André Schaberick

Der Tod ist mein Freund


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„hi“, oder „hey, Alter“. Vielleicht „check die Kralle“? „Nice to see you“? Englisch zu reden war „in“.

      „Samira?“

      „Doch sie reagierte nicht. Es musste eine andere Krankenschwester sein, die eine ähnliche oder gleiche Figur hatte.

      „Wo möchten Sie essen? Im Bett oder am Tisch?“

      Sie siezte ihn.

      „Stellen Sie es bitte auf den Nachttisch. Ich möchte im Bett essen.“

      Samuel hatte einen Tisch im durchsichtigen Glaswürfel stehen. Aber er bevorzugte es, im Bett zu essen. Er fühlte sich zu schwach, um sich an den Tisch zu setzen. Und da es nicht die richtige Krankenschwester war, hatte er keinerlei Motivation, sich auch nur irgendwie zu bewegen. Sie zog gekonnt mit einer Hand die Tischplatte nach oben, klappte sie herunter und stellte das Essen darauf ab. Dann schob sie Samuel den Nachttisch so neben das Bett, dass sich die Tischplatte direkt vor ihm befand.

      „Danke.“

      „Guten Appetit. Lassen Sie es nicht kalt werden.“

      Ohne auf eine Antwort zu warten drehte sie sich um und verließ ihn. Es war definitiv die falsche Schwester.

      Samuel hob neugierig den Deckel hoch, der auf dem Teller lag, um das Geheimnis zu lüften, das sich hoffentlich darunter verbarg. Ein undefinierbarer Geruch strömte ihm entgegen. Und es war kein Geheimnis, es sah eher nach einer Enttäuschung aus. Das Essen bestand aus einer strengen Diät. Reis, Suppe, verkochtes Lauch. Irgendwas Grünes. Wo war die Soße? Es gab keine. Fleisch? Fehlanzeige, nirgends versteckt oder vergraben. Warum bekam er eine Diät? Sollte er abnehmen?

      „Hmmm, lecker. Da kann ich auch trockenes Brot und Wasser bestellen, schmeckt bestimmt besser. Eine Diät ist doch Unsinn. So was bringt doch keine Erleichterung, wenn ich sowieso zum Tode durch das Virus verurteilt bin. Gebt mir doch als Henkersmahlzeit etwas Vernünftiges zu essen, und nicht so einen Möhrenkram. Ich brauche Kalorien, ich bin jung und schlank, nicht alt und fett!“

      Samuel schob mit der Gabel das Essen auf dem Teller hin und her, fand aber nichts Besseres darin, als das, was er bereits zu Gesicht bekommen hatte.

      „Kann ich wenigstens ein gekochtes Ei bekommen? Oder ein Spiegelei? Spinat mit Rahmsoße? Leberkäse? Vielleicht ein Steak?“

      Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass die Krankenschwestern alles hörten. Schließlich hatte man ihm gesagt, dass ein Mikrofon in dem Lautsprecher war.

      „Upps, peinlich. Aber wenn ihr schon mithört: Gibt´s denn was Anderes als dieses Diät-Futter?“

      Es kam keine Antwort aus dem Lautsprecher. Scheinbar wurde er gar nicht rund um die Uhr überwacht. Das hatte man ihm wahrscheinlich bloß gesagt, um ihn zu beruhigen.

      „Hallo?“

      Noch immer keine Antwort. Sie hatten ihn schlichtweg vergessen, abgeschoben, abgeschrieben.

      „Sauerei!“

      „Wie können wir dir helfen?“ Plötzlich kam doch eine kratzende Stimme aus dem Lautsprecher.

      „Ach, ich habe nur laut gedacht. Ist nichts.“

       Vielleicht ist die Krankenschwester einfach nur viel unterwegs und hat nicht immer Zeit, mir zuzuhören. Wäre Samira im Einsatz, wäre das sicher nie passiert. Sie würde mir bestimmt ständig zuhören und jeden Wunsch erfüllen, da bin ich mir sicher.

       Werden Vegetarier nicht von Viren getötet?

       Vielleicht hat diese Diät ja doch einen Sinn. Aber das kalorienarme Essen trägt doch sicher nur dazu bei, dass ich noch weniger Kräfte habe.

       Möglicherweise wollen die Ärzte ja genau das erreichen, um mich schneller los zu werden. Schließlich bringt ein Virenpatient nicht so viel Geld in die Kassen, wie beispielsweise ein Krebspatient, den man mit allerlei überflüssigen Behandlungen und Präparaten traktieren kann. Ich wiederum liege ja nur mit einer dicken Folie um mich herum im Bett. Die Folie hatten sie bestimmt nur um mich herumgebastelt, damit die wertvollen anderen Patienten ihnen nicht unter den Händen wegsterben. Sie sollen sich nicht auch noch anstecken und sterben. Mir können sie keine teuren Medikamente geben, da es keine gibt, die gegen das Zika-Virus helfen.

