André Schaberick

Der Tod ist mein Freund


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entschlossen, sich nicht verführen zu lassen, ging er den weiten Weg zurück zu den Tänzerinnen.

      „Wo bin ich?“

      Sie sahen ihn an, als würden sie nicht ein Wort verstehen. Gerade hatten sie doch noch in seiner Sprache gesprochen und ihn gerufen, um sie zu verwöhnen. Jetzt sprachen sie eine andere, völlig fremd klingende Sprache, von der Samuel nicht ein einziges Wort verstand.

      Kurz hielten sie inne mit ihren Streicheleinheiten, doch als sie merkten, dass Samuel sie nicht verstand, setzten sie ihr Liebesspiel fort. Schlimmer noch, sie ignorierten ihn.

       Gut, die sexbesessenen Weiber bin ich los. Schade eigentlich, irgendwie ist es doch interessant, was sie da treiben. Vielleicht hätte ich doch mitmachen sollen.

      Mit einem Lächeln auf dem Gesicht zog er sich in den dunklen Gang zurück. Doch was war das? War da was? Waren das Schritte? Er hörte etwas, das sich tatsächlich wie Schritte anhörte. Die Geräusche kamen jedoch ziemlich aus der Ferne.

       Verflucht! Aus welcher Richtung kam das Geräusch? Es ist zu leise, um es zu orten, aber definitiv waren es Schritte. Ich muss hier weg!

      Das Klackern klang ziemlich metallisch, als würde ein Stepptänzer über einen Steinboden laufen. Kamen sie von vorn? Kamen sie von hinten? Als er genau hinhörte, identifizierte er nicht nur eine Person, sondern mehrere. Es mussten mindestens fünf Männer sein. Anhand der Schrittlänge wusste er genau, dass es Männer waren. Er vermutete, dass es Soldaten waren, die in Ritterrüstungen Patrouille liefen. Das klappernde Geräusch passte exakt zu dem Geklapper, das die zerfallene Rüstung soeben von sich gegeben hatte. Vielleicht hatten sie den Lärm gehört und kamen deshalb den Gang entlang, um nachzusehen, ob alles in Ordnung war.

      Dass es sich bei den Personen um Männer handelte, bestätigte sich nun. Sie unterhielten sich miteinander, und Samuel konnte deren Stimmen eindeutig als männlich identifizieren. Jedoch konnte er auch bei ihnen die Sprache nicht verstehen. Sie klang - wie auch bei den nackten Mädchen - völlig fremdartig. Noch nie hatte er etwas ähnlich Klingendes gehört.

       Wohin soll ich flüchten? Besonders viel Auswahl bleibt mir nicht.

      Nirgends gab es einen Schlupfwinkel, wo er sich hätte unsichtbar machen können. Weglaufen war zu riskant, schließlich wusste er nicht, aus welcher Richtung sie kamen. Der Schall kam jetzt von überall. Genauso gut hätte er ihnen direkt in die Arme laufen können. Er musste sofort ein Versteck finden, aber wo? Sein Blick suchte sämtliche Möglichkeiten ab. Links, rechts, oben, unten. Nirgends gab es ein Loch, eine Nische oder einen ... einen Raum? Ja, da war ein Raum. Aber darin befanden sich die besagten Tänzerinnen. Was war schlimmer? Getötet werden oder mit den Tänzerinnen ein paar Augenblicke in einem Raum verbringen?

      Pest oder Cholera, dachte er. Schnell sprang er in einen der beleuchteten Räume. Eigentlich war es egal, in welchen er sprang, denn in jedem befanden sich nackte Mädchen. Hoffentlich wollten sie nicht gleich über ihn herfallen. Sein Teufelchen im Kopf sagte:

       Was ist denn schlimm daran, von ein paar Mädchen vernascht zu werden? Spring hinein, du Idiot. Sie werden dich schon nicht auffressen.

      Sein Engelchen sagte jedoch:

       Spring bloß nicht zu den nackten Mädchen ins Zimmer, sie fallen über dich her und zerreißen dich in der Luft. Mit ihren Piranhazähnen werden sie dich zerfleischen und auffressen. Dann endest du als matschige Blutspur an den Wänden.

      Gleich meldete sich wieder das Teufelchen:

      Dir wird schon nichts geschehen, hör nicht auf das Engelchen, denk an den Spaß, den du mit ihnen haben kannst. Wahrscheinlich haben sie sowieso kein Interesse an dir. Sie hatten dich nicht verstanden, und schon hatten sie dich links liegen lassen. Warum sollte das nicht noch einmal funktionieren?

      Doch weit gefehlt. Kaum befand er sich in ihrem Raum, fühlte er sich wie Fischfutter in einem Scharm ausgehungerter Fische. Piranhas? Sie stürmten auf ihn zu, berührten ihn, begrapschten ihn und begannen darüber zu streiten, welches Mädchen als erstes über ihn herfallen durfte.

