Felix Heidenberger

Hermes oder Die Macht der grauen Zellen


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schwarz berockte lästige Krimiautor Krumbiegel. Nicht gerade erfreut blickten sie einander an.

      „Nicht mehr!“, sagte Hermes, stellte den Teller ab und setzte sich.

      Krumbiegel tat es ihm nach. „Immerhin sind ja zwei Stühle da“, sagte er mit falschem Grinsen, das Hermes schon kannte.

      Er kam sich vor wie Müller-Lüdenscheidt aus dem Loriot-Sketch, war versucht, darauf zu bestehen, dies sei seine Badewanne. Stattdessen bemerkte er nur: „Sie verfolgen mich!“

      „Sieht fast so aus“, erwiderte Krumbiegel ungerührt.

      Ein Serviermädchen brachte Kaffee, wollte einschenken. „Ich nehme Tee“, entschied Hermes spontan und hielt die Hand schützend über seine Tasse. Kaffee aus der gleichen Kanne mit diesem Mann widerstrebte ihm.

      „Heißes Wasser und Teebeutel gibt’s am Büffet“, erklärte die Maid und bediente freundlich sein Gegenüber.

      „Sie müssen schon entschuldigen, verehrter Professor Hermes, wenn ich Ihnen wieder lästig falle“, hob Krumbiegel an. „Ich hatte eigentlich im City am Bahnhof gebucht, hab aber versäumt, gleich nach Ankunft dort einzuchecken. Bin sofort mit dem Taxi zur Messe gefahren. Man hatte mich erwartet. Wie’s dann so geht: Man hat sich um mich gerissen – meine Lesergemeinde, Sie verstehen. Eins kam zum anderen. Der Verlag hatte irgendwo am anderen Ende der Stadt einen Empfang vorbereitet. Man hat mich dahin verschleppt. Wirklich wahr! Es wurde fast Mitternacht, bis ich endlich loskam und meinen Koffer fand, den man mir vorsorglich abgenommen hatte. Im City hieß es dann, mein Zimmer sei anderweitig vergeben. Die hatten nicht mehr mit meinem Kommen gerechnet. Nach einer Umfrage in der Bettenzentrale wurde ich dann hierherverwiesen.“

      Hermes hatte sich seinen Tee geholt und widerwillig zugehört. Was geht mich dieser Mensch an?, fragte er sich. Er soll zum Teufel gehen – zu seiner Fangemeinde! Der Tag war ihm verdorben. Dabei war er doch mit Vorfreude auf das Wiedersehen mit Herma aufgewacht.

      Um seinen Widerpart möglichst rasch loszuwerden, beeilte er sich mit dem Frühstück. Als er aufstand, erhob sich Krumbiegel ebenfalls, als folgten beide einem geheimen Mechanismus.

      „Ich habe ein Taxi bestellt“, sagte er. „Wir können gemeinsam fahren. Um diese Zeit ist es ja schwer, ein Taxi zu bekommen.“

      Es half nichts. Er musste froh sein, das Taxi mitbenutzen zu dürfen. Um Distanz bemüht, setzte sich Hermes vorn neben den Fahrer. Was Krumbiegel jedoch nicht abhielt, ihn vom Rücksitz aus weiter zu belästigen.

      „Kennen Sie die Verkaufszahlen von Ihrem neuen Roman?“, fragte er, nur um sich mit eigenen Zahlen brüsten zu können. „Mein Todesengel hat die Zehntausend schon überschritten! Muss trotzdem um elf Uhr eine Lesung machen. Der Verlag besteht darauf. Im großen Saal. Werden Sie kommen? Ich lasse Ihnen einen Platz reservieren.“

      Hermes tat, als habe er nicht zugehört. Zehntausend verkaufte Exemplare! Diese Auflage würde sein Roman nie erreichen. Seine Verlegerin, Frau Buchmann, hatte für heute Nachmittag einen Präsentationstermin angesetzt. Hermes hatte nur auf ihr Drängen hin telefonisch zugesagt – und in der Hoffnung, Herma dabei zu sehen. Dass der Roman ein Erfolg werden würde, so wie sein Buch im vergangenen Jahr, glaubte er schon lange nicht mehr. Zu viel Herzblut steckte darin, zu viel persönliches Anliegen – zu wenig Handlung, keine Spannung, zumindest nicht im äußeren Ablauf des Geschehens. Die innere Dramatik war kein Roman: das Ringen um Wahrheit, die Sehnsucht nach Frieden zwischen dem Ewig-Gegensätzlichen – nach der Harmonie der Liebe.

      Krumbiegel plapperte unentwegt weiter. „Es gibt Leute, die lesen keine Krimis. Ich verstehe das. Das sind Leute, die sich nachts im Wald fürchten, die Flugangst haben. Wissen Sie was, Professor: Das sind Leute, die ein schlechtes Gewissen haben. Die würden auch mal ganz gern so’n Ding drehen oder auch mal einen umbringen. Aber dazu sind sie zu feige. Aber die Polizeiberichte in der Zeitung, die verschlingen sie, Prozessberichte, wo’s um Verbrechen geht – um Gewalttaten oder auch nur um spektakulären Steuerbetrug –, so was lesen sie gierig. Warum? Ich sag es Ihnen, Professor: Das sind die Leute, die Möchtegerns, die’s nie zu was bringen. Die lesen Liebesromane, Fantasiegeschichten, die immer gut ausgehen, utopisches Zeug über eine Welt, die es nicht gibt. Krimis? Pfui!

