. Ich war tot? Richtig mausetot?“

      „Ja, das warst du. Unser Problem war, dass dein Herz anfangs nicht wieder anspringen wollte. Es war bockig. Aber dann haben wir gewonnen.“

      „Höchst erfreulich, sonst wäre ich jetzt wohl hinüber.“

      Der Arzt sagte nichts, doch seine Mimik bestätigte Samuel seine Vermutung.

      „Du hattest sehr viel Glück. Dein Körper hat sehr schwer damit zu kämpfen, deine Viruserkrankung auszukurieren.“

      „Ein Virus? Was für ein Virus? Habe ich eine Grippe?“

      „So etwas Ähnliches, nur viel schlimmer, deshalb tragen wir die Schutzmasken.“

      Erst jetzt realisierte Samuel, dass er nicht mehr vor dem Eingang zum Verlies des Schlosses in der schönen Natur bei den kleinen Zwergen stand, sondern dass er in einem tristen Krankenhauszimmer in einem ebenso tristen Bett lag. Er war wieder wach. Leider war alles nur ein Traum gewesen, in den er am liebsten wieder zurückgegangen wäre. Leider funktionierte das nicht auf Kommando.

      Und anstatt sich von nackten Tänzerinnen verwöhnen zu lassen, bekam er Medikamente und Aufbaupräparate in die Adern gepumpt, sodass er wieder über mehr Abwehrkräfte verfügte.

      „Samuel, du bist nur ganz knapp dem Tod entronnen, nicht nur wegen des Herzstillstandes, den du hattest. Du trägst das sogenannte Zika-Virus in dir.“

      Der Arzt schob sich die Lesebrille vor die Augen und las in den neuesten Laborberichten, die er auf seinem Klemmbrett mit sich führte.

      „Es kann auf dein Gehirn übergehen und dort erheblichen Schaden anrichten. Dies müssen wir unter allen Umständen verhindern. Bei Menschen mit einem schwachen Abwehrsystem kann es zum Tod führen. Wir sind aber davon überzeugt, dass du ein sehr gutes Abwehrsystem hast. Dennoch ist dies kein Grund zum Aufatmen. Wir müssen das Virus sehr ernst nehmen. Dieses verfluchte Virus ist in Brasilien besonders häufig anzutreffen. Es wird durch Sex, aber auch durch Mücken übertragen. Auf welche Weise du es dir eingefangen hast, ist irrelevant. Ob du dort Sex hattest, oder ob du bloß von einer infizierten Mücke gestochen wurdest, führte zum selben Ergebnis. Du trägst jetzt das Virus in dir.“

      „Ich hatte keinen Sex. Also muss es eine verdammte Mücke gewesen sein. In jedem Urlaub werde ich von Mücken gestochen. Aber noch keine hat mich mit einem Virus infiziert. Dämliche Mistviecher! Kann ich denn nicht dagegen geimpft werden?“

      „Nein, leider nicht. Wir können dich nicht gegen etwas impfen, was sich bereits in deinem Körper befindet. Dein Körper weiß mit dem Virus nichts anzufangen. Hätten wir dich vor deinem Urlaub geimpft, hätte dein Immunsystem Abwehrkräfte dagegen entwickeln können, ohne dass Schaden entsteht. Aber nun ist ein aktives Virus in dir, und das kann weiß Gott erheblichen Schaden anrichten. Impfen wäre jetzt sinnlos. Zudem existiert auf dieser Welt noch kein Serum.“

      Samuel verlor sämtliche Farbe aus dem Gesicht.

      „Muss ich jetzt sterben?“

      „Wir werden alles tun, um dies zu verhindern. Aber wir können nichts garantieren. Du und dein Körper, ihr müsst dagegen ankämpfen, egal mit welchen Mitteln. Ein Virus ist verflucht klein. Ich hoffe, dein Immunsystem findet es und entwickelt eine Abwehrstrategie.“

      Samuel schossen plötzlich Tränen in seine Augen.

      „Scheiß Aussichten! Ich will noch nicht sterben!“

      „Wir würden dir so gerne helfen, aber die Natur ist manchmal sehr unbarmherzig. Kämpfe! Kämpfe dagegen an. Dein Körper muss es selbst besiegen.“

      Menschen in Schutzkleidung kamen in sein Krankenzimmer gelaufen. Völlig verstört betrachtete Samuel die unwirklich wirkenden Gestalten. Sie räumten die weiteren Betten und Nachttische aus dem Zimmer und bauten eine Quarantänestation auf. Es dauerte nur ein paar Minuten, und schließlich befand sich ein riesiger Kleiderschrank aus durchsichtiger Plastikfolie im Raum, der ihn hermetisch von der Außenwelt abschirmen sollte. Anschließend schoben sie ihn in diesen Würfel und schlossen Luftschläuche daran an, die mit einem Filter verbunden waren.

