Torsten Thiele

Die Legende der Alten


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Verträumt schaute sie dem Springbrunnen in der Mitte des Bassins zu, sein Plätschern lullte sie ein. Im Hintergrund summte eine Dienerin ein Lied dazu. Hier, unter dem schützenden Dach des Pavillons, hatte Isi ihre Schleier abgelegt, trug nur noch ein dünnes, halb durchscheinendes Gewand. Sie mochte ihren Körper. Seit der Geburt ihrer Kinder war er zwar nicht mehr ganz so perfekt wie früher, doch noch immer konnte sie damit die Blicke der jungen Männer auf sich ziehen. So wie die ihres jetzigen Besuchers.

      „Kirai, es freut mich, Euch zu sehen. Kommt, setzt Euch einen Augenblick zu mir, dann können wir ein wenig plaudern“, sagte Isi, lächelte und klopfte dabei einladend auf eines der Kissen neben ihr.

      „Königin Isi, es ist mir eine Ehre. Ihr hattet nach mir gerufen?“, antwortete Kirai, während er noch etwas zögerlich näher trat und sich schließlich in gebührendem Abstand neben die Königin setzte.

      Dabei hielt er den Rücken gerade und die Beine geschlossen. Auch er hatte seinen Gesichtsschal abgelegt. Die etwas hervortretenden Wangenknochen und die ganz leicht gebogene Nase gaben ihm etwas Männliches. Sein Mund war ebenmäßig, das Kinn schmal. Sein volles, schwarzes Haar schimmerte im Licht. Er war durchaus gutaussehend. Kein Wunder, dass die jungen Damen am Hof hinter seinem Rücken tuschelten. Ebenso war es nicht verwunderlich, dass er sich für Prinzessin Nomo interessierte, die wohl beste Partie am Hof. Die noch beste Partie, dachte Isi.

      „Es geht das Gerücht, Ihr würdet um Prinzessin Nomo werben? Der Fehltritt meines Gatten ist ja auch wirklich eine ganz reizende Person“, sagte Isi.

      „Man erzählt so viel am Hofe. Aber es ist wohl wahr, dass ich in letzter Zeit die eine oder andere Unternehmung mit Prinzessin Nomo geteilt habe. Sie ist manchmal so erfrischend“, antwortete Kirai.

      Königin Isi beugte sich näher an Kirai heran. Dabei legte sie wie zufällig ihre Hand auf seinen Arm. Kirai zuckte, für einen Moment hatte es fast den Anschein, er wollte aufspringen.

      „Erfrischend ist eine schöne Umschreibung. Ich würde es unerfahren, geradezu naiv nennen. Mein Gatte, und vor allem ihre Mutter, die beinahe wie eine Glucke auf ihr hockt, haben sie viel zu lange vom wahren Leben ferngehalten. Da ist es beruhigend, dass ein so gestandener Mann, wie Ihr Euch jetzt ihrer annimmt. Ihr habt ja einen gewissen Ruf…“, säuselte Isi Kirai ins Ohr.

      „Oh, was meine Erfahrungen angeht, da sind die Gerüchte sicherlich übertrieben, muss ich gestehen. Prinzessin Nomo ist in dieser Hinsicht auch eher unempfänglich. Ich bin überzeugt, sie kennt meinen Ruf nicht einmal“, wiegelte Kirai ab.

      „Nur nicht so bescheiden. Wenn Ihr Euch ein wenig anstrengt, werdet Ihr sicher einen bleibenden Eindruck bei Prinzessin Nomo hinterlassen. Das Wohlergehen der Prinzessin liegt mir sehr am Herzen. Nicht auszudenken, wenn ihr etwas zustoßen würde. Und was die fehlende Erfahrung angeht… dem können wir abhelfen“, sagte Isi und strich Kirai zärtlich eine Haarsträhne aus der Stirn.

      Kirai räusperte sich verlegen und schaute zur Seite. Für eine Weile saß er so regungslos da. Königin Isi betrachtete ihn von der Seite, ein Lächeln umspielte ihren Mund. Der Springbrunnen plätscherte wie eh und je, die Dienerin summte nur noch sehr leise. Dann stand Kirai plötzlich auf.

      „Entschuldigung, Königin Isi, zwar würde ich gern ewig in Eurer Gesellschaft verweilen, aber leider muss ich noch einige sehr wichtige Geschäfte erledigen“, sagte er und verbeugte sich tief.

      „Nun gut, wenn die Pflicht ruft… Aber Ihr müsst mich bald wieder besuchen. Ich empfinde Eure Gesellschaft so anregend“, antwortete Isi.

      Kaum hatte Kirai den Pavillon verlassen, trat ein Mann in schwarzer Robe aus einer Nische hervor. Königin Isi winkte ihn zu sich.

      „Ihr werdet ihn im Auge behalten. Er mag unerfahren sein, aber er ist keiner dieser speichelleckenden Lakaien, der jeden Brocken willig schluckt, den ich ihm zuwerfe“, befahl sie.

