R.J. Simon

Bis dass der Tod euch vereint


Скачать книгу

Brigittes Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Bei jeder vorherigen Runde hoffte Brigitte in ungeahntem Maße, dass ihre Zahl fallen würde, auf die sie setzte. Bis jetzt ohne Erfolg. Nun, da sie wusste, dass sie bedingungslos verlor, wenn nicht ihre Zahl kam, steigerte sich ihre Spannung um ein weiteres.

      Die Roulettekugel näherte sich nun den Grübchen, und sprang bei der Berührung mit dem ersten kreuz und quer durch den Kessel über den Teller. Nach vier, fünf Sprüngen, die von einem hellen „Klick-Klicke-di-klick“ begleitet wurden, blieb das Kügelchen in einer der Zahlenlücken still liegen. So kreiste es die letzten Runden in der sich ausdrehenden Scheibe mit. Brigitte verfolgte die Drehbewegung des elfenbeinenen Rundes mit stierem Blick, um vorzeitig die Zahl zu erkennen, die das Kügelchen zeigte. Die Geschwindigkeit war allerdings für ihr ungeübtes Auge zu schnell und die vorbei fliegenden Zahlen verwischten so zu einem undeutlichen Durcheinander.

      Nach großer Anstrengung konnte Brigitte die Zahl endlich lesen, als der Teller fast stillstand. Die Zeitspanne von dem Punkt ab, an dem die Kugel entschied, welche Zahl gewann, bis zum Erkennen der Nummer, kam ihr wie eine kleine Ewigkeit vor. Da sagte der Croupier sie auch schon gut verständlich an: „Siebzehn“, schon wieder verloren!

      Der Casinoangestellte schob routiniert und emotionslos die verlorenen Chips mit seinem Werkzeug zur Bank und die Gewinne zu den entsprechenden Personen hin. Brigitte sah ihrer kunststoffenen Scheibe enttäuscht hinterher. Dominik gewann wieder, wie schon die ganze Zeit über einen Jeton, während er einen anderen dafür opferte.

      Bei der nächsten Runde würde Brigitte ihren vorletzten Chip setzen. Dominik schaute bereits demonstrativ triumphierend auf ihr schwindendes Kapital. Sein siegessicheres Grinsen erwiderte Brigitte mit einem kalten Lächeln, das ihr Missfallen verbergen sollte. Dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach dieses kleine Duell verlieren würde, ärgerte sie schon. Doch sollte das von Dominik unbemerkt bleiben. Brigitte zeigte sich davon ungerührt und behielt ihre Gefühlsregung für sich.

      Wiederum platzierte Brigitte ihren Einsatz auf die einundzwanzig. Die Lotterie ging erneut von vorne los. Ein neues Spiel, neues Glück! Wie schon neunmal zuvor dieselbe Spannung, dieselbe Hoffnung und wohl auch bald dieselbe Enttäuschung. Brigitte fand sich innerlich mit ihrer Niederlage ab. Wenn ihr das auch auf die Stimmung schlug.

      Die Kugel spielte wiederholt ihre unbestechliche Rolle. Brigitte verfolgte ihr Rollen und Springen diesmal fast resignierend. Das Bällchen beendete sein Werk, blieb liegen und Brigitte glaubte ihren Augen und Ohren nicht trauen zu können, als sie sah und hörte, dass der Spielgott ihr hold gewesen war.

      Die Kugel war tatsächlich in das Loch mit der Nummer einundzwanzig gefallen. Der Croupier verkündete die Gewinnzahl simultan, als Brigitte sie selbst erkennen konnte, mit derselben Monotonie, wie all die anderen Zahlen davor. Für Brigitte aber war es eine mit Tusch und Paukenschlag begleitete Ansage. Bedeutete das doch noch ihren Sieg gegen Dominik.

      Damit übertraf sie Dominik bei Weitem. In Folge ihres Treffers wurde Brigitte das Fünfunddreißigfache ihres Einsatzes ausbezahlt. Somit wuchs ihr Stapel Jetons im Handumdrehen um weit mehr als das Dreifache gegenüber dem von Dominik an. Und das alles mit einem Schlag und ihrer vorletzten Chance. Das war knapp aber ehrlich gewonnen.

      Dominik brach sein stilles Schmunzeln abrupt ab. Ihm froren glatt die Gesichtszüge ein, als er tatenlos mitansehen musste, wie seine Brigitte von der Bank drei große Stapel Chips zugeschoben bekam. Mit dieser plötzlichen Wende der Kapitalverhältnisse rechnete er absolut nicht. Das war die Überraschung des Tages für ihn.

      In dieser Situation war es Brigitte möglich frech zu werden. Durch den Haupttreffer wehte Wind in ihre erschlafften Segel, der sie voran trieb und somit neuen Mut gab. Brigitte ging ab sofort in ihrer Taktik mit Dominik konform. Sie setzte je einen Chip auf rot und je einen auf schwarz. Zusätzlich forderte Brigitte ihr Glück aber weiterhin mit einer einzelnen Zahl heraus.