      Sie schubsten sich gegenseitig beiseite, kratzten, schlugen und bespuckten sich. Einige griffen sogar zu noch biestigeren Waffen: Sie bissen ihre Kontrahentinnen in die Arme, Hände und ins Gesicht. Eine regelrechte Schlacht begann. Das erste Blut floss, Schreie und kreischendes Gebrüll erfüllten den Raum. Haarbüschel fielen auf den Fußboden, Speichel flog durch die Luft. Samuel hatte das Gefühl, er befände sich mitten in einem Rudel Krokodile. Oder Piranhas bei der Fütterung? Also schmiedete er einen Plan. Während die Mädchen sich gegenseitig die Augen auskratzten, nutzte er das Chaos und flüchtete unbemerkt zum Ausgang des Raumes. Vielleicht war die Idee, bei Ihnen Unterschlupf zu finden, gar nicht so gut gewesen. Eine Konfrontation mit den Soldaten wäre vielleicht glimpflicher abgelaufen.

      Als er im dunklen Gang stand, stellte er beruhigt fest, dass es völlig still war. Er hörte weder Schritte noch Stimmen auf ihn zukommen. Vermutlich waren es bloß Wachsoldaten gewesen, die ihre Runden gedreht und zu kontrollieren hatten, ob sich kein ungebetener Gast in den Gängen versteckte. Die streitenden Tänzerinnen hatten sie entweder nicht gehört, oder sie waren es gewohnt, dass sich die Damen gegenseitig bespuckten und die Augen auskratzten.

      Als die Damen jedoch feststellten, dass Samuel geflüchtet war, wurde es erst richtig laut. Wie wilde Tiere begannen sie zu kreischen, zu jaulen und zu fauchen. Samuel stellten sich die Nackenhaare auf. Es hörte sich an, wie ein mit Löwen gefüllter Käfig, in den man ein Schaf geworfen hatte. Sie rannten aus ihrem Raum heraus, doch kaum befanden sie sich auf dem dunklen Flur, kehrten sie um und eilten zurück zu ihrem Raum. Vielleicht hatten sie in der Vergangenheit schon einmal Bekanntschaft mit dem menschenfressenden Monster gemacht? Die Dunkelheit schien ihnen zu gefährlich, um Samuel zu verfolgen. Was noch hinzukam war die Tatsache, dass sie nackt und somit leichte Beute für die Wachsoldaten waren.

      Samuel hatte sich mittlerweile weit genug entfernt und war von der Dunkelheit verschluckt.

      Die Damen war er los, nun gab er sich Mühe, möglichst lautlos über den Boden zu schleichen. Es war nicht ganz einfach, denn er trug Schuhe mit harten Sohlen, die bei jedem Schritt Geräusche verursachten. Er hätte sie ausziehen können, doch dann wäre es gefährlich für seine Füße geworden. Wer weiß, ob hier irgendwo Glas herumlag. Schließlich konnte er ja fast nichts sehen.

      Samuel musste zusehen, dass er mehr Abstand zu den Tänzerinnen gewann. Es schien ihm plötzlich, als würden sie ihn doch noch verfolgen. Ihr Gekreische wurde wieder lauter.

      Während seiner Flucht musste er höllisch aufpassen, denn in so einem dunklen Gang konnte man sehr schnell mit Gegenständen kollidieren, die die Dunkelheit versteckte.

      Samuel hatte Glück. Nichts stellte sich in seinen Weg.

      Nun wurde das Geschrei der Mädchen endlich wieder leiser. Er verspürte ein Gefühl der Erleichterung. Spontan wagte er einen Blick in die weiteren Räume, die links und rechts vom Gang abzweigten. Doch überall sah er nur nackte Haut. Er befürchtete, dass auch diese Damen sofort über ihn herfallen würden, falls sie ihn entdecken würden.

      Das Schlimmste in derartigen Situationen war die eigene Fantasie. Sie konnte einem das Leben schon ziemlich schwer machen. In seiner Fantasie sah er viele Dinge, die gar nicht existierten.

      Samuel ging leise und vorsichtig immer weiter geradeaus. Doch je weiter er ging, desto mehr gewann er den Eindruck, im Kreis zu laufen. Stets wiederholte sich der Anblick. Er hatte keine Zeit, sich die Gesichter der Mädchen einzuprägen. Zu genau durfte er sie sich nicht ansehen, denn dann hätten sie ihn vermutlich sofort entdeckt. Kurz hinschauen und weiterschleichen war seine Devise. Und bloß nicht entdeckt werden.

       Warum sehen die alle gleich aus? Irgendetwas stimmt doch hier nicht. Ich muss versuchen, mir eine von ihnen genauer einzuprägen. Hätten sie doch bloß Kleidung auf ihrem Leib, dann könnte ich mir ein Muster einprägen. Aber die sind alle blond und haben lange Haare. Und ihre Gesichter sehen auch alle gleich aus. Laufe