Christa Müller

Tango ohne Männer


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Löwin. So stark, so unerschrocken. Du warst, wie ich hätte sein wollen. Du warst die geborene Geschäftsfrau. Und wäre ich zu Gelde gekommen, hätte ich dir einen Modesalon eingerichtet. Du konntest das: Mit Geld umgehen und mit Leuten.

      Ja. In meine Küche. Zwischen Ausguss und Nähmaschine. In Hörde. In Halle. In Leipzig. Kaal. Sie werden meinen Sarg auf deinen stellen. Wird nicht viel übrig sein von. Ich habe Willem überlebt und dich und Willi auch. Ich will die Augen zumachen, und es soll ewig dunkel bleiben.

      Ihr Körper war in Hitze. Sie hörte ihren eigenen Atem laut und schwer und entfernt die Stimmen ihrer Töchter, die nicht darüber einig werden konnten, ob man das Fenster offen oder geschlossen halten solle.

      Hinter ihren geschwollenen Lidern gewann eine lange entschwundene Gestalt Konturen, und sie gönnte es sich, sie in der Pracht all dessen erstehen zu lassen, was sie als Mädchen den Kopf verlieren ließ: ein baumlanger Kerl! Weißblond der Schopf und sein Vollbart. Sonnenverbrannt. Augen, blau wie ein wolkenloser Sommerhimmel, lachten sie unter der Schiffermütze an und hinter den Lippen zwei Reihen kräftige, unverfärbte Zähne, bei deren Anblick sie damals eine Gier auf ihn überfiel.

      Geertje, sagte sie, du hast mich gesagt, ich bin deine Frau! Du hast mich ein Kind gemacht und sitzen lassen! Die Luise nämlich. Wegen dem Königin-Luise-Tempel, nach dem du mich gezerrt hast.

      Gegenwärtig war ihr der Geschmack seines Mundes, seiner Haut, die nach Salzwasser roch und nach Teer aus den Planken des Lastkahns, mit dem er den Kanal von Emden herauf gekommen war. Gegenwärtig die Weite eines Himmels in seinen Augen, nicht zu finden bei den Männern, die im Schacht arbeiteten. Alle Bitterkeit der Demütigung durch seine, von ihr so erlebte, Unredlichkeit, abgelagert in ihrer Seele, darauf Hass auf sich, auf die Töchter, sogar auf die Enkelin gewachsen war, schien heraufgeschwemmt und sie ganz zu durchtränken. Sie forderte seine Antwort ein: Warum bist du nie mehr gekommen?

      Jeden Abend bin ich zum Hafen gegangen, sagte sie. Man sah mich noch nichts an, als der Kahn wieder an Pier lag. Die kannten dich nicht.

      Lüttje! Ich konnte nicht kommen. Die See hat mich geholt. Mit einer Springflut. Damit ich ihr nie mehr untreu werde. Denn mir wars ernst mit dir. Er legte seine Hand beteuernd auf die Stelle seiner Brust, wo dem Lebendigen das Herz schlug. Es war die Geste, mit der er Abschied von ihr genommen hatte. Noch der Bodensatz ihrer Kränkung schwand hin, unter dem Anblick der Hand auf seiner Brust, der sie glauben wollte, der süßen Leichtigkeit halber, wenn sie von ihrem Gram lassen konnte. Sie dachte: Noch ist sie nicht bei mich, die Luise. Wenn sie kommt, soll sie alles erfahren, das arme Dingens. Alle sind arme Dinger. Haben geglaubt es besser zu kriegen als ich. Waren Waisen, und der Krieg hat Witwen aus sie gemacht. Sie hatte vergessen, dass Luises Polizeiwachtmeister aus dem Krieg heil herausgekommen war. Der starb Jahre danach in seinem Bett.

      Sie hatte auch ihr die Tauerkleider genäht wie zuvor den beiden anderen Mädchen. Der Jüngsten zuerst, dem Elsken. Ein halbes Jahr drauf der Schwarzen. Elisabeth! Die Schwarze. Die Zigeunersche. Die Erste mit Willem. Er hatte sie nicht sitzen lassen. Und als die Elli da war, hat niemand glauben wollen, dass die von ihm sei. Aber Willem hatte nur gelacht. Und das Elliken lieb gehabt. Die Luise auch.

      Hinter den geschwollenen Lidern erschien ein freches Gesicht mit blitzenden Augen, nachtdunkel wie die Locken, die über den bunten Fetzen quollen, der um die Stirn geknüpft war. Ich bins! schrie der Zigeuner und riss feixend sein Maul auf. Sie kannte ihn nicht und glaubte ihn doch zu kennen. Er hörte nicht auf zu lachen. Sein drahtiger Leib bebte, er stützte die Fäuste unter seine Rippen, als drohe er zu bersten. Madam! Sie wollten doch immer wissen, wieso die Elisabeth so „zigeunersch" ausschaut. Das kommt von mir! Wir zogen über den Hellweg nach Westen. Ich fand ein Mädchen hinter den Sträuchern am Bach, die wusch ihren Brüdern Hosen und Blusen. Kerle, die nach Kohle scharrten. Ich warf das Mädchen ins Gras. Ließ einen Ring aus schwarzem Silber bei ihr. Ihre Brüder haben mich erschlagen. Aber sie trug den Keim in sich: mein Blut. Meine Kraft. Und in dem Kinde mit dem unpassenden Namen, Elisabeth!, das dir fremder ist, Madam, als deine andern, sind sie auferstanden.

