Marianne Kaindl

Sechs Katzen und ein Todesfall


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die Besitzerin der Boutique aussagte, dann müssen wir davon ausgehen, dass Sie eben doch wieder eine Beziehung hatten. Und wenn Sie eine Beziehung hatten, die Sie vehement leugnen, dann gehören Sie zum Kreis der Verdächtigen, ist ja wohl klar. Sie können sich eine Menge Ärger ersparen, wenn Sie uns einfach einen kurzen Blick in Ihren Kleiderschrank werfen lassen.“

      Mein Frauchen guckte verwundert. Wir schauen ja fast jeden Sonntag „Tatort“, und deshalb wissen wir, dass ein Ermittler nur in den Kleiderschrank gucken darf, wenn er einen Durchsuchungsbefehl von der Staatsanwältin hat. Die Staatsanwältin schreibt aber ziemlich ungern Durchsuchungsbefehle aus, das wissen wir auch aus dem „Tatort“. Ohne Durchsuchungsbefehl kein Blick in den Kleiderschrank. Mit Durchsuchungsbefehl: Hinterher ein Chaos wie nach einem Tsunami.

      Mein Frauchen seufzte und stand vom Sofa auf. Wahrscheinlich waren in ihrer Phantasie die gleichen Bilder aufgetaucht wie in meiner. „Kommen Sie mit“, sagte sie. „Aber tun Sie mir einen Gefallen: Schmeißen Sie nicht alles durcheinander!“

      Die beiden Männer standen ebenfalls auf. Bei dem, der so nach Parfum stank, klapperte das Goldkettchen, als er zur Tür ging. Sie folgten meinem Frauchen ins Schlafzimmer. Percy und Merlin, die im Flur am Futternapf saßen, verschluckten sich fast. Denn ins Schlafzimmer hatte unser Frauchen schon lang keinen Mann mehr mitgenommen, und jetzt gleich zwei.

      Ich schlüpfte hinter den beiden Ermittlern ins Zimmer. Percy und Merlin kamen nach, und auch die weise Purzel kam dazu.

      Der eine Mann sicherte das Zimmer – wirklich, wie im Krimi! Als würde er erwarten, dass Frauchen sie alle beide im nächsten Augenblick, unterstützt durch Batman oder so jemanden, mit gezogener Pistole überwältigt. Ich fand das sehr komisch und musste niesen.

      Frauchen guckte mich genervt an. Sie fand das offenbar überhaupt nicht komisch.

      Der andere Mann, der mit dem Goldkettchen, öffnete den Kleiderschrank. Da hängt alles dicht an dicht, denn Frauchen liebt schöne Kleider, und wegwerfen kann sie auch nichts. Er guckte jeden Bügel einzeln durch, er zog Bügel mit Kleidern, Blusen und Hosen heraus, er untersuchte sie genau, denn manchmal hängt Frauchen mehrere Sachen übereinander, aber das Modellkleid aus der Boutique fanden sie natürlich nicht. Wie auch? Dieser Herr Frummelmann, der glücklicherweise schon lang vor meiner Geburt aus Frauchens Leben verschwunden war, hatte sie schon während der Ehe nicht gut behandelt – das erzählten mir die älteren Katzen. Er hätte ihr als seiner Ex bestimmt kein teures Modellkleid geschenkt.

      Nach einer Dreiviertelstunde wirkten die beiden Männer ziemlich gefrustet, mein Frauchen aber auch. Der Goldkettchen-Mann schubste die Schranktür wieder zu. Auf dem Bett verteilt lagen Blusen, Hosen, Pullis und Kleider. Das ließ ich mir nicht entgehen. Mit einem großen Satz hopste ich dazwischen. Hmmmm – ich liebe Seide! Die fühlt sich so gut an, wenn man sich reinkuschelt! Leider darf ich das normalerweise nicht, weil meine Krallen schon mal Fäden ziehen, aber heute war ja nicht „normalerweise“.

      Heute war wirklich nicht „normalerweise“. Das merkte ich spätestens, als ich hörte, wie mein Frauchen draußen im Garten schrie.

      Zuerst schrie sie laut, dann ging das Schreien in ein verzweifeltes Schluchzen über: „Das kann überhaupt nicht sein! Ich habe keine Ahnung, wie das in meine Mülltonne kommt! Neiiinnn, neiiiinnn, ich habe ihn nicht umgebracht!“

      Ich schoss aus dem Schlafzimmer, die Treppe hinunter und durch die Katzenklappe in den Garten. Vor der Mülltonne saßen Purzel, Maxi, Goldie, Merlin und Percy. Daneben standen mein Frauchen und die beiden Männer.

