Marianne Kaindl

Sechs Katzen und ein Todesfall


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wollte hier raus. Da das Küchenfenster geschlossen war, musste ich also erst mal zurück an den Tatort. Es grauste mir wegen der Kotze, aber da war nichts zu machen.

      Im Wohnzimmer waren die Fenster und die Balkontür ebenfalls zu. Auch das Fenster im Esszimmer war geschlossen, und das im Gäste-WC auch. Der Flur hatte überhaupt kein Fenster. Mist!

      Ich hechtete die Treppe hoch ins Schlafzimmer und von dort aus ins Bad zurück. Das Badezimmerfenster war noch immer gekippt. Aber von innen schaffte ich es nicht durchzukommen.

      Ich versuchte es, zunehmend verzweifelt, aber ich fand keinen Halt. Von außen war es gar nicht so schwierig gewesen: Aufs schräge Fenster springen, zielsicher so, dass ich mich mit den Vordertatzen am oberen Rahmen festhalten konnte, mich ganz lang und dünn machen und mich dann vorsichtig durch den Spalt auf die andere Seite hinunterlassen. Von innen gab es dagegen keine Möglichkeit hinauszukommen. Ich streckte mich und versuchte, mich durch den Spalt zu quetschen. Dabei wäre ich beinahe noch hängengeblieben. Glücklicherweise konnte ich mich befreien, indem ich mit den Hinterbeinen strampelte. Es war nichts zu machen.

      Ich musste nachdenken.

      Ich humpelte zurück ins Schlafzimmer, legte mich auf die hellvioletten Kissen, diese Insel in all dem Weiß – und schlief ein.

      Wach wurde ich, weil ich Schritte auf der Treppe hörte. Ich dehnte mich ganz eilig und versuchte, vom Bett zu hüpfen und mich zu verstecken. Man sagt ja immer, dass es den Mörder an den Ort seiner Tat zurückzieht. Meine Hinterbeine machten nicht mit. Ich konnte nur humpeln – ja, und da war die Frau schon im Zimmer.

       26. April, morgens

      Gestern konnte ich nicht mehr zu Ende schreiben: Es war zu viel für mich gewesen, ich war einfach nur noch müde. Deshalb erzähle ich heute weiter.

      Ich saß also auf dem weißen Bett, ich kniff die Augen fest zu, ich pullerte vor lauter Angst auf die weiße Tagesdecke und die hellvioletten Kissen, als die Frau hereinkam. Schließlich machte ich die Augen wieder auf – und sah in ein sehr sanftes Gesicht, das zu einer ein bisschen verwirrt wirkenden Dame gehörte. Sie war schlank und trug einen weiten Rock mit lauter rosa Rosen auf weißem Grund, dazu eine rosa Bluse. Um Augen und Mund hatte sie erste Falten. Ihre Haare waren mittellang und braun, das Gesicht sehr fein und hell, die Lippen waren nur ganz dezent mit Lipgloss geschminkt.

      Sie schaute mich verwundert an und fragte dann, ganz leis und zart: „Ach, du kleines Kätzchen, wo kommst du denn her? Oh, so süß bist du? Ja wo kommst du denn her? Musst keine Angst haben, du! Ach, so ein zartes kleines Tierchen! Mein Moritz, der sah fast so aus wie du, aber jetzt ist er im Katzenhimmel, weißt du. Ich glaub, da hat er’s gut. Magst du was zu fressen, mein Kleiner?“

      Es war also eine sehr nette Frau, ich konnte mich entspannen. Ein bisschen komisch fand ich, dass sie das iPhone an meinem Halsband nicht irritierte, aber Menschen sehen nur das, was sie sehen wollen. Sie wollte eben nur ein kleines, süßes, harmloses und verirrtes Kätzchen sehen. Glaube ich.

      Ich folgte ihr über den weißen Flur die weiße Treppe hinunter in das weiße Esszimmer, wo sie fast automatisch den Stuhl aufhob und ihn akkurat im gleichen Abstand zu den anderen hinstellte. Von dort kamen wir in einen weiteren weißen Flur – glücklicherweise vermieden wir das Wohnzimmer – und von dem aus in die Küche. Die Frau holte aus einem hohen Schrank eine Dose heraus. Sie machte sie auf und löffelte den Inhalt auf einen weißen Porzellanteller. Es war Fisch, da musste man mich nicht lange bitten. Oh, wie das duftete! Oh, wie gut es tat, wieder etwas Feines zwischen die Zähne zu bekommen! Es dauerte nur kurze Zeit, da sah der Teller wieder so reinlich aus als käme er frisch aus der Spülmaschine.