      Ja. Es gab diesen Ring! Ida erinnerte sich. Ömmi, die Urahne, verwahrte ihn im Leinensäckchen mit anderen rätselhaften Dingen. Er rostet nicht, hatte die Ahne gesagt und den Ring an ihrer rauen Schürze gerieben, eine schwarze Schlange, die sich in den Schwanz biss. Glanz erschien dann auf der ziselierten Schuppenhaut des Reptils. Ein Zauberring, murmelte zahnlos die Alte. Blut klebt daran. Hab ihn von meiner Urahne. Brachte ihr kein Glück. Ich will ihn mit ins Grab nehmen, Ittlkind, ihn ihr zurückbringen.

      Und Ida hatte der Urahne versprochen, wenn es soweit war, ihr den Ring aufs Herz zu legen. Und hatte es getan.

      Bist du hier, Ömmi?, fragte Ida hinter ihren geschwollenen Lidern.

      Krummgezogen trat die Alte aus Nebeln, die dichter wurden. Sie ging im dunklen Sonntagsstaat. So hatte sie im Sarg gelegen, ihr runzliges Gesicht ganz glatt, und Ida hatte sehen können, wie schön sie war. Der Sarg stand offen in der Kammer auf zwei Stühlen. Das Kind stahl sich hinein und war allein mit ihr. Es blickte in das von der Haube festlich umrahmte Gesicht und streckte die Hand hin, auf der es den Ring vorzeigte. Die Urahne regte sich nicht. Das Kind öffnete ihr einen Blusenknopf. Zum Vorschein kam das Hemd, von Ömmi selbst gewebt, und Ida schob gewissenhaft den Ring darunter auf die verabredete Stelle. Knöpfte die Bluse zu und sagte: Nu komm in Himmel!

      Wo bist du, Ittlkind? Du häwst mich doch rufen.

      Die Sterbende spürte, als sie der Gestorbenen begegnete, die dunkle Geborgenheit, die zuverlässige Wärme, die sie mit dem Wermutduft aus den Röcken der Alten durchdrang, wenn sie ihr verheultes Gesicht hineingedrückt hatte, ein winziges Kind, das auch sie einst war.

      Brauchst dir nich förchten, min Deern, allens wird gaud, murmelte die Alte.

      Der Ring? fragte Ida. Haste den Ring noch?

      Die Urahne kicherte. Willst ihn woll sehen? Bist gieprig, was? Allens, allens sein da! Ganze Sippschaft. Meine Urahn auch. Die mit dem Zigeuner! Allens warten dein.

      Ida beäugte hinter ihren geschwollenen Lidern die fremd vertrauten Gestalten, die sich um sie drängten, Köpfe, die sich über andere schoben. Gesichter, verbrannt von Sonne oder geschwärzt von Kohle, Männer und Frauen jeglichen Alters, nicht anders als die, unter denen sie aufwuchs, mit denen sie lebte. Ein ganz junges Mädchen mit rotblonden Zöpfen drängte sich dicht heran. Ich bins, kreischte sie. Nach mir hast du gefragt. Ich habe mich hingelegt für den Zigeuner. Sie haben ihn umgebracht. Sie waren voller Hass, meine Brüder, gegen Fremde. Mein Kind musste ich verstecken vor ihnen. Betteln musste ich um Brot.

      Die Menge drängte sich um die Sterbende, schamlos die Augen auf ihre Not gerichtet, nicht leben zu können und noch nicht tot zu sein. Vergeblich suchte sie ein Gesicht, an das sie sich halten konnte. Gierig schnappten die Münder nach Luft wie der ihre. Dalli! Dalli! machten die Zungen, die Augen, die Hände in ihre Richtung. Sie fühlte den Schrei in sich wachsen ohne die Silben zu kennen, bis er sie gänzlich erfüllte: Muttaa!

      Der Spuk war verschwunden.

      Schleppenden Schrittes näherte sich die Gerufene. Am Hals ihre Bluse stand offen, den Kropf nicht verbergend. Die Augen blickten gequälter noch als in der Erinnerung Idas. Ihr Haar lag glänzend, mit Schmalz gefestigt, am Kopfe.

      Ich bin hier, sagte sie.

      Idas Herz schlug sehr langsam. Elisabeths Finger am Puls der Mutter verrieten sich nicht. Elsa blickte ihrer Schwester ins Gesicht und flüsterte: Wie lange dauert es noch?

      Elisabeth zuckte die Achseln.

      Hinter ihren geschwollenen Lidern versuchte Ida Teubler die Mutter aus ihrem Gesichtskreis zu drängen, das Auge abzuwenden von ihr. Doch wohin sie es auch richtete, es traf auf sie.

      Was willst du von mich?, fragte Ida.

      Du hast nach mich gerufen, sagte die Frau.

      Ich habe nach dich gerufen! Vor fünfzig Jahren. In eine Nacht, als mich zum Sterben war.

      Ich bin dich nachgegangen.

      Nachgegangen! Rausgeschmissen hast du mich. Flittchen! Hafenhure! hast du geschrien, den Schuppen verrammelt, wo ich