      Samuel hielt es für wesentlich sinnvoller, möglichst viel zu schlafen. Beim Schlafen ging die Zeit schneller vorbei, und sein Körper konnte sich so viel besser darauf konzentrieren, gegen das Virus zu kämpfen.

      Im selben Moment, wie er darüber nachdachte, viel zu schlafen, übermannte ihn der Schlaf. Völlig bewegungslos lag er mehrere Stunden im Bett. Als er wieder aufwachte, stellte er enttäuscht fest, dass er weder einen schönen Traum noch sonstige aufbauenden Fantasien gehabt hatte. Gegen seine negativen Gedanken erinnerte er sich an einen Traum, den er eine Nacht zuvor gehabt hatte. Wie schön war es doch in der grünen Natur bei den kleinen Zwergen gewesen. Sie hätten sicher eine Medizin gehabt, die gegen das böse Zika-Virus gewirkt hätte. Sie hatten sehr gebildet ausgesehen.

      Als er nach rechts auf seinen Nachttisch schaute, erinnerte er sich daran, dass sein bester Freund ihm etwas Gras in Kekse eingebacken geschenkt hatte. Samuel hatte noch lange nicht alles davon verbraucht. Es war noch genug übrig, um ein paar Tage high zu sein.

       Frank ist echt ein netter Kerl. Niemand wird es entdecken, da wette ich drauf. Ich kann es ganz in Ruhe genießen, bis ich selbst ins Gras beiße. Ich sollte noch einen essen, dann verschwinden bestimmt diese verfluchten Schmerzen. Dämliches Virus. Beim letzten Keks waren die Schmerzen auch verschwunden, es funktioniert bestimmt noch einmal. Und ein paar nette, schöne Träume gibt es gratis oben drauf. Also rein mit den Dingern!

      Vorsichtig hob er ein Bein aus dem Bett und stellte sich damit auf den Fußboden. Als er merkte, dass er ohne zu schwanken stehen konnte, stellte er seinen zweiten Fuß daneben. Er drehte sich in Richtung seines Nachttisches, öffnete die Schublade und holte die Tüte mit den Keksen hervor. Niedliche, kleine Herzen hatte sein Freund ihm gebacken. Sie sahen wirklich schön aus, sicher hat er sie mit Liebe zubereitet. Sie schmeckten ein wenig ungewöhnlich, aber dennoch gar nicht schlecht. Das Gras konnte man ganz klar herausschmecken. Aber es ging ja niemand an seine Kekse, warum sollte es dann auffallen? Zwanzig Kekse befanden sich noch in der Tüte. Er hatte sie mehrere Male gezählt, damit er immer wusste, wie oft er noch einen kleinen Rausch bekommen konnte. Ob wohl ein einziger Keks ausreichen würde, um sich erneut in eine Traumwelt zu befördern? Er beschloss, einen zu verzehren und steckte sich einen in den Mund. Dann kaute er genüsslich darauf herum. Sofort schmeckte er das typische Gras-Aroma. Mit der Zunge zerrieb er den Keks unter dem Gaumen, um möglichst schnell möglichst viel THC über die Schleimhäute aufzunehmen. Er wollte nicht so lange warten, bis sein Magen diese Tätigkeit für ihn verrichtete, also hielt er den Keksbrei so lange es ging im Mund.

      Der Wirkstoff löste sich aus dem Mehl-Zucker-Backtriebmittel-Gemisch heraus und begann, seine Arbeit zu verrichten. Es schien dem Wirkstoff gut zu gelingen. Schon spürte er das erleichternde Gefühl, das sich in seinem ganzen Körper breit machte. Ein Kribbeln, ein Summen, ein unbeschreibliches Brausen jagte durch seine Adern. Fast konnte er es als Schwerelosigkeit beschreiben.

      Samuel musste plötzlich völlig grundlos grinsen. Schnell legte er sich wieder in sein Bett und zog die Decke über sein Gesicht. Doch der Drang zu lachen wurde immer heftiger. Was sollten die Ärzte von ihm denken, wenn ein Todgeweihter plötzlich anfing, laut zu lachen anstatt zu weinen. Sie hielten ihn vermutlich für verrückt. Vielleicht würden sie es auf die Wirkung des Virus schieben, oder darauf, dass seine Gefühlswelt völlig durcheinander war, weil er sich darüber bewusst wurde, dass er bald sterben würde. Gut, dass niemand wusste, dass der Keks die Ursache für seine extrem gute Laune war.

      Samuel war sich sicher, dass Frank es wirklich gut mit ihm gemeint hatte, denn er hatte die Dosierung sehr hoch angesetzt. Das Kribbeln wurde stetig stärker, nun spürte er seine Füße nicht mehr. Anschließend verschwanden seine Hände, bis er das Gefühl hatte, Flügel auf dem Rücken zu haben. Er musste lachen und versuchte, es zu unterdrücken. Es gelang