      Auf rot und schwarz setzte Brigitte nur, um Dominik zu zeigen, dass sie seine Masche durchschaute. Da sich diese beiden Farben in dem Spiel aufhoben, genau wie bei Dominik Pair und Impair, hätte sie ebenso gut weiter nur auf eine Zahl setzen können. Brigitte verlor bei jeder Runde den Chip, der auf der Einundzwanzig lag. Die beiden anderen verhielten sich wie die zwei von Dominik und brachten keinen Verlust ein.

      Da Brigitte nun aber über fast die vierfache Menge an Jetons als Dominik verfügte, war ihr Vorsprung zu ihm eminent. Sie konnte rechtzeitig die verlierende Zahl weglassen und dann stetig jede weitere Runde als unentschieden für ihr Konto fortführen. Sie brauchte vor Dominik lediglich einen Chip im Vorteil zu sein um damit ohne Zweifel gewinnen zu können. Der Abstand von einer Spielmarke bliebe unverändert, denn auch wenn die Null fiele würden beide, sie und Dominik, all ihre gesetzten Chips verlieren. So dass irgendwann, wenn die Null oft genug gekommen wäre, Dominik seinen letzten verlöre und Brigitte noch einen letzten besäße.

      Insgeheim hoffte Brigitte natürlich, dass sie ein weiteres Mal den Hauptgewinn erzielen würde. Solange sie noch zusätzlich auf eine Zahl setzte, bestand zumindest die Möglichkeit dafür. Es war ein unglaublich gutes Gefühl gewesen, als der Croupier ihr den Gewinn zuschob. Das hätte Brigitte gerne noch einmal erlebt.

      Als Dominik nach ein paar weiteren Durchgängen den Wink mit dem Zaunpfahl von Brigitte erkannte, erhob er sich, nahm seine gesamten Chips und ging um den Tisch herum zu seiner Frau. Wieder lächelnd schloss er sie in den Arm, küsste sie auf die Stirn und sagte achselzuckend: „O.K, du hast gewonnen ma chérie. Ich gebe auf.“

      Zum Zeichen seiner Unterlegenheit und um Brigittes Sieg zu bestärken, legte Dominik die eigenen Spielchips zu den ihren. Mit dieser Geste symbolisierte er, dass er keine mehr, sie jedoch alle besaß. Damit erklärte Dominik sie als Siegerin, ohne Groll gegen sie zu erheben. Im Gegenteil, dass Brigitte am Ende gewann war ihm lieber gewesen, als dass sie verloren hätte.

      Dominik belohnte ihren Sieg sogar noch, indem er ihr vorschlug: „Ich sage dir, was wir jetzt tun werden: Du wechselst die ganzen Dinger um“, mit dem Zeigefinger deutete er dabei auf den Haufen Plastik, „und für das Geld darfst du dir kaufen, was dein Herz begehrt!“

      Mit dieser Offerte gab Brigitte sich sofort einverstanden. Von der Bank ließ sie sich den Gegenwert der Plastikplättchen in barem Geld ausbezahlen. Brigitte war über die Menge Scheine, die sie dafür erhielt, sehr überrascht. Das Bündel Lirescheine, den Brigitte entgegen nahm, steckte sie in die Brieftasche. Die wiederum bewahrte Brigitte sorgfältig in ihrer Handtasche auf.

      Anschließend sagte sie zu Dominik gewandt, weil Brigitte dachte, er hätte sich in der Summe um die es hier ging, geirrt: „Versprochen ist versprochen!“

      Der nickte nur mit einem kurzen Lachen, denn Dominik erkannte den Wert seiner Zusage genau und fügte hinzu: „Wenn ich was verspreche, halte ich es auch. Das weißt du doch.“

      Er nahm Brigitte in den Arm und Seite an Seite gingen sie fröhlich hinaus ins Freie. Sie war glücklich, weil sie den Wettkampf gewann und über die Siegesprämie, die Dominik spendierte. Seine gute Laune ergab sich aus der Tatsache heraus, dass er ihr sichtlich eine Freude bereitete. Dominik machte es Spaß Brigitte ab und zu eine derartige Erheiterung zukommen zu lassen. Er freute sich, wenn sie glücklich und froh war. Diese Eigenschaft Dominiks blieb all die Jahre unverändert erhalten.

      Sich dem Spielcasino empfehlend, wandten sich die zwei nach dem Stufenabgang nach rechts. Um noch etwas den zu Ende gehenden Tag an der herrlichen Luft zu genießen, bummelten sie gemütlich die Corso Imperatrice in Richtung Russische Kirche entlang. Da verspürte Dominik das drückende Gefühl von Hunger in seiner Magengegend.

      „Hör zu mein Glücksengelchen“, sprach er Brigitte an, „was würdest du jetzt zu einer Einladung zum Essen sagen? Ich habe nämlich Hunger. Und du?“

      Mit gespieltem, ernstem Gesicht sah Brigitte ihren Mann an und entgegnete auf die ihr gestellte Frage, mit der tiefsten Bassstimme, die sie zustande brachte: „Wie ein Wolf du armer Verlierer. Aber kannst du dir das jetzt überhaupt noch leisten, eine Einladung?“

      „Ärgere mich nur mit meiner Niederlage mon petit loup. Ich werde nie wieder ein Spielkasino betreten.“

      „Ist das ein Versprechen, hoch