Marianne Kaindl

Sechs Katzen und ein Todesfall


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und ich.

       22. April

      Morgens um 9 geht mein Frauchen normalerweise rüber ins Büro. Da arbeitet sie bis halb 11, und dann holt sie sich einen Kaffee. Nach einer kurzen Pause macht sie weiter. Manchmal darf ich mit. Dann inspiziere ich den Raum mit dem Schreibtisch und den Bücherregalen, danach noch das Besprechungszimmer. Anschließend setze ich mich aufs Fensterbrett und beobachte die Touristen, die an unserem Haus vorbeispazieren.

      So ist das normalerweise. Heute war alles anders.

      Der Wecker klingelte bereits um 6. Das ist für jemanden wie mein Frauchen so kurz nach Mitternacht. Sie drehte sich auch ein paar Mal herum und zog das Kissen über den Kopf, aber der Wecker war gnadenlos. Ich tröstete sie sofort und strich ihr liebevoll mit der Zunge übers Gesicht.

       „Baaahhh“, machte sie und schüttelte sich. So langsam rappelte sie sich auf. Sie war vielleicht früher mal eine Katze, wer weiß. Wir mögen es auch nicht, wenn wir abrupt aus dem Schlaf gerissen werden, und wir lieben es, am Morgen erst mal genüsslich in den Tag hineinzublinzeln, uns dann zu recken und zu strecken, einander kurz zu streicheln und dann noch mit viel Schlaf in den Gliedern zum Napf mit der Katzenmilch zu tapsen.

      Das Frauchen macht es ähnlich, nur tapst sie zur Kaffeemaschine.

      Aber nicht heute!

      Heute brummte sie „So ein Mist!“, setzte sich auf, lief mit einer für Menschen völlig ungesunden Geschwindigkeit die Treppe hinunter, haute sich den Zeh an, kippte uns das Futter in die Näpfe, rannte ins Bad, schlüpfte in Hose, Pulli und Mantel und patschte die Tür hinter sich zu.

      Eine Stunde später war sie wieder da. Sie führte Selbstgespräche. Das ist immer ein schlechtes Zeichen. „Dieser Idiot, kann der nicht mit 90 an Altersschwäche sterben, und gut ist’s!“ schimpfte sie. „Was immer der macht – es geht nicht ohne Drama ab.“

      Ich fragte sie, was denn los sei, aber Kätzisch versteht sie nur, wenn sie Zeit hat und gut drauf ist. Das war heute ganz offensichtlich beides nicht der Fall.

      Also schlüpfte ich hinauf ins Schlafzimmer und griff mir den Tablet-Computer. Ewigen Dank an Fritz-Kasper Schulze, den genialen Erfinder dieses genialen Tools, das Tablets für Katzen verwendbar macht. Er hat eine Software entwickelt, die unser Miauen in Menschensprache übersetzt und das Ergebnis dem Computer übermittelt. Der macht dann wieder Buchstaben draus. Auf diese Weise können wir so ein Tablet oder iPhone bedienen und ihm Befehle wie „speichern“ oder „App öffnen“ zumaunzen, und auf diese Weise können wir auch Texte eingeben. Computertastaturen sind nun einmal, leider, nicht für Katzenpfoten gemacht, und diese Touchfelder, mit denen man mobile Computer bedient, die schon gleich gar nicht.

      Ich habe gehört, dass Fritz-Kasper Schulze eigentlich Katzen nicht ausstehen kann. Er erfindet nur so furchtbar gern.

      Sei es, wie es sei.

      Wenn Frauchen nichts erzählt, dann hole ich mein Wissen eben aus dem Internet. Ich rief die App unserer Tageszeitung auf und wechselte in den Lokalteil. Da stand, gleich auf der ersten lokalen Seite:

      „Mord in Überlingen! Ehefrau fand Opfer tot im Wohnzimmer

      Der Unternehmens-Berater Franz F. aus Überlingen wurde vorgestern ermordet. Seine Frau, Gundula F., die den Abend bei einer Chorprobe des Kirchenchors verbracht hatte, fand den 56-Jährigen bei ihrer Rückkehr tot auf der Couch sitzend. Die Wohnung wies keinerlei Einbruchspuren auf, woraus die Polizei schließt, dass das Opfer seinem Mörder selbst die Tür geöffnet hat.

      Die Nachbarn des Toten sind geschockt. ‚Er war so ein freundlicher Mensch‘, berichtet Nachbarin Ottilie S., ‚kein Mensch hätte sich vorstellen können, dass er mal umgebracht wird‘. Nachbar Gustav B. will am Abend der Tat eine ihm unbekannte Frau im Aufzug gesehen haben. Die Polizei ermittelt noch.“

      Um ein paar weitere Details zu erfahren, rief ich die App einer anderen Zeitung auf. Da stand in großen, dicken Buchstaben: „Hat irre Ex-Frau Franz F. auf dem Gewissen? Aus TV und Presse bekannter Business-Coach heimtückisch mit Giftcocktail gekillt, Polizei verdächtigt Ex!“

      Ich lief rüber zu Purzel, die – wie meistens – direkt auf Frauchens Kopfkissen zusammengerollt döste.

