Christa Müller

Tango ohne Männer


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Kraft ihrer Jugend. Ihnen gesellte sich eine dritte Gestalt hinzu. Sie sah, wie in Willis kindlich werdender Miene Zorn aufglühte, wie seine Augen bettelten, wie sein Körper vor Wut steif wurde und seine Hände sich zu Fäusten ballten. Sie aber lachte. Die Gestalt hinter Willi war Teubler.

      Was ist denn, mein Schäfken?, fragte sie. Willi, mach doch kein Drama draus! Du warst alt genugens um in dein eigenes Bett zu schlafen. Allein hätte ich uns nicht durchgebracht. Das Geld verfiel. Der Franzose hielt uns besetzt. Karl Teubler hat mich geheiratet. Mit vier Kindern!

      Er hatte mich nicht lieb, klagte Willi.

      Du warst eifersüchtig, sagte sie.

      Willis Lachen gellte ihr in den Ohren. Eifersüchtig warst du! Keine Ferne hat mich vor deiner Eifersucht geschützt, wenn ich ein Mädchen ansah.

      So ist das, sagte sie. Ganz genau so!

      Seit du gefallen bist, bin ich nicht mehr froh gewesen. Als dein Vatta tot war hatte ich noch Kraft. Bei dich war ich wie ausgehöhlt von Herzeleid. Ich habe nie geweint. Salzige Tränen, hier sind sie drin. Eine Flut. Das Herz säuft mich ab wie ein Stein. Aber sag mich vorher wie du umkamst!

      In der Salzflut bin ich ertrunken. Abgeschossen überm Lyngenfjord.

      Du warst doch bei die Flak!

      Ist doch egal. Ich stand am Geschütz und im Fadenkreuz tanzte meine Messerschmidt. Ich sah mich in der Kanzel. Deutlich. Gab Feuer. Ein Wölkchen verpuffte am Himmel. Der Rest trudelte ab in die See.

      Was für ein Unsinn, Willi! Ihre Seele strengte sich an, ihn aufzuhalten.

      Willi! rief sie, was ist mit die Spechte? Habs gesehn! Mit meine Augen, die Vögel! Eins machte das andre tot. Das ist wider die Natur. Ach, wärst du bloß nicht in Krieg gegangen, schrie sie und der Atem wurde ihr knapp. Sie keuchte, als versuche sie den Entschwindenden einzuholen. Dann wandte sie sich dem anderen zu: Willem! Mit dein Tod fing alles an. Kommst aus dem Krieg und stirbst mich weg, klagte sie laut.

      Die Influenza, sagte Wilhelm bekümmert. Im Krieg bin ich dem Sensenmann entkommen. Mit der Schnauze im Dreck. Wie ein Käfer, der sich totstellt. Nur nicht den Kopf heben! In den Schlamm wühlen, in Schrapnellsplitter, in Stacheldraht, in Gaspatronen. Der Tod brüllte: Steh auf! Lauf! Sonst verreckst du! Aber ich grub meine Finger tiefer in die Erde, hielt mich fest an ihr mit Klauen und Zähnen. Taub vom Lärm sah ich die Spuren der Geschosse über mir, als ich die Augen hob. In diese Stille hörte ich dich sagen: Willem, bleib du bloß heil! Du trugst das weiße Kleid. Unter deinen aufgetürmten Locken lachtest du mich an.

      Der Tod hatte mich nicht vergessen. Schickte mir im Morgengrauen einen Feind. Ich wollte mich nicht rühren. Und musste niesen. Ich nieste wie verrückt. Der oben am Trichterrand legte an. Ich hob die Hände übern Kopf. Frater! schrie ich. Nix schießen! Ich rappelte mich hoch. Ich kroch zu ihm hinauf. Sein Bajonett auf meiner Brust. So kam ich aus dem Krieg. Frau! Ich wollte unsere Töchter heranwachsen sehen und unsere Urenkel noch. Ich habe kein Gewehr mehr angerührt. Auch nicht gegen Freikorps und Reichswehr. Ich bin malochen gegangen. Du weißt es.

      Ja. Ich habe Kappus gekocht. Jeden Tag Kappus. Füllte dich den Henkelmann, als du in Phönix gingst. Sagte dich: Willem, mach kein Unsinn! Die Augen glänzten dich. Der geht jetzt zu die Barrikaden, dachte ich. Es war das Fieber. Das Kind stieß mich, als ich zu dich rannte. Wollte raus, sein Vatta sehn, bevor der sich davonmacht.

      Kommst aus den Krieg und lässt mich allein mit die Kinder.

      Frau! Du hattest so viel Kraft.

      Willem, vier Jahre habe ich niemanden angeguckt.

      Wilhelms sommersprossiges Gesicht erheiterte sich. Nein doch! So eine Wilde wie du?

      Nur mit dir. Glaubs! Kaal Teubler bekam mich erst in der Hochzeitsnacht. Stimmt doch! Kaal? Ihr Erinnern tastete nach seinem Schattenbild.

      Der Schatten flüsterte: Quäle dich nicht. Das hatte Karl Teubler nach dem Blutsturz geröchelt, mit dem sein Leben endete.

