Leon Lichtenberg

Hey Joe


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und erklärte den anderen, dass er abgelehnt worden sei. Er könne jetzt nach Hause fahren. So ging das dann weiter, bis insgesamt sieben Jungs aussortiert worden waren. Jo war nicht dabei. Der schneidige Offizier kam dann heraus und erklärte, für den Rest der Gruppe gehe es am nächsten Morgen um acht Uhr mit dem Sporttest weiter. Die erste Hürde war also schon einmal genommen. Ecki war auch noch dabei.

      Zunächst ging es wieder in die Kantine. Da kannten sie sich jetzt schon aus. Sie kamen mit ein paar Jungs ins Gespräch, die dort auch in Zivil saßen, aber schon Buschisten waren. Die schwärmten ihnen vor, wie locker der Dienst sei. Das klang nicht schlecht. Es war ein warmer Frühlingsabend, und die restliche Gruppe hatte keine Ahnung, wie der zweite Abend in Hannover aussehen sollte. Ecki wollte noch einmal zum Schwesternheim fahren und schauen, ob er eines der Mädchen aus der Disco noch einmal treffen könne. Die hatte ihn wohl beeindruckt.

      Jo fuhr zum ersten Mal in seinem Leben mit der Straßenbahn. Das war ein echtes Abenteuer, weil er keine Ahnung hatte, wie man das überhaupt machte, mit der Fahrkarte und so. Außerdem wusste er auch nicht genau, wohin er eigentlich wollte. Er fuhr bis zu Hauptbahnhof, das schien eine ziemlich sichere Angelegenheit zu sein. Da lief er dann ein wenig ziellos herum und kam auch auf den Opernplatz. Da sah er dann den riesigen Kasten, in den Manuela ihre Mutter hin und wieder begleiten musste. Er kaufte eine Ansichtskarte vom Opernhaus und schrieb an seine neue Freundin. „Liebe Manuela, herzliche Grüße aus Hannover. Zwar habe ich es noch nicht bis in die Oper geschafft. Aber ich sitze auf den Stufen davor und denke an dich. Dein Jo“. Dann kaufte er an einem Kiosk die neueste ´pardon´ und fuhr wieder zurück in die Kaserne.

      Am nächsten Morgen stand das Finale an. Oberleutnant Schuster hatte jetzt einen grünen Trainingsanzug an mit einem Bundesadler auf der Brust. Darin sah er noch drahtiger aus als in der Uniform. Zunächst ging die Gruppe von den verbliebenen zehn Leuten in eine Turnhalle. Da musste dann jeder als erstes auf einem Klettergerüst bis unter die Decke kraxeln, danach das Ganze an einem Seil und noch einmal unter erschwerten Bedingungen nur mit den Armen. Schuster machte es vor; bei ihm sah es ganz locker aus, wie er seinen Körper hochzog. Die Jungs mühten sich bei der letzten Übung ab; nur Ecki schaffte es bis ganz hoch. Jo versagten die Kräfte zwei Meter vorher. Ein paar andere hingen wie schlappe Mehlsäcke am Seil. Dann ging es nach draußen auf den Sportplatz. Hochsprung, Weitsprung, Hundertmeterlauf, Kugelstoßen, das ganze Programm. Zum Abschluss kam noch ein Dreitausendmeterlauf. Jo war eigentlich ein ganz guter Sportler, aber eine solch lange Strecke war er noch nie gelaufen. Schuster lief zusammen mit ihnen. Ein paar andere Förster in bollerigen Trainingsanzügen standen mit Stoppuhren am Rand und verfolgten den Lauf. Das Feld fiel schnell auseinander. Jo war mit Schuster und zwei anderen Jungs vorne dabei. Bis zweitausend Meter ging alles noch ganz gut. Dann zeigte der Oberleutnant den Jungs mal, was in ihm steckte und gab Gas. Da kam keiner mehr mit. Er stand schon lange an der Ziellinie, als die nächsten eintrafen. Jo wurde dritter. Er war völlig ausgepumpt und warf sich erst einmal ins Gras. Da mussten die letzten Teilnehmer allerdings noch ein paar Runden drehen.

      Von den restlichen zehn Jungs blieben nach diesem Härtetest noch sechs übrig; und Jo war dabei. Er erhielt vom sportlichen Schuster am Nachmittag eine Bescheinigung, dass er voraussichtlich zum 1. Oktober 1967 seinen Dienst antreten könne. Damit könnte der Weg für die nächsten zwei Jahre bestimmt sein, falls nicht noch etwas Unvorhergesehenes passieren würde. Das war einerseits schon beruhigend, andererseits empfand Jo es nach wie vor ziemlich als befremdlich, demnächst womöglich den Posten eines Uniformträgers und Polizeibeamten mit hoheitlichen Aufgaben zu bekleiden.

      X

      Am Samstagabend hatte Jo Manuela zu Hause abgeholt. Ihre Mutter war ausnahmsweise anwesend und hatte ihn an der Tür gleich in die Mangel genommen. „Herr Bauer, meine Tochter ist erst siebzehn Jahre alt, und ich sehe es gar nicht gerne, dass sie abends mit einem Jungen weggeht. Sie müssen mir versprechen, dass sie spätestens um zehn Uhr wieder zurück ist.“ Eigentlich lohnte sich die ganze Aktion kaum. Jo hatte sich gedacht, mit ihr zuerst in den Jazz-Club zu fahren und anschließend noch ein Stündchen im Auto zu knutschen. Aber das war in der kurzen Zeit kaum noch möglich.

