André Schaberick

Der Tod ist mein Freund


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      „Grääääh“, brüllte Samuel dem Tier hinterher und drohte mit dem Stock, den er hoch in die Luft hielt. Er war sich sicher, dass dieses seltsame Tier nie wieder versuchen würde, seine neuen Freunde anzugreifen. Die Staubwolke wurde immer kleiner, doch plötzlich endete sie abrupt. Hatte es gestoppt? Wollte es etwa umdrehen und wieder angreifen? Nein, Samuel sah, wie es nach oben in Richtung Himmel floh – mit einer unglaublichen Geschwindigkeit. Es konnte tatsächlich fliegen! Samuel war ziemlich überrascht, denn er hatte keine Flügel an dem Tier gesehen. Egal was es darstellte und wie gefährlich es war - Samuel blickte dem ungewöhnlichen Lebewesen hinterher und drohte ihm mit der Faust.

      „Lass dich bloß nicht mehr hier blicken!“

      „Halura, halura, halura!“, riefen die Männlein, fielen auf die Knie und beteten Samuel an. Er hingegen streichelte einem sanft über den Kopf.

      „Ihr müsst euch nicht vor mir erniedrigen. Das ist völlig unnötig.“

      Doch wozu sagte er das? Sie verstanden ihn doch gar nicht. Mit den Händen deutete er an, dass sie wieder aufstehen sollten.

      „Halura halura.“

      Samuel war der Meinung, dass er gerade etwas Positives gesagte hatte und nahm einen von ihnen auf den Arm. Er sah wirklich schnuckelig aus. Sie waren unglaublich süß und einfach nur liebenswürdig. Wäre jemandem von ihnen etwas geschehen, hätte er sich das nie verziehen.

      Samuel hatte ihnen gerade geholfen, einen ihrer größten Feinde zu vertreiben – ohne es zu wissen.

      Der kleine Kerl, den Samuel auf dem Arm hielt, umarmte plötzlich seine Hand. Er küsste sie und steckte sein Gesicht zwischen Samuels Daumen und Zeigefinger. Dann umarmte er die Hand erneut.

      „Kulana pati, a ma tenda finuri.“

      Die Sprache klang wunderbar, aber auch kompliziert.

      „Tari tatangi“, hörte Samuel sich selbst sagen. Er sprach plötzlich ihre Sprache! „Tari tatangi“ hieß so viel wie „gern geschehen“.

      „Was ist denn jetzt passiert? Wieso kann ich plötzlich in eurer Sprache sprechen? Hast du gerade dein Wissen auf mich übertragen?“

      „Jalapo tuti samga muli.“

      „Sei willkommen, großer Freund“, verstand Samuel. Er fühlte sich geehrt und versuchte das gleiche: Er steckte seine Nase zwischen Arm und Körper des kleinen Kerls, was gar nicht so einfach war, denn alles an dem Männlein war ziemlich klein.

      Der kleine Kerl musste sofort lachen, denn scheinbar kitzelte es ihn mächtig. Oder es gab andere Gründe, die er Samuel nicht verriet.

      Dass dies ohne Wirkung blieb, war abzusehen. Natürlich übertrug er auf diese Art und Weise nicht sein Wissen auf ihn. Warum auch? Wenn man so schnell und einfach eine Sprache lernen könnte, könnte dies ja jeder tun. Völlig absurd, so etwas zu glauben.

      „Danke, dass ich jetzt über dein Wissen verfügen darf.“

      Der kleine Kerl verneigte sich höflich.

      Völlig überrumpelt hielt Samuel sich die Hand vor den Mund, riss die Augen auf, staunte und hatte plötzlich Tränen in den Augen. Die Männlein verstanden plötzlich, was er sagte. Oder verstand nur der eine, den er auf dem Arm trug, seine Sprache?

      Das Kerlchen sprang von seinem Arm herunter, stellte sich vor seine Kameraden und brüllte „Katomi songa teribi alta! Sota tamura wundi humalana!“

      Samuel verstand jedes Wort: „Nehmt alle mein neues Wissen! Ihr alle sollt seine Sprache beherrschen!“

      Von dem Moment an sprachen sie alle seine Sprache, und er die ihre. Samuel war völlig überwältigt und hatte schon wieder Tränen in den Augen stehen. Am liebsten hätte er sie alle in den Arm genommen und geküsst.

      Und das tat er dann auch. Vorsichtig nahm er einen nach dem anderen hoch, gab ihm oder ihr einen Kuss und setzte ihn und auch sie wieder auf den Fußboden. Die anderen, die noch nicht an der Reihe waren, lachten, hielten sich ihre Bäuche und purzelten über den Fußboden. Einer von ihnen schämte sich, wischte sich den Kuss ab und lachte. Also küsste Samuel ihn erneut. Diesmal küsste er ihn auf seine grünen Haare.

