Heidi Dietzel

Mei Ruah möcht i'ham


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an Frau Kommerzienrat Wilhelmine Liekefett in Neukölln.

       Verona, 12 febbraio.

      My Darling!

       Italia! Fühlst du nicht auch den ganzen Zauber, den dieses Wort auf jeden Gebildeten ausübt? Ich kann dir nur sagen, dass ich es kaum erwarten konnte, bis sich endlich der ewig blaue Himmel über uns wölbte. Mein Mann, der doch gewiss nicht allzu sensibel ist, rief schon in Kufstein: »Kinder, ich rieche schon den Süden«.

       Und Lilly machte so große Augen wie ein Kind und ich konnte kaum einschlafen.

       Denke dir nur, vor Ala erwachte ich von einem melodischen Geräusch und ich weckte Fritz und wir glaubten beide, es sei eine Flöte. Ich sagte noch, es ist gewiss ein Hirte, der seine Ziegen zur Weide treibt und eine alte Weise dazu bläst. Und ich malte ihn mir aus mit einem spitzen Hut und roten Bändern, wie man es doch öfter auf Bildern sieht. Aber als Fritz den Vorhang hochzog, war es noch dunkel und der Ton kam von der Dachrinne auf unserem Waggon. Es regnete nämlich. Das war freilich eine Enttäuschung, aber es ist doch schön, wenn die Phantasie so frei zu schweifen vermag und wenn man sich eigentlich nur Poesievolles zu denken vermag.

       In Verona kamen wir ziemlich früh an und es war ein schrecklicher Lärm auf dem Bahnhof. Ich dachte gleich an deine Mahnung und gab sehr Acht, dass der facchino unsere Gepäcke auch richtig an den Wagen brachte. Aber Fritz bekam zwei falsche Lire, als ihm der facchino herausgab.

       Es ist doch zu traurig, dass ein so herrliches Land solche Zustände hat!

       Addio für heute, Darling! Ich küsse dich tausendmal

       als deine überglückliche Mathilde.

       P. S. Im Tearoom unseres Hotels sah ich gestern eine englische Lady in einer Abendtoilette von rosa-gold gemustertem Brokat mit rosa Liberty und hellgrüner Tüllspitze. Das Kleid gefiel mir entschieden besser als das von Frau Thiedemann. Du weißt doch, der doppelt drapierte Rock mit Frackjacke und Kimonoärmeln.

       Nochmals Grüße und Küsse!

      Evviva la bella Italia!

      Ansichtskarte. Amphitheater in Verona.

      Fräulein Lilly Käsebier an Fräulein Lotti Jürgens, Berlin NW.

       12 febbraio.

       Hier ist alles wahnsinnig italienisch! Ach, wenn du doch hier wärst!!!

       Warst du bei Moissi?? Bitte, bitte, schreib mir darüber!!

       10 000 K. u. Gr. Sempre la tua

      Lilly.

      Frau W. Käsebier an Frau Kommerzienrat W. Liekefett in Neukölln.

       Venezia, 14 febbraio.

       My Darling!

       Gestern noch in Verona und heute sind wir schon in der lagunenumrauschten Königin der Meere! Welch ungeheure Eindrücke ziehen hier doch in raschem Wechsel an uns vorüber! Hier spricht ja jeder Stein zu dem Gebildeten und man kommt aus der künstlerischen Erregung ja eigentlich nie heraus.

       In Verona hat mich am meisten das Grab von Romeo und Julia interessiert. Zu denken, dass man hier an der Ruhestätte dieser beiden Unglücklichen steht, deren Schicksal uns so sehr gerührt hat, und dass vielleicht ganz in der Nähe jener Palazzo ist, auf dessen Balkon das liebeglühende Mädchen sprach: It was the nightingale and not the lark!

       Gott, wie man hier diese Poesie erst so recht versteht! Eigentlich müsste man mit Moissi hier sein.

       Findest du nicht auch, dass er in der letzten Zeit schlanker geworden ist? Thiedemanns erzählen, dass er müllert, aber Silberstein hat mir versichert, dass er die Fletcher-Kur gebraucht.