      Nach und nach stellte sich in ihrer Brust ein Gefühl ein, als bahne die Salzflut, die ihr Herz erdrückte, sich einen Weg durch die Augen ins Freie. Die Töchter, die bei ihr saßen, vernahmen nur den stockenden Atem. Die Tränen löste die Hitze des Fiebers in den Zellen des Fleisches für immer auf.

      Weine, sagte Karl Teubler. Das macht dich leicht. Leicht musst du werden.

      Kaal, sagte sie, die Hochzeit mit dich war mein Pakt mit das Leben. Er gildete nicht mehr, als du dann tot warst.

      Als Willi tot war, sagte er sanft.

      Wie kannst du mich das sagen!

      Du hast ihm gehört.

      Ja, dachte sie.

      Du lagst bei mir, aber warst nicht bei mir, du lauschtest dem Atem des Jungen. Sogar, als wir eine eigene Kammer hatten, entging dir keine Regung nebenan. In keinem Augenblick.

      Ja, dachte sie. So ist das. Genau so. Hast du doch wissen gemusst! Eifersüchtig warst du. Sie fasste ihn fest ins Auge. Sein schwindsüchtiges Aussehen verlor sich. Er wurde zu jener Person, die eines Tages ihre Küche betreten hatte, um ihr eine Versicherung aufzunötigen. Er steckte in einem maßgeschneiderten Anzug, das hatte sie auf den ersten Blick gesehen. Davon verstand sie was. Der Versicherungsvertreter Karl Teubler sagte: Sie haben vier Töchter! Willi trug Kleidchen, das ließ den Rivalen noch unerkannt. Was wird aus denen, wenn ihnen, meine liebe Frau, etwas zustößt?

      Sie hatte schallend gelacht, er sie verständnislos angeblickt und plötzlich gestrafft vor der Nähmaschine gestanden, hinter der sie saß, um das Leben für sich und die Kinder zu verdienen. Aus seinem makellos reinen Hemdkragen war Röte vom Halse zu den tadellos rasierten Wangen gestiegen. Er hatte nicht begriffen, weshalb sie lachte und ganz begriff sie es auch nicht. Vielleicht, weil er gesagt hatte: Meine liebe Frau!

      In einer Aufwallung mütterlich schwesterlicher Zärtlichkeit wusste sie, dass es um Versicherungsangelegenheiten nicht ging, als er, seinen halt- suchenden Blick auf das Schwungrad der Maschine gerichtet, sie mit Strenge fragte: Haben Sie diese Singer schon abbezahlt?

      Sie war versucht gewesen, ihn zu fragen, ob denn sein schöner, grau-wollener Anzug bezahlt sei. Doch sie sah seine glühenden Ohren unter den geschorenen Schläfen und das spiegelglatt aus der Stirn gebürstete Haar mit dem messerscharfen Scheitel und dort die verletzliche Kopfhaut, muschelweiß. So wenigstens an Sonntagen auszusehen, hatte Wilhelm sich vergeblich bemüht. Dieser Teubler aber sah wohl jeden Tag so aus.

      Mein Herr, ich tätige niemals Abzahlungsgeschäfte, sagte sie. Alles was sie hier sehen, gehört mich! Er wurde noch dunkler. Sie trug nur eine Wickelschürze und sein Blick irrte über ihre bloßen Arme, zu ihrem Hals, in den Schürzenausschnitt, wo dicht beieinander ihre Brüste lagen, unter die sie die Arme geschlagen hatte. Sein Blick wagte sich hinter den Lidern hervor. Sie wich diesem Blick nicht aus. Ein Zug in seiner Miene erschloss sich ihr nicht. Fast ein Grinsen, halbseitig zwischen Nasenflügel und Schläfe. Nur zu sehen in einem bestimmten Lichteinfall. Unwillkürlich glitt ihr Blick hinab zu seinen glänzenden Schuhen, als verberge sich in einem der Huf. Später tauchte dieser Moment in ihren Zweifeln auf, wenn sie sich fragte, was eigentlich er bei ihr, die sechs Jahre älter war und älter noch aussah, suche.

      Kaal, fragte sie jetzt, als wir nach Leipzig gingen, träumte mich, das Elsken ist schwanger und ihr Kind ist von dich. Der Traum hat mich gepeinigt, bis das Kind da war, das Füchsken. Gott sei Dank hatte es Willems Haut und Haar.

      Gespenster hast du gesehen, sagte er tonlos.

      Sollte ich mich nicht Gedanken machen? Abend für Abend war Elsa für die Versicherung auf die Beine. Zur gleichen Zeit wie du.

      Er lachte. Nacht für Nacht kamst du in mein Bett gekrochen. Du hast mich bewacht. Je länger wir zusammen lebten, je größer die Mädchen wurden, um so klarer kam es ans Licht: Du warst eifersüchtig auf deine Töchter. Jede von ihnen hätte für meine Frau gelten können. Wenn ich mit Elsa durch die Stadt ging, stürzten sich die Fotografen auf uns „Hochzeitsreisende". Sie hatten alles, deine Töchter, was du nicht mehr hattest. Und du hattest, was keine noch hatte! Nämlich