Marianne Kaindl

Sechs Katzen und ein Todesfall


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Riesen-Geschrei. Ich verstand nicht alles, weil sie ihre Zähne nicht im Mund, sondern auf dem Kaffeetisch hatte, aber ich hörte Wortfetzen wie: „Gesindel, elendiges!“ „Sääächhhs Katzzzäään!“ „Bleibt bloß wech von unserm Baby!“.

      Das Baby fand Frau Schuster-Schmids Verhalten wohl auch nicht so nett, jedenfalls begann es ganz fürchterlich zu brüllen. Der Vogel-Künstler auf dem Holunder hörte auf zu singen und flog empört davon.

      Wir purzelten durch das Loch im Zaun zurück in unseren eigenen Garten.

      Das hätte ich jetzt nicht von ihr gedacht. Sie ist zwar nie besonders freundlich. Vermutlich hat sie Gicht und Rückenschmerzen, so schaut sie jedenfalls immer drein. Aber dass sie eine hungrige Familie einfach rauswirft, auf die Idee wäre ich nicht gekommen.

      Nach dem ersten Schreck hielten wir unter dem Holunderbaum eine Besprechung ab.

      „Das funktioniert so nicht“, sagte Kater Percy. Er ist immer etwas langsamer als sein Bruder, aber viel besonnener. „Wir müssen uns aufteilen. Es gibt vermutlich keinen einzigen hier im Viertel, der Lust darauf hat, sechs Katzen durchzufüttern. Aber wir finden bestimmt sechs Leute, die einem süßen, kleinen Kätzchen, das sie zärtlich anmaunzt, Futter hinstellen.“

      Wir sahen sofort, dass er Recht hat (Percy hat fast immer Recht). Deshalb vereinbarten wir, uns um 14 Uhr wieder zu treffen. Zur Besprechung unserer Ermittlungs-Strategie, auf Frauchens Bett, wo immer noch die Pullis, Kleider, Röcke und Hosen durcheinander liegen.

       25. April

      Gestern, bei unserer ersten Ermittler-Besprechung, flogen zunächst mal die Fetzen.

      Bevor ich kam, war ja Goldie die Chefin hier im Haus, und die lässt sich von einer kleinen naseweisen Katze natürlich nicht das Wasser abgraben. Auch dann nicht, wenn die kleine naseweise Katze beinah eine Kombination aus Sherlock Holmes und James Bond und außerdem auch noch eine zukünftige Bestsellerautorin ist. Naja – wär‘ ich gern, ich bemüh‘ mich.

      „Das mit deinen Ermittlungen, das ist einfach Quatsch“, miaute sie. „Wenn in der Flasche wirklich das Gift war, mit dem er ermordet wurde, dann kannst du ihr eh nicht helfen. Und wir können es auch nicht. Dann braucht sie einen guten Anwalt. Das ist sicher. Wir haben momentan ein ganz anderes Problem, und das heißt Leckerlis.“

      Merlin, der seit seinem ersten Tag in unserem Haus in Goldie verliebt ist, stimmte ihr sofort zu. „Goldie hat Recht. Ich habe schon wieder Hunger. Was sollen wir auch ausrichten können? Sechs Katzen als Detektive! Am Ende vergiftet uns der Mörder und gibt uns Leckerlis mit Giftcocktail. Ihr dürft nicht vergessen: Wenn Frauchen es nicht war, dann läuft der immer noch frei herum.“

      „Eben deshalb“, sagte ich. Ich hatte irgendwo mal aufgeschnappt, dass Bilder viel stärker wirken als jede Argumentation. Nun gut, dann eben so. „Wollt Ihr unser Frauchen wirklich im Stich lassen? Wenn Ihr Euch das vorstellt – wir leben hier allein in diesem Haus. Kein Frauchen, das uns durchknuddelt. Und keine Leckerlis. Nicht mal Dosenfutter. Wenn wir ins Wohnzimmer gehen: Kein Frauchen, das auf der Couch lümmelt und einen auf ihrem Bauch liegen lässt. Wenn wir ins Büro rüber gehen: Kein Frauchen. Geburtstag ohne Frauchen, Weihnachten ohne Frauchen. Könnt Ihr Euch Weihnachten ohne Frauchen vorstellen? Sie ist nicht da und kommt nicht mehr zurück. Weil sie ihr Leben hinter Gittern verbringen muss. Unschuldig verurteilt. Denn wir, also wir wissen doch, dass sie unschuldig ist! Im Gefängnis ausgeliefert an brutale Mitgefangene und allein in einer winzigen Zelle. Nur mit Bett, Klo, Tisch und einem leeren Bücherregal. Wollt Ihr das wirklich?“

      Meine Rede ergriff sie so sehr, dass ihnen der logische Fehler in meiner Argumentation überhaupt nicht auffiel. Sie wurden alle ganz nachdenklich und schlichen weg.

      Das half mir jetzt auch nicht weiter, denn ein Ermittler-Meeting, an dem keiner teilnimmt als man selbst, ist kein Ermittler-Meeting. Ist ja wohl klar.