      „So, mein Kleiner, jetzt kommst du mit zu mir“, lockte mich die nette Frau und streichelte mich. „Ich dürfte hier ja gar nicht rein, die Wohnung ist noch nicht freigegeben, weißt Du. Ich lebe jetzt vorübergehend im Hotel. Das ist nicht sehr angenehm. So unpersönlich ist das, weißt du, mein Kleiner. Aber zusammen machen wir’s uns da ganz fein gemütlich, ich bin ja so froh, dass ich dich gefunden habe! Ich bin ja so allein, jetzt wo der Franzi von mir gegangen ist – wahrscheinlich hat der Franzi dich geschickt, der Franzi kriegt nämlich alles geregelt.“

      Ich war auch froh, dass sie mich gefunden hatte. Ich fand sie sehr, sehr nett. Sie war auch fast so hübsch wie mein Frauchen. Aber ich konnte nicht mit zu ihr, selbst dann nicht, wenn sie mir täglich Fisch servierte.

      Ich habe einen Job.

      Ich bin Teil eines Teams.

      Mein Frauchen sitzt im Gefängnis, und wir haben eine Aufgabe, die es zu erfüllen gilt.

      Da muss man auch mal verzichten können, selbst dann, wenn einem Fisch und Gemütlichkeit in Aussicht gestellt werden.

      Ich humpelte an ihr vorbei aus der Wohnung. Sie lief noch schnell ins Wohnzimmer und kam kurz darauf mit einer blauen Mappe zurück. Zusammen warteten wir am Aufzug. Ich strich ihr dankbar um die Beine, das gefiel ihr offenbar. Ich folgte ihr hinaus ins Freie.

      „Man muss auch mal verzichten können, selbst dann, wenn Fisch und Gemütlichkeit locken“, dachte ich seufzend. Ich entschied mich nicht für das weiche Kissen, ich entschied mich für die harte Herausforderung. Eine harte Herausforderung – das ist mein Leben zurzeit wirklich. Denn wenn das Frauchen im Gefängnis sitzt, dann bleibt der Teller leer. Man muss selber auf die Suche nach etwas Gutem gehen. Auch ist das Leben mit Goldie nicht immer die reine Wonne.

      Ich gab der netten Frau, als sie mich hochhob, mit leisem Bedauern noch einmal Köpfchen, leckte ihr zärtlich über die Wange, dann sprang ich auf den Boden, schlüpfte durch die Hecke und war weg. Sie rief noch eine Weile nach mir. Es tat mir sehr leid, dass sie jetzt allein in ihr Hotelzimmer zurückkehren musste. Aber ich habe ein Frauchen, das mich liebt und das mich jetzt ganz besonders braucht. Ich habe keinen gefüllten Napf, nein, weil mein Frauchen im Gefängnis schmachtet. Aber ich habe ein Ziel.

      Ich nahm das iPhone vom Halsband, rief den Routenplaner auf und gab „Heimatort“ ein. Es waren mehr als zwei Kilometer bis dorthin, aber wie gut klang das: Heimatort!

       26. April, 4 Uhr nachmittags

      Sie haben mich alle fünf ordentlich ausgeschimpft. Dabei waren sie alle nur besorgt um mich, sogar Goldie.

      „Wie kannst du dich nur am Tatort von einer Frau, die du nicht kennst, füttern lassen!“, sagte sie. „Es war ganz sicher die neue Frau vom Ex. Was ist denn, wenn sie die Mörderin ist? Was ist denn, wenn in dem Fisch, den du gegessen hast, ein Giftcocktail war?“

      Nachdem sie das das dritte Mal gesagt hatte, überlegte ich selber, ob ich nicht Vergiftungs-Symptome spürte. Aber ich spürte nur meine verspannte Hüfte, und die Hinterpfoten taten immer noch fürchterlich weh.

      Bis zum Mittag kam ständig eine von den Katzen ins Schlafzimmer, wo ich mich in den Kleiderhaufen eingekringelt hatte und fragte, ob ich noch am Leben sei. Jedes Mal schreckte ich hoch, weil ich gerade eingenickt war. Irgendwann fauchte ich sie alle ordentlich an, da merkten sie, dass ich mich schon wieder auf dem Weg der Besserung befand.

      Das Ermittler-Meeting am frühen Nachmittag dauerte überhaupt nicht lange. Wir waren uns nämlich sofort einig: So klappt das nicht. Als Katze kann man mit den meisten Menschen nicht kommunizieren. Man bekommt nicht mal eine Tür selber auf, wenn man nicht grade Percy ist. Der ist der einzige von uns, der Türen öffnen kann.

      Wir benötigen Unterstützung.

      Ich suchte die E-Mail-Adresse heraus, und Goldie mailte an Fritz-Kasper Schulze, um nachzufragen, ob er auch eine App programmiert hat, die NUR Kätzisch in Menschisch übersetzen kann, ohne Weiterverarbeitung in Computersteuerung oder Texteingabe. Ganz einfach eigentlich: Katze miaut ins Mikro, iPhone übersetzt es in Menschisch und gibt das über den eingebauten Lautsprecher aus. Eine Übersetzung Menschisch-Kätzisch ist nicht nötig, schrieb sie, denn Katzen verstehen die Menschen sowieso.

      Es dauerte nicht lange, da hatten wir seine Antwortmail. „Ich kann Katzen nicht ab, und was sie sagen, interessiert mich nicht“, schrieb Fritz-Kasper Schulze.