      Der mit dem Goldkettchen hielt ein dunkelblaues Modellkleid hoch. Es war verknittert und hatte einen Riss. Der andere jedoch – der hatte eine Flasche in der Hand, die roch sehr exotisch, ich kannte den Geruch nicht, und auf ihrem Etikett war auf orangem Grund ein schwarzer Totenkopf aufgedruckt.

       23. April, abends

      Unser Frauchen ist noch immer nicht zurück. Es geht nicht nur darum, dass unsere Futternäpfe leer sind (auch, aber nicht nur). Wir machen uns große Sorgen um sie.

      Was können wir tun?

       24. April, nachts um 4

      Ich habe Akif Pirinçcis „Felidae“ gelesen, bis gerade eben. Eigentlich nur, weil ich so aufgewühlt war und nicht schlafen konnte.

      Aber jetzt steht mein Entschluss fest: Ich werde mein Frauchen retten.

      Ich werde selbst ermitteln.

      Kapitel 2: Miss Marple auf vier Pfoten

       24. April

      Als ich heute Morgen aufwachte, war mein erster Gedanke, dass ich eine Ermittlungs-Strategie brauche. Denn ein Kätzchen, das grade mal knapp ein Jahr alt ist, das hat natürlich nicht so viel Erfahrung damit, sein Frauchen aus dem Gefängnis zu retten und einen Mord aufzuklären.

      Zumal es ja nicht ganz ungefährlich ist, einen Mord aufzuklären.

      Man bekommt es da mit Bösewichten zu tun, die ganz unglaublich bösewichtig sind. Nehmen wir nur mal an, eine Verbrecherbande hätte diesen Frummelmann mit einem Giftcocktail gekillt. Wenn ich die in ihrem Giftcocktail-Versteck auftreibe, das lassen die sich ja auch nicht so einfach gefallen!

      Am Schluss killen die mich auch noch und verkaufen mein Fell an einen Rheumadecken-Händler!

      Ich brauche also erst mal Verstärkung.

      Nämlich Percy und Merlin, Goldie, Maxi und die weise Purzel.

       24. April, 13:45 Uhr

      Endlich haben wir gefrühstückt.

      Unsere Näpfe füllen sich ja nicht von alleine. Vermutlich darf Frauchen im Gefängnis nicht um Hilfe rufen, sonst hätte sie längst Hilfe für uns besorgt.

      Aber es ist niemand gekommen, um uns zu füttern und zu streicheln.

      Also haben wir uns als Ersatz gegenseitig das Fell geschleckt. Dann haben wir überlegt, wie wir an etwas zu essen kommen. Mäuse gibt es hier in der Gegend nicht mehr. Und selbst wenn es welche gäbe – wer verspeist heute noch Mäuse. Wir sind schließlich Lieblings-Katzen, und wir sind Leckerlis gewöhnt.

      Merlin kam auf die rettende Idee: Wir gehen alle durch die Katzenklappe raus und rüber zur Frau Schuster-Schmid. Die hat ihr Haus neben dem unseren und gibt auch dem Felix von schräg gegenüber immer mal etwas Feines. Da hat sie bestimmt auch für uns etwas zu essen.

      Wir marschierten also einer nach dem anderen durch die Katzenklappe ins Freie.

      Ein Vogel zwitscherte oben im Holunderbaum. Ich überlegte, ob ich ihn zu meinem Frühstück ernennen sollte, aber irgendwie mag ich Vögel. Sie singen so schön – wenn so ein Star auf dem Baum oder in der Dachrinne sitzt und schmettert, da geht mir das Herz auf und ich werde ganz poetisch.

      Einen Künstler, der einen ganz poetisch macht, kann man nicht frühstücken, oder wie sehen Sie das?

      Wir suchten also eine Lücke im Zaun und gingen rüber zu Frau Schuster-Schmid. Sie saß mit ihrer Zeitung und mit ihrer erwachsenen Tochter auf der Terrasse. Frau Schuster-Schmid trug dicke Lockenwickler. Ihre Tochter trug ein dick eingemummeltes Baby auf dem Arm.

      Wir stellten uns nebeneinander auf und schauten Frau Schuster-Schmid, ihre Tochter und das Baby ganz herzerweichend an. Das fiel uns auch nicht schwer. Wer seit gestern Mittag nichts in den Bauch bekommen hat, der guckt automatisch herzerweichend.

      Die Tochter von Frau Schuster-Schmid fing sofort an zu kreischen.

      „Diese Katzen! Wer weiß, was für Flöhe und Parasiten sie mit sich herumschleppen! Weg mit euch, ihr Getier, weg von meinem Baby!“