      „Sag mal, Purzel“, fragte ich aufgeregt, „hieß der Ex von unserem Frauchen nicht Franz Frummelmann und war Unternehmens-Berater?“

      Purzel öffnete schläfrig ihre Augen und streckte sich. Sie hatte die Ruhe weg. Erst das linke Hinterbein, dann das rechte Hinterbein, dann die linke Vorderpfote, schließlich die rechte Vorderpfote. Danach gähnte sie eine Weile. Anschließend schaute sie hinüber zum Fressnapf, aber da war nichts drin. Sie kam langsam auf ihre Pfoten, dehnte nochmals das linke Hinterbein, dann nochmals das rechte, und als ich schon dachte, dass das Dehnen wohl nie aufhören würde, da maunzte sie: „Ja, so hieß der. Er war aber kein Unternehmens-Berater, sondern so ein Erfolgsguru. Also keiner, der in ein Unternehmen geht und denen hilft, es besser zu machen, sondern so ein Schwätzer, so einer mit den drei Stufen zum Spitzen-Erfolg oder so. Warum fragst Du?“

      „Ein Franz F. ist ermordet worden. Mit einem Giftcocktail. Seine Ex-Frau steht unter Mordverdacht. Gestern war doch die Polizei bei uns. Und heute Morgen musste Frauchen ganz schnell weg…“.

      „Wann ist er denn ermordet worden?“ fragte Purzel schläfrig. Die ist wohl durch nichts aus der Ruhe zu bringen.

      „Vorgestern Abend.“

      „Na, dann kann es unser Frauchen nicht gewesen sein. Vorgestern nach dem Tatort ging Frauchen gleich ins Bett und hat die ganze Nacht im Traum vor sich hingemurmelt. Ich habe alles mitbekommen, alte Leute wie ich brauchen nicht mehr so viel Schlaf.“

      Sie rollte sich wieder zusammen.

      Bevor sie erneut eindöste, hob sie noch einmal den Kopf und fragte: „Vergiftet, sagst Du?“

      „Ja, vergiftet.“

      Purzel nickte weise vor sich hin und schnurrte: „Ja, irgendwann wird jeder von seinen Taten eingeholt.“

      Dann steckte sie ihr Köpfchen zwischen die Pfoten, und schon kurz darauf hörte ich sie leise schnarchen.

       23. April

      Heute waren die zwei Männer schon wieder da. Frauchen retuschierte im Büro für einen Kunden Fotos, als sie kamen. Sie ging dann mit ihnen ins Wohnzimmer und machte die Tür zu. Ich bin aber schnell noch mit reingeschlüpft und habe mich hinter der Couch versteckt.

      „Frau Sommerthal, Sie wurden am 16. April von einer Zeugin zusammen mit dem Ermordeten gesehen. Und zwar in einer Modeboutique. Sie probierten ein dunkelblaues Modellkleid an, er zahlte dafür. Obwohl Sie angeblich keinen Kontakt mehr mit ihm haben. Warum haben Sie uns gestern angelogen?“, fragte der eine der beiden Männer streng. Er war drahtig, durchtrainiert, groß, um die 40 und trug einen Schnauzbart. So der Typ Goldkettchenmann, wenn Sie wissen, was ich meine. Tatsächlich hatte er auch eine schwere goldene Kette um den Hals. Meine empfindliche Nase hielt seinen durchdringenden Gestank fast nicht aus. Wenn ich mich in Herrenparfums auskennen würde, könnte ich Ihnen das näher schildern, aber glücklicherweise habe ich nicht viel Erfahrung damit.

      „Ja, das stimmt“, sagte mein Frauchen. Sie wirkte ziemlich verkrampft, obwohl sie doch zur Tatzeit diesen „Tatort“ geguckt hatte, und man kann keinen „Tatort“ aus Münster anschauen und gleichzeitig ganz woanders jemanden mit einem Giftcocktail ermorden, ist doch logisch.

      „Ich habe ihn zufällig in der Stadt getroffen, wir tranken dann einen Kaffee zusammen. Er fragte mich um Rat, weil er nicht wusste, was er seiner Frau zum Geburtstag schenken sollte. Sie hatte an dem Tag Geburtstag. Er war richtig gut gelaunt und nett und freundlich, ich freute mich, dass er sich so positiv verändert hatte und wollte nicht nachtragend sein. Also ging ich mit in die Boutique, und weil ich eine ähnliche Figur habe wie sie, probierte ich das Kleid an. Das war alles.“

      „Nun“, sagte der andere Mann, der bisher nichts gesagt hatte, und lächelte mein Frauchen ganz lieb an. „Sie