R.J. Simon

Bis dass der Tod euch vereint


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verursachten Schrecken.

      Brigitte, die als erstes fertig war, ging mit Negligee und Morgenrock bekleidet noch einmal ins Wohnzimmer, wo sie auf Dominik wartete, indem sie an ihrem angefangenen Puzzlespiel weiter kniffelte. Die Teile des Puzzles lagen auf dem Couchtisch nebeneinander verteilt. Bis dahin gelang es Brigitte nur, die Rahmenteile aneinander zu ketten, womit sie grundsätzlich bei jedem Puzzle anfing.

      Mit solchen Geduld erfordernden Dingen beschäftigte sich Brigitte mit Vorliebe. Sie hat schon einige sehr schöne und großflächige Puzzels beendet. Beim Aussuchen der Motive nahm sich Brigitte immer viel Zeit. Wenn sie wieder ein neues anschaffen wollte, sah sie sich stets in mehreren Kaufhäusern und Katalogen um, damit sie auch wirklich die ihrer Meinung nach glanzvollsten Bilder aufspürte.

      Ebenso fertigte sie gerne Stickbilder an. Die geradeso eine diffizile Feinarbeit darstellten und ziemlich langwierig werden konnten. Desgleichen suchte Brigitte auch hier die Abbildungen genau und behutsam aus. Brigitte bevorzugte dabei Motive, deren Vorlage die Gemälde berühmter Künstler zu Grunde lagen. Sie hatte aber keinen bestimmten Lieblingsmaler. Allein die Motive waren entscheidend. So stickte Brigitte zum Beispiel schon Spitzwegs „Der arme Poet“ oder Rembrandts „Nachtwache“ mit viel Geduld, Nadel und Garn nach.

      Diese, nach genauer Vorlage der Maler auf ein Netz aufgedruckten Bilder stellten eine besondere Herausforderung dar und wurden von Brigitte gerne nachgestickt. Ein derart in Handarbeit hergestellter Wandschmuck wurde im entsprechenden Rahmen zum echten Blickfang in jedem Raum, denn er war ein Meisterwerk für sich selbst.

      „Du kannst noch ein bisschen weiter machen“, stellte ihr Dominik frei, als er die Treppe vom oberen Stockwerk aus dem Badezimmer kommend den Wohnsalon betrat. Er trug ebenfalls über seinem Pyjama einen leichten, seidenen Bademantel. „Ich werde mir auf den Schreck hin noch ein Schlückchen gönnen.“

      Kaum richtig ausgesprochen holte sich Dominik aus der umfangreichen Bar neben der Treppe seine bevorzugte Flasche und einen Cognacschwenker heraus und setzte sich auf einen der bequemen, ledernen Sessel. Dominik genoss den ersten kleinen Schluck des edlen Branntweins sichtlich. Das zeigte er durch akustische und optische Gesten deutlich an. Von ihm aus brauchte der gesamte Inhalt seiner Bar einzig und allein aus diesem edlen Tropfen zu bestehen. Etwas anderes kam Dominik nicht ins Glas, was Spirituosen betraf. Er legte außerdem den größten Wert darauf, dass stets "seine Marke" im Hause vorrätig war und nicht etwa ein anderer gepanschter Fusel, wie er die übrigen Produkte zu bezeichnen pflegte.

      Ganz am Anfang ihrer Ehe hatten sie auch genau deswegen Streit bekommen. Eine der sehr wenigen Auseinandersetzungen in ihrer Ehe die eben entstand, weil Brigitte eine andere Sorte Cognac einkaufte. Sie sagte Weinbrand sei Weinbrand und er könnte doch jenen auch einmal kosten. Dominik geriet völlig außer sich und beharrte auf "seine Marke". Brigitte gab aber nicht nach und Dominik wurde immer böser, so dass sie sich in diese dumme Meinungsverschiedenheit derart hineinsteigerten, dass sie am Ende wegen dieser Lappalie zwei Tage nicht miteinander redeten.

      Die nachgebende Seite war danach dann doch, wie zu erwarten, Brigitte. Dominik blieb stur wie ein Panzer, wenn es um solche Dinge ging. Er stellte selten besondere Ansprüche, die ihm Brigitte erfüllen sollte, aber wenn er einen bestimmten Wunsch äußerte, führte kein Weg daran vorbei. Um wieder Frieden im Hause zu haben, und weil der Cognac den Streit nicht wert war, kaufte Brigitte eine Flasche des gewünschten Getränks und überreichte sie ihm mit einem versöhnenden Kuss. Den ´falschen´ Cognac rührte Dominik nie an. Nach dem ersten Gläschen seiner Marke war dann schließlich auch von Dominik her alles in Ordnung und der Hausfrieden wieder hergestellt.

      Wegen solchen unbedeutenden Kleinigkeiten stritten sie mit zunehmendem Alter immer weniger. Sie wurden beide ruhiger und reifer, also erfahrener und erkannten, dass Streiten keine Lösung war. Jeder Tag im Streit blieb ein verlorener Tag, den man nicht mehr aufholen konnte. Die letzten Jahre ihrer Ehe gab es nicht einen einzigen Disput mehr.