       Jedenfalls, es wäre wundervoll, wenn er hier auf einer Strickleiter vom Balkon eines Palazzo herunterstiege.

       So bevölkert unsere Phantasie auch die toten Gebäude mit den Gestalten der Dichtung.

       Von Verona sind wir im direttissimo hierher gefahren.

       Meyer hat es uns zwar zur Pflicht gemacht, dass wir in Vicenza aussteigen um die dortige Architektur zu sehen, aber Fritz sagte, wir hätten genug zu tun, wenn wir die eigentlichen Clous kennen lernen wollten.

       Und Kunstgelehrte haben doch alle einen Vogel. Findest du nicht auch?

       In Venezia sind wir am Bahnhof sogleich in eine gondola gestiegen und nach dem Hotel gefahren.

       Gott, wie mir da zumute war! So romantisch!

       Ich müsste immer an ein Lied denken, das man früher oft hörte, mit dem Refrain: »So singt der Gondoliere« oder so ähnlich. Aber eigentlich war es eine Enttäuschung, die Gondel nämlich und der Gondoliere. Ich dachte mir die Leute viel pittoresker, als schlanke Jünglinge mit silberbestickten violetten Schuhen usw. So sahen sie nun nicht aus.

       Ach, Darling, unsere Phantasie spiegelt uns doch so manches viel malerischer vor!

       Für heute Schluss! Wir sollen noch eine serenata auf dem Canal Grande hören.

       Addio, carissima mia! Tanti saluti! Tausend Grüße und Küsse!

       Deine Mathilde.

       Was sagst du zu meinem Italienisch? Krauses haben uns geschrieben, dass der junge Silberstein allgemein als pervers gilt. Glaubst du es? Gott, wie schrecklich!

       Friedrich Wilhelm Käsebier an Herrn Rentier Adolf Krickhan, Charlottenburg, Kantstraße.

       Venedig, oder Venezia,wie meine Olle zu sagen pflegt, 15. Februar.

       Oller Bouillonkopp!

       Meine fidele Karte aus München wirst du erhalten haben. Ich war nämlich mit dem jungen Krause noch auf einer Karnevalsbierreise, nachdem ich die Damenwelt ins Bett geschickt hatte. Junge, ich sage dir!

       Ein paar Nachtbetriebe mit Bier und Weißwürsten und Mädels!

       Hollolo juhu! Wir zogen noch mit 'n paar Dominos und einer Sennerin los in so eine Kutscherbude am Marienplatz. Fein mit Ei!

       Die Sennerin hatte 'n Ausschnitt und Vorjebirge! Ei wei, Backe!

       Du kannst dir denken, wie ich da in meinem Element war, und die Kleine war direkt in mich verschossen. Nu lach nich so dreckig!

       Sie sagte fortwährend: »Sie sin oder sein aber schlimm«, und Augen machte sie! Na, Junge, ich sage dir, nich zu knapp! Eigentlich schade, dass man weg musste und nu hier sitzt. Bleibe im Lande und nähre dich redlich – vastehste?

       Die Reise war bis jetzt so lila. In Verona bekiekten wir eine olle Ruine, die früher mal ein Zirkus oder Theater war. Ich sagte, Theaterruinen haben wir nu auch in Berlin genug, wo jede Saison 'n paar verkrachen, aber da kriegte ich's nich schlecht ab. Bildung – Junge!

       Hierzulande sin die ollen Klamotten Heiligtümer und meine Mathilde sieht fortwährend den Geist der Geschichte herumschweben.

       Ich sage bloß, 'ne ordentliche Portlandzementfabrik her und rin mit die Ruinen. Dafor können se uns noch dienen, die ollen Ruinen.

       Aber sag das mal zu diese Jüngerinnen Baedekers, und dann ein Blick, vastehste, der durch Weste und Hemd geht.

       Am Grabe Romios bemühte sich die Gattin eine Träne rinnen zu