R.J. Simon

Schaaf ermittelt


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Schaaf sprach in der Pathologie dann nur kurz mit dem dafür zuständigen Pathologen Dr. Krawczick in dessen Büro. Ihm stellte er bei der Gelegenheit auch gleich seinen neuen Assistenten Busch vor. Der Abgleich von den DNA-Proben lag natürlich noch nicht vor. So etwas dauerte seine Zeit und ließ sich auch nicht beschleunigen. Sonst gab es auch keine Neuigkeiten, mit denen sie hätten weiter arbeiten können.

      Dr. Krawczick erklärte Kriminalhauptkommissar Schaaf und seinem Assistenten in Kürze Details der Misshandlungen, die an der Toten vorgenommen wurden. Die Prozedur, der Frau die unzähligen Schnitte am Hals zuzufügen, kann über Stunden angedauert haben sagte er. Am Blutfluss lässt sich ablesen, dass das Opfer dabei gestanden, oder zumindest aufrecht gesessen haben muss. Das Klebeband ist im Bereich der Lenden überdehnt. Das könnte allerdings auch vom zusammensacken bei einer Ohnmacht herrühren. Der Mörder musste bei seinen unzähligen Schnitten vorsichtig sein, dass er nicht die Halsschlagader oder die Luftröhre erwischte. Denn offensichtlich wollte er die Frau so lange wie möglich am Leben halten. Hätte er die Ader erwischt wäre sie in kürzester Zeit verblutet, und wenn er die Luftröhre aufgeschlitzt hätte, erstickte sie an ihrem eigenen Blut. Also eine sehr blutrünstige und völlig perverse Handlung, die an dem Opfer vorgenommen wurde.

      Busch blieb während der Darstellungen durch Dr. Krawczick ruhig. Er hörte sich die Schilderungen über die Quälereien des gefolterten Opfers scheinbar regungslos an. Äußerlich. Im Innern rumorte es in Busch, das bemerkte Kriminalkommissar Schaaf sehr deutlich. Sicher beging Busch den Fehler, dem viele unterliegen, dass er sich das Gesagte bildlich vorstellte. Aber Schäfchen gefiel, dass sein Assistent das ohne Klagen oder gar davonzulaufen durchstand. Denn schließlich würde ihm solcherlei immer wieder begegnen und das musste Busch aushalten, wenn er den Job machen wollte.

      Schäfchen teilte Dr. Krawczick dann den Termin für die Identifizierung der Leiche durch den Ehemann mit. Dafür, so bat er den Kollegen, solle er doch die üblen Verletzungen am Hals ein wenig kaschieren und der Leiche ein Totenhemd mit einem Kragen anziehen, um es dem Witwer nicht noch schwerer zu machen, als es ohnehin schon für ihn war. Der Pathologe versprach sich darum zu kümmern, wenn ihm auch der angesetzte Termin grundsätzlich nicht so ganz in den Plan passte. Aber auf Schäfchen wurde eben überall gehört und so setzte er solch kleine Gefälligkeiten meist durch. Sobald das Ergebnis des DNA-Abgleichs vorlag, versprach der Pathologe dann noch, würde er ihn dem Kommissar per Mail zusenden.

      Schäfchen verabschiedete sich von Dr. Krawczick, als der den letzten Satz noch nicht gänzlich beendet hatte, mit dem erhobenen Zeigefinger weit über dem Kopf, im Umdrehen. Eine wörtliche Verabschiedung ließ der Kommissar vermissen. Der Pathologe verstand aber die Geste richtig und nickte Schäfchen nur nach. Dr. Krawczick wusste genau, dass Schäfchen nicht unhöflich war oder das eine abwertende Geste ihm gegenüber sein sollte. Er war einfach nur mit seinen Gedanken beim Verarbeiten des Gehörten und ordnete alles ein.

      „Haben sie auch Hunger?“, erkundigte sich Schäfchen bei seinem Assistenten auf dem Flur.

      „Ja schon. Ich könnte etwas vertragen.“

      „Gut. Hier gibt es eine ganz gute Kantine. Essen wir dort etwas. Sie müssen eben nur vergessen, dass wir in der Gerichtsmedizin sind“, schob er noch grinsend etwas gemein hinterher.

      Das Tagesmenü, das sie dann in der Kantine der Gerichtsmedizin zu sich nahmen, war wirklich sehr gut für eine Großküche. Busch zog während des Essens alle Aufmerksamkeit auf sich, weil er wieder einmal mehr auffiel. Als er nämlich versuchte seine Serviette aufzunehmen und gleichzeitig durch einen Ruck direkt zu entfalten, bemerkte er nicht, dass sein Becher auf einer Ecke davon stand. Folglich kippte der Pappbecher um und die Cola, die Busch sich gönnen wollte, schoss als brauner Fluss über den Tisch, geradezu in Richtung seines Chefs. Der konnte dem Colaschwall gerade noch so ausweichen.

      Wegen des dadurch entstehenden Stuhlrückens und Buschs erschrockenem Ausruf sah jeder in dem Saal zu dem Tisch an dem er und Schäfchen saßen. Unter der amüsierenden Beobachtung der Nachbarn reinigte Busch dann den Tisch mit Servietten, die er sich schnell von der Theke besorgte.