      „Was soll das? Warum tun Sie das? Bin ich etwa eine Gefahr für die Menschheit? Ich bin doch nur ein Junge, der in Brasilien im Urlaub war. Ich habe keine Seuche!“

      „Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Wir wissen nicht, wie gefährlich das Virus ist, das du in dir trägst, und wir wissen auch nicht, wie ansteckend es ist. Schwache Menschen, die sich hier im Krankenhaus befinden, könnten vom Virus befallen werden und sterben. Diese Menschen müssen wir schützen. Deshalb bauen wir eine Quarantänestation um dich herum auf.“

      Samuel hörte diese Worte, als kämen sie aus einem langen Tunnel. Alles wirkte so fremd. Er hatte das Gefühl, er wäre das Virus, er müsse bekämpft werden. Niemand beachtete seine Gefühle, niemand interessierte sich dafür, was gerade in seinem Kopf vorging.

      Während er gegen seine Tränen kämpfte und den Tod schon vor Augen hatte, verließen die Ärzte das Zimmer. Er wurde samt Bett und den elektronischen Geräten in den Würfel eingeschlossen. Dass sie ihn nicht noch mit dicken Ledergürteln ans Bett gefesselt hatten, war alles. Am liebsten hätten sie sicher auch dies getan.

      Von außen zogen sie die Folientür zu, sodass kein Virus mehr herauskommen und andere Menschen infizieren konnte.

      Ein Lautsprecher, den er zuvor gar nicht wahrgenommen hatte, gab plötzlich ein quäkendes Geräusch von sich.

      „Samuel, kannst du uns hören?“ Das Ding hörte sich an wie ein Kofferradio.

      „Ja, ich höre euch.“

      „Das ist gut. Wir haben diesen Lautsprecher in dein Zimmer gestellt, damit du mit uns reden kannst. Darin ist auch ein Mikrofon untergebracht, sodass wir immer hören können, was du uns sagen möchtest.“

      Na prima, er wurde jetzt auch noch belauscht. Er musste ab sofort aufpassen, was er sagte, wie er fluchte und was er sonst noch so von sich gab. Alles konnten die Ärzte hören. Vielleicht sollte er das Ding ausstöpseln, während er schlief. Es konnte nur peinlich werden.

      „Wenn du mit deinen Familienangehörigen sprechen willst, musst du nur losreden. Du musst keine Taste drücken. Wir hören dich, sobald du etwas sagst. Wir werden sofort deine Eltern informieren, sobald du sie sehen willst.“

      „Das ist schön. Ich freue mich, so einen tollen Lautsprecher in meinem Schlafraum zu haben.“

      Mit seinen Familienangehörigen durfte er nur noch über Monitore kommunizieren. Sie wurden komplett von ihm fern gehalten. Auch die Ärzte, die ihn behandelten, trugen spezielle Schutzanzüge, die absolut virendicht waren.

      Hast du irgendwelche Wünsche? Möchtest du, dass wir dir etwas bringen, was die Langeweile vertreibt?“

      Dieser quäkige Lautsprecher wusste tatsächlich, was ihn am meisten bedrückte. Es war die Langeweile. Wie sollte er es so lange aushalten, ohne persönliche Kontakte zu pflegen? Was wäre, wenn er kurz vor dem Tod stünde? Würde man seinen Eltern dann erlauben, an sein Bett zu treten, oder müssten sie über einen Fernseher mit ihm reden? Würden sie ihn bis zu seinem Tod nicht mehr berühren, ihn streicheln, ihn in den Arm nehmen? Samuel fühlte sich gerade, als sei er schon tot.

      Eine Krankenschwester kam - wie sollte es auch anders sein - in Plastikfolie verpackt in sein Zimmer und öffnete die Schleuse an seinem durchsichtigen Plastikwürfel. Sie hatte sichtlich Angst vor seinem Virus, aber sie versuchte, so gut es ging, diese zu überspielen. An ihren vorsichtigen Bewegungen konnte man jedoch ablesen, dass ihr die Panik ins