Leon Lichtenberg

Hey Joe


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zu widersprechen. Aber was Hotzenplotz wirklich für eine Einstellung zu Vergangenheit und Gegenwart hatte, war nie herausgekommen. Jo hatte deshalb ein mulmiges Gefühl nach Abgabe der Arbeit.

      Die letzte Arbeit war dann in Englisch gewesen. Da hatten sie eine Nacherzählung zu schreiben, nachdem der Text zweimal vorgelesen worden war. Dazu hatten sie dann zwei Fragen zu den Textinhalten mit eigenen Meinungen und Einschätzungen zu beantworten. Das ging Jo mit der gleichen Strategie an wie schon in Französisch.

      Am Freitagnachmittag war dann eine Last von allen abgefallen und sie waren nach der Schule noch zusammengeblieben. Yvonne hatte aus dem Schulbüro zu Hause angerufen und die Ankunft der gesamten Klasse angekündigt. Sie waren dann zu der Villa gefahren, die Jo schon von seinen Nachhilfestunden kannte. Vorsichtshalber hatte er seinen Wagen etwas abseits geparkt und die Pappe unter den Motor gelegt. Weil die Sonne schien, war die gesamte Gruppe auf die Terrasse geleitet worden. Dort standen geflochtene Gartenmöbel für mindestens zehn Personen. Für den Rest hatte man schon Gartenstühle dazugestellt. Auf einem Tisch standen Sektgläser und in einem großen silbernen Kübel ein paar Flaschen Henkell Trocken.

      Die Haushälterin, von der Jo schon Tee kredenzt bekommen hatte, erschien und schenkte den Sekt ein. Dann kam auch noch Vonnes Mutter, die Jo bisher noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Sie war eine elegante Frau in einem eng geschnittenen grauen Kostüm. Sie machte nicht den Eindruck, als ob sie sich aktiv an der Hausarbeit beteiligen würde. „Ich möchte mein Glas erheben und anstoßen auf den Abschluss der Abiturprüfungen. Ihnen allen wünsche ich, dass Sie ihre selbstgesteckten Ziele damit erreicht haben.“ Nach diesem kurzen Trinkspruch nippte sie kurz an ihrem Glas. „Frau Doktor, darf ich jetzt die Schnittchen servieren?“, meldete sich die Haushälterin. „Selbstverständlich, Clara, die jungen Leute werden doch Hunger haben. Ich muss mich leider verabschieden. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Nachmittag.“ Mit diesen Worten verschwand die Frau Doktor, wobei Jo nicht klar war, ob sie wohl selber Ärztin war oder sich nur mit dem Doktortitel ihres Mannes dekorierte.

      Die Terrasse ging in einen Park über, der sich über einen Hang zog. Eine riesige nutzlose Rasenfläche wurde von Sträuchern und Blumenbeeten begrenzt. Von seinem eigenen Zuhause kannte Jo nur Gartenflächen, die für irgendetwas nützlich waren. Zwar hatten sie an der Straße auch einen kleinen Blumengarten, aber hinter dem Haus befand sich eine Wiese, die der Opa im Sommer mit der Sense mähte, um Grünfutter für die Kühe und Schweine zu haben. Außerdem standen dort Kirschen-, Pflaumen-, Birnen- und Apfelbäume. Daneben gab es einen großen Gemüsegarten, in dem seine Mutter und Oma den größten Teil des Jahres arbeiteten, um die Versorgung sicherzustellen. Außerdem gab es noch einen Hühnerhof am Haus. Und hier war eine Fläche, die mindestens genauso groß war, einfach nur so für nichts da. Sie musste sogar noch von einem Gärtner gepflegt werden. Der mühte sich gerade mit einem Rasenmäher ab.

      Von weitem erkannte Jo, dass es sich bei dem Gärtner um Erwin handelte, einen etwas älteren Mitspieler aus der Reservemannschaft von Tura. Als der mit seinem Mähgerät näher kam, ging Yvonne auf ihn zu: „Herr Hodding, vielleicht können Sie erst einmal etwas anderes erledigen. Ihre Arbeit stört uns doch etwas.“ Erwin hatte nur unterwürfig genickt und sich dann verzogen, nicht ohne vorher einen Blick auf die Gesellschaft zu werfen und dabei natürlich auch Jo zu entdecken. Er wagte aber nicht, sich ihm zu erkennen zu geben. Jo hob auch nur schwach die Hand zum Gruß. Vermutlich würde es in Langhorst nun die Runde machen, dass Jo jetzt Zugang zu den besseren Kreisen bekommen hätte. Aber er war in letzter Zeit auch nur noch selten im Dorf unterwegs gewesen. Didi war mittlerweile bei der Marine, und Fußball spielte er auch nur noch, wenn wirklich Not am Mann war.

      Sekt war vielleicht ein geeignetes Getränk, wenn man in feineren Gesellschaften belanglos plaudern wollte, aber es war nichts gegen den Durst von ausgelaugten Abiturienten. Deshalb verabschiedete sich der harte Kern, das heißt fünf Jungs und drei Mädchen der Klasse, nachdem auch das letzte Schnittchen von der Platte verschwunden war. Man beschloss, mit einer Kiste Bier im Stadtpark die immer noch vorhandenen Spannungen aus dem Körper zu vertreiben. Jo war natürlich auch dabei. Nach Hause schaffte er es dann nicht mehr, nachdem es nicht bei der einen Kiste geblieben war. Er schlief bei seinem neuen besten Freund Jürgen, mit dem er vermutlich auch die nächsten eineinhalb Jahre beim Grenzschutz verbringen würde. Am Wochenende musste er sich mal wieder etwas intensiver um Manuela kümmern. Die hatte er wegen der Schule etwas vernachlässigt.