      Am Ende sagte Busch dennoch, dass er sich an das Kantinenessen glatt gewöhnen könne, bevor sie zusammen ins Kommissariat zurückfuhren. Kriminalhauptkommissar Schaaf beauftragte Busch dort, die Aktivitäten und Informationen, die sie bis dahin an dem Tag zusammentrugen, in die Akten einzutragen. Er selbst erkundigte sich bei jedem einzelnen seiner Mitarbeiter, ob es bei den Fällen, die sie bearbeiteten, und speziell in dem aktuellen, neue Informationen für ihn gab.

      Von dem Kollegen Schneider ließ er den Ansprechpartner des Gospelchores ausfindig machen und einen Termin mit ihm vereinbaren. Der Chor, so fand Schneider heraus, wird vom Herr Pfarrer selbst geleitet, der auch gerade im Pfarrhaus wäre und Zeit für die Beamten aufbringen könnte. Als er dies dem Chef mitteilte, holte er sich sofort seinen Assistenten und fuhr mit ihm gleich zum Pfarrhaus der Gemeinde. Wenn der Pfarrer ihnen so kurzfristig die Gelegenheit bot mit ihm zu sprechen, wollte er damit auch keine Zeit verlieren.

      Kriminalhauptkommissar Schaaf richtete sich immer, wenn möglich, auch nach den Menschen, mit denen er sprechen wollte oder musste. Natürlich scheute er sich auch nicht davor, wenn es nötig war, von seinen polizeilichen Kompetenzen Gebrauch zu machen und jemanden vorzuladen oder unangekündigt irgendwo hineinzuplatzen und denjenigen in der Öffentlichkeit zu kompromittieren. Wenn er so einen Verdächtigen in die Enge treiben konnte, um ihn damit dann überführen zu können, griff Kriminalhauptkommissar Schaaf auch zu solchen Mitteln. Schlussendlich war ihm, wie er es auch schon Busch erklärte, jeder Weg recht, um einen Fall aufzuklären. Bei Kapitalverbrechen gab es nur die gesetzlichen Grenzen die ein Ermittler oder Staatsanwalt nicht überschritt. Moralische Barrieren waren dabei egal. Ein eiskalter Killer durfte keine Rücksicht erwarten. Und das Opfer hatte ein Recht darauf, dass sein Mörder oder Peiniger überführt und verurteilt wurde. Die Geschädigten würden ihn auch nicht mit Samthandschuhen anfassen wollen und auf einen anständigen Umgang mit dem Täter bestehen.

      Den Opfern, oder deren Angehörigen, begegnete Kriminalhauptkommissar Schaaf hingegen immer mit der gebotenen Besonnenheit. Ihr Schicksal rührte ihn und ließ seine Gefühle nicht kalt. Trotz allen Abscheulichkeiten und kaltblütigen Menschen, denen er schon begegnet war, blieb Schäfchen Mensch.

      Die Begrüßung des Pfarrers war sehr herzlich, obwohl er die beiden Beamten nicht kannte. Seinem Stand entsprechend, sprach er sie jeweils mit „Mein Sohn“ an und sein Händedruck fiel mehr als kräftig aus. Da der Kriminalhauptkommissar ihm zuerst die Hand reichte erfuhr er als erster den Griff, der wohl aussagen sollte: „Das ist die Hand Gottes, die du durch mich hältst“. Schäfchen beobachtete dann belustigt, wie Busch dem Pfarrer ebenfalls die Hand zur Begrüßung entgegen streckte und der ebenso beherzt zupackte, dass Busch sich regelrecht verkrampfte und die Schulter eindrehte. Es fehlte nur, dass Busch noch aufschrie. Für den zart gebauten Busch waren solch auftretende Kräfte eine Spur zu viel.

      Ansonsten ergab das Gespräch mit Pfarrer Schönewald, bei dem sie offiziell nur wegen der Vermisstenanzeige recherchierten, weil die Tote noch nicht einwandfrei identifiziert war, keine neuen Aspekte. Auch er behauptete, wie der Ehemann, dass Frau Knipfer sich wie sonst auch verhielt. Ihm sei nichts Außergewöhnliches an ihr aufgefallen. Dass Frau Knipfer wahrscheinlich zu Tode kam, erwähnte der Kriminalhauptkommissar noch nicht.

      Kriminalhauptkommissar Schaaf sagte dem Pfarrer, dass sie zur nächsten Chorprobe am Donnerstag hinzukommen wollten, um die restlichen Mitglieder ebenfalls zu befragen. Vielleicht würde einer oder eine von ihnen etwas wissen, was sonst keiner mitbekommen hatte. Natürlich sprach für den Pfarrer Herr Schönewald nichts dagegen und teilte ihnen mit, wann die Chorprobe begann.

      „Dann sehen wir uns am Donnerstag wieder, vielen Dank“, verabschiedeten sich Schäfchen und Busch vom Herr Pfarrer und machten sich auf den Weg ins Büro. Der Händedruck des Herrn Pfarrer war dabei wieder genauso kräftig, wie bei der Begrüßung. Auch Schäfchen spürte danach seine gequetschte Hand. Da wollte er nicht wissen, wie die von Busch schmerzte, der ja bereits bei der Begrüßung sichtbare Schmerzen erduldete. Im Auto dann stellte Busch nur abschließend fest: „Ein ganz schön kräftiger Händedruck der Herr Pfarrer“. Schäfchen musste wieder schmunzeln und verkniff sich einen Kommentar dazu.