      ***

      Lady Lebell lief bereits eine Weile im Zimmer auf und ab. Nervös schaute sie abwechselnd aus dem Fenster dann zur Tür. Als sich die Tür endlich öffnete und ihre Tochter eintrat, atmete sie hörbar aus.

      „Na endlich Kind. Beinahe wären meine schlimmsten Befürchtungen wahr geworden. Warum habe ich dir diesen Ausflug auf den Markt nur erlaubt. Die Stadt ist nun einmal ein gefährlicher Ort, besonders für die Beseelten. Das hast du jetzt sicher erkannt“, sagte sie.

      „Es war ein herrlicher Ausflug, Mutter! Der Markt ist so voller Leben. Viel zu schade, dass er so abrupt beendet wurde“, antwortete Nomo, während sie zu ihrer Mutter lief und ihr die Wange küsste.

      „Kind, du wurdest ausgeraubt! Du hättest dabei auch umkommen können!“, rief Lebell aufgeregt.

      „Aber Mutter, das waren doch nur ein paar arme Diebe. Sie stehlen, weil sie sonst nichts zu essen haben. Sie verdienen eher unser Mitleid. Du machst dir einfach zu viele Sorgen“, sagte Nomo und lachte dabei.

      „Was soll ich nur mit dir machen, Kind. Du bist die Prinzessin, Neider gibt es genug. Insbesondere, da dich dein Vater seinen Söhnen vorzieht. Glaubst du wirklich, die Königin nimmt das so einfach hin? Diese Schlange sähe dich lieber heute als morgen im Feuer. Du musst vorsichtiger werden, ich kann dich nicht ewig beschützen. Einen weiteren Ausflug in die Stadt wird es zumindest so schnell nicht geben“, belehrte Lebell ihre Tochter.

      „Vorsicht hier, Vorsicht da, kein Schritt ohne Wachen. Selbst in der Nacht sitzt noch eine Dienerin an meinem Bett. Warum muss ich überhaupt Prinzessin sein? Warum leben wir nicht wie die normalen Leute in der Stadt?“

      Nomo zog die Mundwinkel nach unten und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Dabei starrte sie an ihrer Mutter vorbei aus dem Fenster.

      „Diese Diskussion hatten wir doch schon so oft, Kind. Ohne Wachen wäre es viel zu gefährlich, darüber werde ich nicht noch einmal mit dir debattieren. Du bist nun einmal die Prinzessin, das ist nicht mehr zu ändern. Es ist an der Zeit, diesen Umstand endlich anzuerkennen, schließlich bist du fast erwachsen. Du kannst dich darüber bei deinem Onkel beschweren. Schließlich hat er mich an deinen Vater verkauft“, entgegnete Lebell.

      Nomo schnaubte kurz, drehte sich dann um und stürmte aus dem Zimmer.

      „Wo willst du hin?“, fragte Lebell.

      „Zu Onkel Houst. Ich soll mich doch bei ihm beschweren“, antwortete Nomo schnippisch.

      „Bei den Alten, Kind! Der alte Zausel setzt dir doch nur wieder neue Flausen in den Kopf“, rief ihr Lebell hinterher und schlug dabei beide Hände auf den Kopf.

      ***

      „Ihr habt ihn gefunden?“, fragte Kirai die Wache.

      „Ja Herr, er ist bereits im Verhörzimmer“, antwortete der Wachmann.

      „Gut, gehen wir.“

      Das Verhörzimmer lag im Keller eines Wachturms ganz am Rande des Palastes, weit weg von den Wohngebäuden der Beseelten. Es war ein kleiner, kalter und feuchter Raum, eine Ruine der Alten. Den Turm hatte man einfach darauf gebaut. Wie in den meisten Ruinen der Alten bestanden auch die Wände des Verhörzimmers aus Beton, diesem glatten Stein also, den die Alten irgendwie selbst hergestellt hatten. Keiner der Forscher konnte bisher sagen wie. Kirai war das egal, es gab interessantere Errungenschaften der Alten. Für ihn zählte nur, dass der Raum seinen Zweck erfüllte, und dies tat er in hervorragender Weise. War die Tür zum Verhörzimmer geschlossen, hörte man nicht einmal mehr im Turm darüber die Schreie.

      Der Mann stand in der Mitte des Raumes. Das bisschen Licht, das durch die geöffnete Tür eindrang, als Kirai eintrat, erhellte ihn kaum. Er hatte den Kopf leicht zwischen die Schultern gezogen und rieb sich mit den Händen über die Oberarme. Von seinen Haaren tropfte noch das Wasser, mit dem ihn die Wachen übergossen hatten. Eine Maßnahme, die sich in Vorbereitung auf ein Verhör als sehr wirksam herausgestellt hatte. Es war kalt hier unten, der Mann war nackt. Kirai legte den kleinen Schalter an der Wand um, an der Decke flackerten zwei Röhren auf und tauchten das Verhörzimmer plötzlich in ein kaltes, helles Licht. Der Mann kniff geblendet die Augen zusammen. Das Licht war eine weitere Hinterlassenschaft