      Aus dem Schlückchen, das Dominik an jenem Abend noch trinken wollte, wurden letztlich vier Gläser. Während dieser Zeit fand Brigitte ein paar passende Teile in ihrem Puzzlespiel, bei dem Dominik stumm, seinen Schlaftrunk genießend zusah. Ab und zu schüttelte er als einzigen Kommentar dazu den Kopf. Er hätte nie die Geduld zu einem solch langwierigen und ermüdenden Projekt aufgebracht.

      Bei ihrem aller ersten Bild wollte Brigittes bessere Hälfte ihr gerne behilflich sein. Aber nachdem er einige Teile in die Hand nahm und sie einfügen wollte und keines davon in die von ihm vorgesehene Lücke passte, stand Dominik seinerzeit, „so ein Quatsch“ murmelnd auf und trank einen Cognac.

      „Ich denke, es wird Zeit, dass wir uns schlafen legen“, brach Dominik das Schweigen, als er den Rest des vierten Glases ausgetrunken hatte. Obwohl Brigitte eigentlich noch nicht so richtig müde war, nickte sie zustimmend. Das Teil, das sie gerade versuchte einzupassen, legte sie zur Seite, um dann Dominik ins Bett zu folgen.

      Der Rest des Tages lief also genau so unbefriedigend ab, wie fast jeder andere zuvor auch. Im Schlafzimmer angekommen, begab sich jeder auf seine Seite des Bettes. Sie gaben sich gegenseitig den üblichen, lieben und zärtlichen Gute-Nacht-Kuss, nach welchem sich Dominik auf die Seite rollte, um wenig später einzuschlafen.

      Dann lag Brigitte da! Der Kuss und Dominiks Empfindungen beruhten zwar auf echter Liebe, aber Brigittes Körper verlangte oft mehr. In solchen traurigen Stunden spürte sie deutlicher als sonst den Altersunterschied zwischen sich und ihrem Mann. Denn in den Momenten zeigte er sich in größtem Ausmaß. Dominik liebte sie mit jeder Faser seines Körpers. Daran gab es nicht den geringsten Zweifel. Er verehrte Brigitte, war zu jeder Zeit herzlich zu ihr und wollte nur das Beste für sie. Er gab Brigitte was er konnte. Die körperliche Liebe jedoch, war er inzwischen unfähig ihr so oft zu geben, wie Brigitte das gerne gehabt hätte. All sein Geld konnte ihr nicht ersetzen, was ihr fehlte.

      „Hallo Tante, schläfst du?“ spricht Brigitte plötzlich eine sehr junge Stimme neben sich an. Aus ihrem Traum gerissen, den Kopf zur Seite drehend, sieht sie nun das kleine Kind, schätzungsweise vier oder fünf Jahre alt, das Brigitte aus weiten, braunen Augen anstarrt. Der Knirps, allem Anschein nach ein Mädchen, hält vor dem Bauch die Ärmchen über einem großen, bunten Wasserball geschlossen und mustert Brigitte aufmerksam.

      Die Kleine beobachtete Brigitte wahrscheinlich schon eine geraume Weile, wie sie so ganz still, ohne sich auch nur einmal zu bewegen in die Ferne starrte und dabei ihren Gedanken und Erinnerungen nachhing. In ihrer kindlichen Unwissenheit kam sie dann wohl zu dem Schluss, dass Brigitte mit offenen Augen schlafen würde.

      „Nein“, antwortet Brigitte mit einem gekünstelten Lächeln, das aber misslang, „ich bin hellwach“. Mit einer leiseren Stimme fügt sie mehr zu sich als zu dem Mädchen hinzu: „Ich wollte, es wäre alles nur ein Traum gewesen. Ich würde heute alles anders machen!“

      Das junge Fräulein, deren Neugierde jetzt vermutlich befriedigt war, zeigt ihrerseits ein breites Grinsen, bei dem sie jene Zahnlücke freigibt, die jedem Kind in diesem Alter zu Eigen sind. Ohne Übergang kneift sie aber auf einmal die Augen zusammen und streckt Brigitte frech ihre kleine, rote Zunge heraus. Das Kind dreht sich um, ohne noch irgendetwas zu sagen oder zu tun und rennt davon.

      Ja, weglaufen, einfach abhauen und alles hinter sich lassen, das würde Brigitte am liebsten auch tun. Ihr ist dagegen aber klar, dass fliehen im Endeffekt doch nicht die Lösung ihrer Probleme ist. Brigitte muss durch diese endlos scheinende Wüste der Qualen hindurch. Sie kann nicht einfach Reißaus vor ihrer Vergangenheit, der Gegenwart, der damit verbundenen Schwierigkeiten, der Welt und sich selbst nehmen. Egal, wohin sie rennen würde, Brigittes Probleme wären bereits dort und würden auf sie warten. Ihre Nöte lauern auf sie, liegen immer im Hinterhalt, egal wo sie ist.

      ´Die Sonne steht schon wieder ziemlich tief am Horizont`, denkt Brigitte für sich. Es verging offenbar eine Menge Zeit während ihrer Tagträume, in denen sie über ihre Vergangenheit mit Dominik nachdachte. Brigitte macht sich auf den Weg zu ihrem geparkten Auto, um nach Hause zu fahren und sich ins Bett zu legen. Mehr hat sie von diesem Tag nicht zu erwarten. Schlafen ist so gesehen auch eine Art Flucht vor der Wirklichkeit.

      Insgeheim hofft Brigitte nur, dass sie jetzt, nachdem sie etwas aus dem Haus an der frischen