      Während ich mich noch ärgerte, kam Maxi zurück.

      „Ich bin zwar schon fast 18“, seufzte sie, „und die Gelenke tun mir weh. Aber ich bin gerne mit dabei, als lebenserfahrene Beraterin.“

      „Ich ebenfalls“, bot Purzel an.

      Percy schlenderte um die Ecke und schnupperte am Gummibaum. Verlegen trat er von der linken auf die rechte Pfote. „Also – ich wäre dann auch dabei“, murmelte er. „Ich lass‘ doch unser Frauchen nicht im Stich!“

      Merlin sprang vom obersten Bücherregal, riss dabei einen Gedichtband von Paul Celan, Casanovas Bericht aus den Bleikammern in Venedig sowie E.T.A. Hoffmanns „Kater Murr“ mit herunter und kam direkt vor meinen Vorderpfoten zum Stehen. „Ihr braucht einen unerschrockenen Kämpfer, hier bin ich!“, sprach er.

      Drüben im Bad wurde im Katzenklo gescharrt, dann preschte Goldie an. „Ich übernehme die Kommandozentrale und ernenne dieses Schlafzimmer hier zu unserer Ermittlungs-Basis. Du zeigst mir, wie man mit diesem Dingsda, diesem Tablet-Computer recherchiert und weist mich ins Projektmanagement-Tool ein, okay?“

      Das musste ihr ziemlich schwer gefallen sein.

      Ich maunzte deshalb sehr freundlich und nickte.

      Wir konnten durchstarten.

       25. April, abends

      Nachdem ich Goldie die wichtigsten Funktionen der Software gezeigt hatte, damit sie den Tablet-Computer und den Laptop im Griff hatte, machte ich mich auf zum Tatort.

      Nach der Trennung vom Frauchen war Franz Frummelmann in die Jakob-Obser-Straße 48 gezogen, ins Penthouse eines zwölfstöckigen Hochhauses. 11. und 12. Etage. Mit Wendeltreppe. Hatte das Frauchen erzählt. Dort lebte er mit seiner zweiten Frau Gundula. Das heißt, da hatte er gelebt, bevor ihm das mit dem Giftcocktail passiert war.

      Ich schnappte mir unser iPhone.

      Vor einem halben Jahr hatte Frauchen ein neues iPhone gekauft, und das alte lag herum. Da kam sie auf die Idee, ein fotografisches Projekt zu realisieren (Sie sehen: Ich beherrsche sogar Fremdwörter!). Das nannte sie „Katzenwelt“. Das Neue am Projekt war, dass es sich eben NICHT um Fotos handelte, die Menschen von Katzen machen, sondern um Fotos aus dem Leben einer Katze. Sie friemelte eine Befestigung ans iPhone, so dass man es einfach ins Flohhalsband einklicken kann und installierte eine Kamera-App, die man so einstellen kann, dass alle drei Minuten ein Foto aufgenommen wird. Das Ergebnis waren also Bilder aus der Katzenperspektive. Bilder im Gras, Bilder vom Baum aus aufgenommen, Bilder von den anderen Katzen im Haus, Bilder vom Kater Felix von schräg gegenüber, verwackelte Bilder, knallscharfe Bilder, schräge Bilder und richtig schöne Bilder.

      Die interessantesten davon druckte sie in DIN A3 aus und zeigte sie in einer Ausstellung in ihrem Lieblingscafé.

      Seitdem haben wir Katzen ein eigenes iPhone, das wir am Flohhalsband befestigen können.

      Irgendwann entdeckte ich diese coole App von Fritz-Kasper Schulze. Da eröffneten sich ganz neue Welten! Die App installierten wir gleich auch noch auf Frauchens Tablet-Computer (an dem wir eigentlich nichts zu suchen haben). Auf Frauchens Laptop (an dem wir gleich überhaupt gar nichts zu suchen haben) richteten wir das entsprechende Computer-Programm von Fritz-Kasper Schulze ein.

      Schon bald fand ich heraus, dass es Programme und Apps gibt, die Einträge synchronisieren. Das, was ich auf dem iPhone eingebe, kann ich dann auch auf dem Laptop und dem Tablet aufrufen. Frauchen hat auf ihren Geräten ein Programm, das heißt Evernote. Damit kann man so etwas machen. Sie nutzt es kaum, und deshalb ist ihr bis heute nicht aufgefallen, dass wir uns da einen eigenen Zugang eingerichtet haben.

      WIR nutzen es sehr intensiv.

      Im Routenplaner des iPhones tippte ich jetzt „Überlingen, Jakob-Obser-Straße 48“ ein, dann hängte ich es mir um den Hals. Da dieser digitale Wegweiser nur für Autos ausgelegt ist, wurde es etwas abenteuerlich, als Pfotengänger da hin zu kommen, bei der Überquerung der Bundesstraße hätte mich beinahe einer platt gefahren, aber ich schaffte es. Ich bin ja genial, jung, dynamisch, und keine Herausforderung ist mir zu groß. Nicht mal der Autoverkehr in den Osterferien am Bodensee.