      Sie gehören natürlich nicht zu dieser Art Leute, Professor. Sie lesen alles, auch mal ’nen Krimi, wenn er gut ist. Ich geb’s zu: Das meiste, was da heute auf dem Markt ist, ist primitives Zeug. Abklatsch von der alten Masche: Whodunit – Jagd nach dem Täter, wobei sich dann herausstellt, der Gärtner war’s. Oder so hirnrissige Fantasiegeschichten à la James Bond, die nur fürs Kino gut sind. Und fürs Fernsehen. Da gibt’s ja am Abend nur noch Krimis. Das meiste ist stumpfsinniger Quatsch aus Amerika. Aber ein Beweis, dass Krimis gefragt sind. Deswegen schreib ich ja welche. Und weil sie Geld bringen …“

      Er kicherte und tippte Hermes auf die Schulter. „Sie hören mir gar nicht zu. Woran denken Sie, Professor? Wie schlecht die Welt ist? Da haben Sie recht. Aber nicht nur die Welt ist schlecht. Die Menschen sind’s vor allem. Ich weiß, wovon ich rede. Lesen Sie meine Bücher! Kommen Sie zu meiner Lesung, heute um elf.“

      Das Taxi war im Stau stecken geblieben. „Ega das Gleiche um die Zeit!“, stöhnte der Fahrer. „De Leude fahrn wie bleede!“

      Auf der Messe angekommen, trennten sich ihre Wege. Krumbiegel suchte seinen Verlag auf, Hermes ließ sich ziellos durch das Büchermeer von Halle zu Halle treiben. Eine Sintflut in Papier, so kam es ihm vor. Ein Tsunami! Ein Hekatombenopfer geistiger Ausgeburten zur Weihe des Konsums! Wer sollte all das lesen? Der Pilgerstrom, der ihn mitriss, bestimmt nicht. Hier wurde nicht gelesen, nicht gekauft. Hier wurde nur geschaut. Wohin das Auge fiel, lockten bunte Titel. Die Sprache der Bilder war lauter als das gedruckte Wort. Warum schreiben die Menschen so viele Bücher?, fragte er sich. Weil so viele Menschen Verlangen danach haben? Oder doch nur, weil sie sich mitteilen wollen – ihr Herz ausschütten, ihren Verstand – zum Preis von 19,90? Warum schreibe ich denn? Doch nicht, weil man danach fragt. Niemand zwingt mich. Nicht wegen des Geldes. Doch auch nur, weil ich mir einbilde, einiges besser zu wissen, weil ich mein Licht nicht unter dem Scheffel der Wissenschaft lassen will, sondern leuchten lassen zum Ruhm meiner Weisheit. Welch ein Selbstbetrug! Ihm wurde plötzlich klar: Ich hätte den Roman niemals schreiben sollen. Er geht unter in dieser Flut hier. Niemand legt Wert auf meine Weisheiten, meine Fantasien …

      Jemand sprach ihn an. „Professor Hermes! Sie auch hier!“ Der Herr hob die Hand zur Begrüßung. Hermes wusste nicht, wer er war. „Hab Ihr Buch gesehen, drüben in Halle 4. Gratuliere! Werd es mir kaufen.“ Er verschwand in der Menge.

      Die unerwartete Bestätigung seiner Existenz als Autor schreckte Hermes auf, als sei er aus einem Albtraum erwacht. Entschlossenen Schrittes, auf einmal, strebte er der nächsten Halle zu, wo der C. H. Buchmann Verlag seinen Stand hatte.

      Lilott Buchmann, rüstige Witwe des Verlagserben Curt Heinrich Buchmann, empfing ihn mit gespielt vertraulicher Herzlichkeit. „Schön, dass Sie da sind, lieber Guido!“ Sie umarmte ihn und vollzog das Kussritual, ihm die Wange reichend – links, rechts, links –, obwohl sie die Abneigung des gelehrten Mannes gegen jede Art von Gefühlsregung kannte. Was sie nicht davon abhielt, ihn mit Vornamen anzureden, wenn es um Persönliches ging. Es desgleichen zu tun, widerstrebte ihm. Lilott! Welch unmögliche Karikatur eines Namens! Noch dazu bei der fülligen Figur!

      „Wir müssen reden. Kommen Sie!“ Sie zog Hermes hinter die dekorative Bücherwand, wo ein behelfsmäßiges Büro mit zwei Sitzgelegenheiten eingerichtet war. Die Prinzipalin wollte auch während der Messe die Zügel ihres Verlages stets in der Hand haben.

      Was gab es da noch zu reden?, fragte sich Hermes misstrauisch. Sein Pessimismus, was den Erfolg seines Mischkrug betraf, war keineswegs gewichen. Wie berechtigt, zeigte sich gleich.

      „Wir müssen etwas tun für den Roman“, sagte die Verlegerin. „Sie wissen, wie sehr ich Sie schätze, Professor Hermes. Nicht nur als unseren bewährten Autor. Auch als Mensch! Das ganz besonders!“ Sie drückte ihm freundschaftlich die Hand, während sie sich setzten. „Ihre fundiert wissenschaftlichen Sachbücher, die wir herausgebracht haben, waren immer ein Erfolg“, begann sie. „Nicht