      Mehr als Knutschen war bei Manuela im Augenblick sowieso nicht drin. Das hatte sie ihm unmissverständlich deutlich gemacht. Sie wolle sich durch zu frühen Verkehr ihre Zukunft nicht verbauen, hatte sie zu ihm gesagt. Er hatte nicht genau verstanden, was sie damit meinte, hatte es aber akzeptiert. Die Dinge würden sich vermutlich sowieso von alleine entwickeln – wie auch immer.

      Bei Manuelas Mutter hatte Jo das Gefühl, dass sie ihn nicht leiden konnte. Vielleicht hatte jede Mutter einer Tochter in diesem Alter Angst um ihr Kind, das war grundsätzlich verständlich. Aber Jo hatte den Eindruck, es ginge auch um ihn ganz persönlich. Vielleicht wusste sie schon mehr über ihn als er dachte. Und der Junge aus einfachem Elternhaus war vermutlich nicht der Umgang, den die kulturbeflissene Dame sich für ihre Tochter so vorstellte.

      Sie fuhren also in den Jazz-Club. Eine Gruppe von uralten Daddys aus New Orleans gab ein Blues-Konzert. Das war echt Klasse Musik, die auch Manuela gefiel. Sie klatschte begeistert mit. Für sie war es vermutlich ein wohltuendes Kontrastprogramm zu dem, was sie im Fahrwasser ihrer Mutter sonst so kulturell zu erleiden hatte.

      In der Pause unterrichtete Jo dann Jürgen über seine Erfahrungen bei der Bewerbung in Hannover. Manuela war immer an seiner Seite. Sie hatte ihren Arm um seinen Körper gelegt und schaute ihn häufig von der Seite an. Die war echt süß. Jo war stolz, mit einem so hübschen Mädchen auftreten zu können.

      Kurz vor zehn mussten sie dann auf ihr Drängen das Lokal verlassen und den Heimweg antreten. Vor der Garage in Langenheide blieb sie dann aber noch sitzen, und sie küssten sich noch lange. „Es ist schön, dass ich dich habe“, sagte Jo zum Abschied. Als sie dann an der Haustür klingelte, bemerkte Jo, dass sich eine Gardine bewegte.

      Am Montag stand Manuela schon auf dem Parkplatz vor der Schule, als er mit seiner alten Kiste eintraf. Das war ungewöhnlich; normalerweise sprachen sie erst in der großen Pause miteinander und dann auch nur kurz. Bei der kurzen Episode vor der Garage hatte Jo am Samstag eine mittlere Katastrophe ausgelöst, jedenfalls klang das so aus dem Munde seiner Freundin. Sein Fiat hatte nämlich auf dem Pflaster einen Ölfleck hinterlassen. Das war an sich nicht außergewöhnlich, denn der Motor war mittlerweile so undicht, dass er ständig und überall leckte. Als Sofortmaßnahme hatte Jo eine Dose mit Motoröl im Kofferraum, um bei Bedarf oben für Nachschub zu sorgen. Außerdem hatte er hinter dem Rücksitz eine Pappe, die er bei längeren Aufenthalten unter den Motorblock legt. Am Samstagabend hatte er aber wirklich nicht daran gedacht. Dass Manuelas Mutter einen übertriebenen Reinlichkeitsfimmel hatte, war ihm schon bei seinen Besuchen im Haus aufgefallen. Und nun war er gleichermaßen als Täter und Opfer in diese Obsession hineingezogen worden.

      Auf das Innere des Hauses schien sich dieser Spleen nicht zu beschränken. Denn obwohl Sonntag war, an dem man ungeschriebenen Gesetzen folgend nicht draußen durch körperliche Arbeit auffiel, hatte sie mehrfach versucht, mit einem Schrubber und Seifenlauge den Fleck zu entfernen. Allerdings war immer noch eine dunkle Stelle zurückgeblieben. Daraufhin musste der Vater ebenfalls noch am Sonntag die betroffene Waschbetonplatte herausnehmen und durch eine neue aus seinem Lager ersetzen. Das wiederum hatte auch keine befriedigende Lösung ergeben, denn die neue Platte war im Verhältnis zu den schon vorhandenen zu hell. Offensichtlich war damit der guten Frau das ganze Wochenende völlig vermiest worden. Manuela hatte darunter zu leiden. Wenn sie es auch nicht so deutlich formulierte, so hatte Jo doch den Eindruck, dass der Umgang mit ihm aus Sicht der Mutter zukünftig möglichst unterbleiben sollte. Jo meinte, er würde das schon wieder geradebiegen, aber Manuela machte einen etwas panischen Eindruck.

      Als er dann in seine Klasse kam, gab es eine weitere Neuigkeit, die das gesamte Gymnasium irgendwie in Aufruhr gebracht hatte. „Hast du schon mitbekommen, dass wir jetzt ein Negermädchen an der Schule haben, Bauer?“ Mit diesen Worten wurde er gleich von Jens an der Klassentür empfangen. „Sieht scharf aus, so ein kleines wildes Tier!“ Yvonne wusste mehr darüber. Clarissa, so hieß das Mädchen, war mit ihrer Mutter aus Hessen gerade nach Lüdecke umgezogen. Die war jetzt als Narkoseärztin am Kreiskrankenhaus eingestellt worden. Vonnes Vater hatte das alles eingefädelt. Er hatte früher