      XII

      Aber einfach war die Beziehung zu Manuela nicht. Dafür gab es sicherlich eine ganze Menge von Gründen. Da war natürlich zuerst die Mutter, für die Jo nach wie vor nicht der geeignete Umgang war. Allerdings gab es scheinbar innerfamiliär bei den Böllings über ihn unterschiedliche Ansichten. Der Vater hatte ihn mal wieder zu einem Bier eingeladen und sogar den Vorschlag gemacht, er könne in den Ferien bei ihm im Büro arbeiten. Das ging Jo aber doch etwas zu weit. Außerdem war die Zeit der Ferienjobs wohl endgültig bald vorbei.

      Manuela selbst schien sich auch zu verändern. Sie trug nicht mehr den Pferdeschwanz, den Jo so an ihr gemocht hatte. Sie hatte jetzt lockige, halblange Haare, die ihr auch gut standen und die sie etwas reifer und älter aussehen ließen. Außerdem schminkte sie sich auch während der Woche, allerdings sehr dezent. Die Warnungen ihrer Mutter in Bezug auf ihn schien sie weitgehend zu ignorieren. Sie war jedenfalls noch ein paar Mal mit ihm ausgegangen, sogar während der Woche. Er war mit Jürgen und dessen Freundin Petra nach Langenheide gefahren, mit dem Opel Rekord von Jürgens Vater. Der war zufällig auch der Zahnarzt der Familie Bölling. Und Jürgen war zusammen mit Jo zur Haustür gegangen, um Manuela abzuholen. Die Anwesenheit des Zahnarztsohnes hat bei Manuelas Mutter wahre Wunder bewirkt. Dass sie dann mitgehen durfte, war auf einmal kein großes Problem mehr.

      Nach dem Kneipenbesuch waren Jo und Manuela dann noch mit dem alten Fiat in ein Waldstück gefahren und hatten noch eine Zeit lang geknutscht. Beim letzten Mal hatte sie einen Rock angehabt anstatt der sonst üblichen Jeans. Sie hatte sich auch nicht gewehrt, als er beim Küssen seine Hand auf ihren Bauch legte. Dann hatte er den Weg in ihren Schlüpfer gefunden und ihre Schamhaare gekrault. Das hatte sie erregt, und sie hatte leise gestöhnt. Auch sein Herz schlug schnell und ihm wurde heiß, als sie ihren Handrücken auf seinen Hosenschlitz drückte. Dann hatte sie sich plötzlich einen Ruck gegeben und geflüstert: „Schluss jetzt, mehr geht im Augenblick noch nicht.“ Jo hatte das akzeptiert, auch wenn er danach unruhig geschlafen hatte.

      Aber dann war sie mit ihrer Mutter wieder an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden in kulturellen Angelegenheiten unterwegs gewesen. Jo hatte das Gefühl, dass neben der Einübung bildungsbürgerlicher Attitüden die Trennung von dem Burschen aus eher proletarischen Verhältnissen ein mindestens gleichgewichtiger Grund dafür war. Aber vielleicht hatte sie auch nur keine geeigneten gleichaltrigen Freundinnen, mit denen sie ihren Kulturbedürfnissen nachgehen konnte. Er hätte sich seiner Mutter jedenfalls nicht auf eine solche Weise unterworfen. Gut, die wäre sicherlich auch nie auf die Idee gekommen, mit ihm in die Oper zu fahren oder in ein Museum.

      Jürgen hatte ihn an den freien Wochenenden zum Segeln eingeladen. Seine Eltern hatten auf dem Steinhuder Meer eine Segeljolle; und Jürgen hatte dort schon von klein auf das Segeln gelernt. „Du bist jetzt mein Vorschootmann“, hatte er zu Jo gesagt. Das bedeutete zunächst, dass seine hauptsächliche Aufgabe darin bestand, das Focksegel stramm zu halten. Bei stärkeren Brisen war das gar nicht mal so einfach. Dann durfte er auch mal an die Pinne und dort verschiedene Manöver ausführen. Dabei lernte er den Unterschied zwischen Wende und Halse. Im Yachthafen hatten sie dann andere Jugendliche getroffen, die Jürgen alle kannte. Mit denen hatten sie dann Fischbrötchen gegessen und noch ein paar Bier getrunken. Am zweiten Wochenende war Petra auch mitgekommen, und sie hatten einen wunderschönen Samstag zu dritt.

      Sonntags war er dann mal wieder in der Diskothek gewesen - alleine. Jens kam sofort angestürmt. „Na Bauer, heute ohne deine kleine Freundin. Ist es schon aus mit der ersten großen Liebe?“ Jo konnte diese großspurige und besserwisserische Art nicht ab. Der Knabe lag ihm einfach nicht. „Du liegst gleich zweifach falsch, mein Lieber, erstens ist es nicht meine erste große Liebe und zweitens ist die Liebe zwischen uns größer als du dir vorstellen kannst.“ „Da ist für dich aber auch gar nichts drin“, schob