      „Grrr, lass das, ich weiß ja, dass du mich liebst, aber küss mich nicht!“, rief er und versuchte sich zu befreien. Vorsichtig setzte Samuel ihn wieder auf den Boden. Er streichelte ihn noch einmal, es musste einfach sein, auch wenn es ihm nicht gefiel.

      „Männer wollen nicht gestreichelt werden, vor allem nicht von Männern“, scherzte er und drückte liebevoll Samuels Hand beiseite. Doch Samuel sah, wie seine Augen plötzlich riesengroß wurden. Angst entstellte sein Gesicht zu einer Fratze. Auch in den Gesichtern der anderen Männlein sah er nackte Panik hochkommen. Sie streckten ihre Arme in die Luft, als wollten sie eine Gefahr zurückdrängen. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er sich umdrehen musste, um zu sehen, was sie erblickt hatten.

      „Verflucht, was willst du denn?“, schrie er beinahe, ergriff den Stock, der vom letzten Tierangriff noch vor ihm lag, sprang auf und schleuderte das Holz einmal um sich herum, sodass es durch die Luft pfiff. Dann nahm er den Stock in beide Hände und hielt ihn diagonal vor sich. „Was willst du?“, schrie Samuel ihn an.

      Ihn war ein muskelbepackter Mann in Samuels Größe. Tätowiert, schmutzige, lange Fingernägel, Krallen gleich. Er roch nicht nur übel, er stank zum Himmel. Tatsächlich war sein unangenehmer Geruch sichtbar, die Luft war von grünen Wolken erfüllt. Aus seiner Hose, wenn man das so nennen durfte, strömten braune Wolken. Samuel ekelte sich vor dieser Gestalt - und natürlich vor den farbigen Wolken.

      „Hai toh, kintura hi to pah!“, brüllte Samuel und versuchte, einen Karatekämpfer zu mimen.

      Doch mit seinen dicken Pranken und Armen, die so dick waren, wie Samuels Beine, verpasste er ihm einen Schlag, der seinesgleichen suchte. Sterne flogen durch die Luft, das Gleichgewicht wollte ihn verlassen. Doch Samuel riss sich zusammen, rappelte sich wieder auf, ergriff den Stock, den er beim Auftreffen der Monster-Faust auf seinen Körper verloren hatte und verpasste ihm damit einen Schlag mitten auf den Schädel.

      „Der hat gesessen! Jetzt fall schon um!“

      Es krachte erbärmlich, doch der Kerl verzog keine Miene. Noch einmal schlug Samuel dem Mann auf den Kopf. Und wieder passierte nichts. Nun, da er ihm scheinbar nichts anhaben konnte, kam er auf die Idee, ihm eine Fuhre Staub in die Augen zu werfen. Vielleicht bedurfte es einer List und nicht unglaublicher Kraft, den Kerl zu Boden zu bekommen. Samuel ließ sich fallen, griff zu und erhaschte eine Faust voll Dreck. Diesen schleuderte er seinem Gegner mit einer Drehung seines Körpers geschickt in die Augen.

      „Pah, friss das!“, brüllte er ihn an.

      Schreiend fiel das Monster zu Boden, als hätte ihn eine Kanonenkugel getroffen. Er presste seine Pranken auf die Augen, rieb, wischte und zitterte vor Schmerzen. Er wälzte sich auf dem Boden, strampelte mit den Beinen, schrie vor Schmerzen und – damit hätte Samuel wohl als letztes gerechnet – löste sich plötzlich in Luft auf. Er verschwand förmlich vor Samuels Augen.

      Das Monster konnte sich nicht mehr wehren, also war seine letzte Lösung die Selbstzerstörung. Es gab einen dumpfen Knall, und weg war er. Übrig blieben bloß eine grüne Wolke und ein fürchterlicher Geruch.

      Erneut hatte Samuel die kleinen Kerle gerettet, und sie waren ihm sehr dankbar dafür. Sie hatten nun gemerkt, dass er ihnen ein guter Freund sein wollte.

      „Sagt mir bitte, wo bin ich hier? Ich bin plötzlich bei euch aufgetaucht, weiß aber nicht, warum. Ich kann mir nicht erklären, warum ich in eurem Land gelandet bin.“

      „Du bist in unserem Land gelandet, weil es so sein sollte. Sei froh, dass du bei uns in unserem Land gelandet bist, und nicht bei Fremden in einem anderen Land. Du bist nicht mehr in deiner Zeit, du bist nun in unserer. Es hätte dich auch schlechter treffen können.“

      Die Wortkombination von „Land“ und „gelandet“ gefiel ihnen sehr gut, also zogen sie Samuel damit ein wenig auf.